Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
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Auf dem Weg zur Bank war Robs Nervosität schier ins Unermessliche gestiegen – ihm war gleichzeitig heiß und kalt, seine Finger klebten verschwitzt aneinander, der Kloss in seinem Hals ließ sich partout nicht herunterschlucken und er hatte das Gefühl, sich gleich übergeben zu müssen. Trotz der Sorge, plötzlich in Ohnmacht zu fallen, zwang er sichvorwärtszugehen, Schritt für Schritt in eine hoffentlich schönere Zukunft. Räuspernd zupfte er an seinem Hosenbund, für den Fall, dass er doch umkippte, wollte er wenigstens nicht mit entblößtem Hintern mitten im Dorf liegenbleiben. Rob war überzeugt, jeder, der ihm an diesem ruhigen Frühlingstag entgegenkam, konnte seine Angst förmlich riechen. Einige grüßten ihn höflich im Vorbeigehen, andere sahen ihn kaum an, bestimmt wurde hinter seinem Rücken getuschelt.
Als er bei der Bank anlangte, rieb er sich über die Stirn und lehnte sich möglichst unauffällig an den Pfeiler schräg vor dem Eingang. Er hasste es draußen zu warten, fühlte sich von der scheinbar ziellosen Herumsteherei regelrecht an den Pranger gestellt und überhaupt war es ihm schrecklich unangenehm, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen. Über die Jahre waren Robs Kreise stets etwas enger geworden – sein Freundeskreis war von ganzen Schulklassen auf den morgendlichen Kontakt zum Briefträger und seine ehemalige Joggingrunde erst auf den Marsch zur Arbeit, dann auf den Trampelpfad durch die Moorlandschaft von seiner Wohnung zum Einkaufsladen geschrumpft. Heute ging es darum, das zu ändern, seinen Horizont endlich zu erweitern, zumindest eine Person hinzuzufügen.
Auf dem Gehweg gegenüber wurden die ersten Absperrungen für eine Baustelle aufgebaut, zwei Männer stellten Schilder auf, ein anderer half seinem Kollegen beim Manövrieren eines Trucks und ein dürrer Junge hievte einen Presslufthammer vom Anhänger. Rob hatte vor ein paar Wochen über die geplante Straßensanierung gelesen, früher war er für solche Agenturmeldungen zuständig gewesen, bevor die Chefredakteurin ihm die Wahl gegeben hatte, entweder freiwillig zu kündigen oder entlassen zu werden. Natürlich hatte er sich für letzteres inklusive einer bescheidenen Abfindung entschieden. Eine Weile lang hatte er sich eingeredet, sie hätte ihn wegen persönlicher Differenzen gefeuert, aber obwohl er es ungern zugab, wusste Rob, er hatte sich selbst ins Aus katapultiert – darin, sich selbst zu sabotieren, war er unheimlich talentiert. Er hasste sich dafür, da ging es ihm ähnlich wie vielen Menschen, was ihn allerdings keineswegs tröstete. Naja, immerhin wagte er gerade in diesem Moment einen Sprung vorwärts und sein neuer Job gefiel ihm sowieso besser – schließlich musste er dafür nicht einmal seine vier Wände verlassen.
Er rutschte entlang dem Betonpfeiler zur Seite, als eine Frau aus der Bank kam und sich zwischen ihm und einem Werbeaufsteller hindurchdrängte. Zwar trug er, anders als sie, eine Maske, dennoch starrte sie ihn schockiert an, als er betreten hüstelte und er genoss es, sie genauso in Verlegenheit gebracht zu haben, wie sie ihn – wahrscheinlich hätte er das Kiffen nie aufgeben sollen, mit Gras war er tolerierbarer gewesen und hatte die Welt erträglicher gefunden. Die Kirchenglocken begannen mit ihrem üblichen unnützen Geläute, was paradoxerweise einige der herumeilenden Leute dazu verleitete, auf die Uhr zu schauen. Rob tat es ihnen gleich, zog sein Handy aus der Manteltasche und bestätigte seinen Verdacht. Die Fahrplan-App zeigte an, sie sei vor zwölf Minuten angekommen, der Fußmarsch vom Bahnhof hierhin dauerte knapp zwei Minuten, also … sie hatte ihn versetzt. Ächzend stieß er sich ab und schlenderte in die Banklobby, reihte sich hinter zwei Herren am Bankomaten ein.
Die Aufregung legte sich allmählich, Rob atmete durch und statt enttäuscht zu sein, weil er von seinem Blind Date versetzt worden war, stellte sich Erleichterung, ja sogar Freude ein. Er konnte es nicht erwarten, sich zu Hause in seinem persönlichen Niemandsland zurückzuziehen, mit seinen Kaninchen zu spielen, sich einen Wälzer aus dem Bücherregal auszusuchen und mit einer Tasse Hagebuttentee auf dem Balkon zu sitzen. Im Prinzip lief der Tag bislang ideal – er durfte mit Fug und Recht behaupten, sich seinen Ängsten mutig gestellt zu haben, ohne sich wirklich überwinden zu müssen. Lächelnd hob Rob den Mindestbetrag ab, Bargeld benötigte er keines, es war ihm bloß peinlich gewesen, nach der Viertelstunde, die er vor der Bank herumgelungert war, einfach so umzukehren. Ausgerechnet, als er den Zwanzigeuroschein in die Lasche seines Handycovers steckte, dröhnte sein Klingelton durch den Eingangsbereich, sodass jeder sich nach ihm umdrehte. Panisch tippte Rob auf dem Touchscreen herum, um den Anruf abzulehnen, erwischte dabei die falsche Stelle und eine vage bekannte Stimme schepperte wütend aus dem Lautsprecher:
„Sag mal, wo zum Teufel steckst du?!“ Augenblicklich kehrte der eklige Klumpen in seiner Kehle zurück, sein Magen verdrehte sich und er stotterte: „In … in der Ba… Bank.“
„Was? Welcher Bank? Ich sitze auf der Bank und du bist nirgends zu sehen, ich habe dich auf dem ganzen Bahnhof gesucht und … Ernsthaft, das ist sowas von scheiße von dir, mich zu verse…“
„Bahnhof?“, fuhr er ihr abwesend ins Wort. Seine Ohren glühten, ihm wurde schwindlig. „Wir haben uns bei der Bank verabredet.“
„Ja, klar. Der Sitzbank am Bahnhof, nicht dem Geldinstitut“, kicherte sie plötzlich, er nahm ihr befreites Lachen nur noch gedämpft wahr. „Meine Güte, und ich dachte, ich werde von dem Typen aus dem Hasenforum stehengelassen. Bleib wo du bist, ich bin gleich da.“