Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Diese Geschichte spielt im erweiterten Universum der „Promise“-Reihe.
„Das kann nicht dein Ernst sein“, stöhnte Cathia frustriert auf das holographische Schachbrett vor ihr starrend, auf dem sich eine der projizierten Figuren entmaterialisierte. „Dein Inquisitor hat meinen Bischoff geschlagen und ich habe es nicht kommen sehen.“
Dae-Seong lachte herzhaft, lehnte sich zurück und zuckte zusammen, als ihn ein Blatt des Ficus Benjamin, der hinter ihnen im Aufenthaltsraum stand, am Nacken kitzelte. „Beim Schachspiel muss man stets auf der Hut sein, meine Liebe. Verrat lauert hinter jeder Ecke, Freunde werden zu erbitterten Todfeinden. Wenigstens hast du deinen Kanzler noch.“
Cathia linste durch das bullaugenförmige Fenster, wo statische Entladungen auf dem Rumpf des Sternenkreuzers ihre Reise durch den Hyperraum hypnotisch untermalten. Schließlich kam sie auf die erhoffte Idee, fuhr mit der Hand durchs Hologramm und zog ihre zweite Spionin auf eine andere Position. „Ha! Damit musst du erstmal klarkommen.“
„Kodikaikacke“, brummte Dae-Seong und kratzte sich an der Nasenspitze. „Das darf nicht wahr sein.“
„Nimm dir alle Zeit der Galaxis“, bot sie ihm mit einem selbstgefälligen Grinsen an und wechselte das Thema, um ihrem Verlobten die eben versprochene Zeit zum Grübeln zu verschaffen: „Na, bist du gespannt?“
„Na ja“, nuschelte er und streckte sich. „Schach ist mehr Taktik denn Zufall. Ich wäge Wahrscheinlichkeiten ab, Anspannung würde dabei stör…“
„Ich meinte eigentlich unsere Zukunft“, gluckste Cathia und gestikulierte vage in die Richtung, in die das Schiff flog. „Auf einer Raumstation weitab von besiedelten Welten wohnen, als leitende Ingenieure die Minenoperation koordinieren, einen komplett neuen Lebensabschnitt beginnen …“
„Ah, das“, murmelte Dae-Seong abwesend, da er nebenher das Schachbrett musterte. Sie hatte sich längst an seine verbissene Konzentration gewohnt. Seit ihrem Studium, während dem sie sich kennengelernt, angefreundet und verliebt hatten, war er so. „Eher vorfreudig. Immerhin ist das der größte Schritt in unserem Leben, abgesehen von …“ Er unterbrach sich, als eine Frau in einem gepunkteten Kleid, die nach Sandelholz-Parfüm duftete, den Aufenthaltsraum betrat und es sich auf einem Sessel weitab des Duos bequem machte. Mit gesenkter Stimme ergänzte er: „Plus, vermutlich gibt es da keine, die sich so stark parfümiert, als würde sie Chemiewaffentests an der Zivilbevölkerung durchführen.“
Cathia kicherte leise, ehe sie beschämt zu Boden schaute. „Na ja, ich habe keine Kristallkugel, trotzdem sage ich zuversichtlich voraus, dass du in einer Raumstation für den Rohstoffabbau verschwitzte Arbeiter, nicht waffenfähiges Parfüm riechen wirst. Und Schwefel, sehr viel Schwefel.“ Sie bemühte sich, ihre Nervosität zu verbergen, ihr Liebster würde diese Farce allerdings mit Leichtigkeit durchschauen. Nie waren sie dermaßen weit von zuhause weggezogen, erst recht nicht an einen derart abgelegenen Ort. Bei jedem Gedanken daran wurde sie unruhig, alles Mögliche konnte schiefgehen. „Sag“, setzte sie an, wollte ihn fragen, wie er es schaffte, die Situation gelassen hinzunehmen, da erschütterte ein Rumpeln das Schiff, das Licht flackerte und sie fielen aus dem Hyperraum. Die wenigen Leute, die nach Mitternacht noch in dem Aufenthaltsraum waren, blickten von ihrer Lektüre, ihren Unterhaltungen oder ihren Holos auf, bevor sie sich schulterzuckend wieder ihren Tätigkeiten widmeten. Cathia war dennoch alarmiert. „Irgendwas stimmt da nicht“, behauptete sie unruhig, durch das Fenster in den leeren Raum deutend.
„Du willst mich bloß davon ablenken, wie übel ich gerade am Verlieren bin. Ist bestimmt eine Kursänderung und gleich springen wir zurück in den Hyperraum.“ Er kam ins Grübeln. „Der Halt hier macht trotzdem keinen Sinn, ich bin diese Route früher oft geflogen, da gibt es keine Sprünge bis Junis und da sind wir erst in zwei Tagen.“
„Jaja, während ich eine in ihre Wohnung eingeschlossene Leseratte mit viel zu dicker Brille war, wie meine Mutter immer so schön gesagt hat, bist du in deiner Freizeit durch die halbe Galaxis getingelt, schon klar“, feixte Cathia, ihre Anspannung übertünchend und winkte ab. „Sollte das Schiff kaputt sein, reparieren wir es halt, wir sind immerhin Ingenieure.“ Sie schluckte und rieb sich den Nacken, versuchte ihre Sorge für sich zu behalten. „Dein Zug“, proklamierte sie auf das Spielbrett zeigend, das über dem Tischchen flimmerte. Ohne wirklich hinzusehen, schob er einen Roboter ein Feld vor und drehte sich sofort wieder dem Fenster zu. Cathia runzelte die Stirn, sein Zug war ungeschickt, er war eindeutig geistesabwesend, anscheinend neugierig, was vor sich ging. „Okay, Pause?“ Sie schlug das einzige vor, das seine Stimmung garantiert verbessern und sie vielleicht sogar von ihrer Unruhe ablenken würde: „Machen wir eine Ferndiagnose?“
„Deal.“ Nun war er begeistert, ganz in seinem Element. „Also, der Fusionsgenerator funktioniert noch, sonst wäre die Beleuchtung aus- und das Notlicht angegangen.“
„Stimmt. Hyperantrieb oder Navigationssystem?“
„Hm. Womöglich ein gezielter Halt oder ein Softwareproblem. Wäre es der Hyperantrieb, hätte der anders geklungen, als er ausgeschaltet wurde.“ Nachdenklich kratzte er sich am Kinn. „Das klang nach einem normalen Austritt, sogar wenn das Navigationssystem versagt, rumpelt es mehr.“
„Also machen sie einen Reboot und wenn das nicht klappt, laden sie das Backup-System oder patchen es und dann geht es weiter?“ Cathia gab sich Mühe, optimistisch zu klingen und spielte dazu mit einer losen Haarsträhne.
„Wahrscheinlich. Dann wären wir bei einem Kreuzer der F7-Klasse in …“ er überschlug die Berechnung im Kopf „… knapp anderthalb Minuten wieder unterwegs.“
„Das ist der Vorteil daran, wenn man mit einem zusammen ist, der seine Jugend damit verbracht hat, an Raumhäfen Sternenschiffe abzulichten.“ In der Tat hatte ihr Verlobter es geschafft, sie etwas abzulenken und sich auf die aktuelle Situation zu konzentrieren, sie lehnte sich gar kurz zurück und nahm einen Schluck vom längst kalt gewordenen Tee, der zwischen den Schachfiguren stand. Zufrieden mit ihren Überlegungen und damit, auf das Ergebnis zu warten, widmete sich Dae-Seong derweil dem Spiel. „Du bist dran.“
Cathia sah aufs Schachbrett und stellte fest, dass ihre Chance gekommen war. Die Spielleistung ihres Verlobten hatte unter der unvorhergesehenen Ablenkung gelitten. Sie aktivierte ihren Inquisitor und stieß triumphierend aus: „Schach und Matt!“
„Na toll“, seufzte er ob der ausweglosen Lage und tippte seinen Kanzler an, damit er umfiel und sich in Fragmente auflöste. „Gratuliere, du hast gewonnen.“ Im selben Moment erzitterte das Schiff erneut, beschleunigte spürbar und die Beleuchtung stieg für einen Sekundenbruchteil aus, als sie in den Hyperraum sprangen. „Pech im Spiel, Recht mit dem Softwareproblem. Ein Neustart, keine große Sache.“
„Genau, keine große Sache“, echote sie, wobei ihr der Neustart in ihrem Leben wieder einfiel. „Wird schon alles gutgehen.“