„Du findest das lustig?“, flüsterte Maddie empört, zog mich von den Trauergästen weg und verschränkte dann ihre Arme vor der Brust. Ich wusste, dass es nur eine richtige Antwort auf ihre Frage gab, die Unwahrheit, also schüttelte ich schuldbewusst den Kopf.
„Wieso sagst du denn so etwas Fürchterliches?“ Die feinen Linien auf ihrer Stirn glätteten sich langsam und ich wartete so lange ab, bis sie ganz verschwunden waren, bevor ich antwortete. „Ich hab es nicht so gemeint, entschuldige bitte.“
Uns beiden musste klar sein, dass ich nicht ehrlich war, das war ich nie, wenn um solche Dinge ging. Und so wie immer akzeptierten wir diese Tatsache schweigend, nahmen es einfach hin, dass ich immer lügen würde und sie ewig die Stimme meines Anstandes würde sein müssen.
„Okay“, erwiderte Maddie nach einer kurzen Pause, während der sie mich aufmerksam gemustert hatte, dann richtete sie ihren Pferdeschwanz und fügte hinzu: „Dann lass uns jetzt endlich gehen.“
Wortlos packte ich meinen Regenschirm ein, knöpfte mein Sakko zu und folgte ihr zum Friedhofsausgang. Kurz nachdem wir das gusseiserne Tor hinter uns gelassen hatten, verstummte das Schluchzen der Familie und ich war froh, endlich von dieser Farce wegzukommen.
Maddie hatte meinen Ausrutscher auf der Beerdigung nicht mehr erwähnt. Meine Cousine Sasha hatte sich einige Tage zuvor endlich das Hirn weggeschossen, nach etlichen fehlgeschlagenen Versuchen war das nicht wirklich ein Schock für uns gewesen. Deswegen hatte ich meine trockene Bemerkung, von wegen, sie wäre schon immer etwas zerstreut gewesen, hätte es jetzt aber ein wenig übertrieben, auch nicht für ausnehmend geschmacklos gehalten. Aber selbstverständlich war mir mittlerweile klar geworden, dass ich meiner Intuition in solchen Belangen kaum je trauen konnte.
Der Kellner hatte das Essen gebracht, als wir gerade in einer nebensächlichen Diskussion vertieft gewesen waren und kaum dampfte es lecker vor uns, vergaßen wir das Thema. So war es oft, überlegte ich, während ich mein noch halbrohes Fleisch zerteilte, wir sprachen so oft über nichts und doch kannte Maddie mich besser, als jeder andere.
„Der Gratin ist hervorragend“, informierte Maddie mich zwischen zwei Bissen und lächelte mich entspannt an. Ich nickte, obwohl ich ihre Aussage nicht überprüft hatte, einfach weil ich nicht wusste, was ich sonst hätte tun sollen.
Nach einer Weile des Schweigens stützte sie ihre Ellenbogen auf den Tisch und lehnte sich nach vorne.
„Hast du das von David eigentlich schon gehört?“, wollte sie dann von mir wissen. Natürlich hatte ich keine Ahnung, von was sie sprach und war mir sicher, dass sie das erst gar nicht erwarten würde. Trotzdem sagte ich, rein um die Gesprächsmanieren zu wahren: „Nein, was ist denn mit ihm?“
„Also“, holte sie aus uns ich konnte sehen, wie ein mir vertrauter, schelmischer Ausdruck über ihr Gesicht hereinbrach wie ein plötzliches Gewitter. „Angelika hat mir erzählt, dass er vorhat, zum Islam zu konvertieren.“ Genau drei Sekunden lang gelang es mir, mein fieses Grinsen zu unterdrücken, das waren wenigstens drei Sekunden länger, als ich mir zugetraut hätte.
„Ach, solange er nicht mit dem Flieger ins Büro kommt, ist das doch egal“, meinte ich und wartete geduldig auf Maddies Standpauke, doch anstelle davon mich zu rügen, schmunzelte sie bloß und murmelte: „Du bist furchtbar, das weißt du doch hoffentlich.“
Vollgefressen lag ich auf der Couch und starrte abwesend auf den Bildschirm. Aus dem Schlafzimmer drang das leise Klackern ihrer Tastatur und ich brauchte eine gute halbe Stunde, um mich endlich dazu zu überwinden, mich bettfertig zu machen. Als ich dann doch endlich unter die Decke kroch, schaltete sie ihren Laptop ab und erkundigte sich: „Schatz, ist es in Ordnung, wenn ich nächsten Sonntag alleine zur Familienfeier gehe?“
Ich konnte ihr ansehen, dass sie sich lange überlegt hatte, ob sie mich das überhaupt fragen wollte. Sie knetete auf ihren blassen Fingern herum und kaute auf ihrer Unterlippe, währendem sie angespannt auf meine Antwort wartete.
„Du hast Angst, ich würde dich blamieren, nicht wahr?“ Aus meinem Augenwinkel konnte ich sehen, dass Maddie kurz in ihrer Bewegung einfror, dann resigniert den Kopf hängen ließ und seufzte: „Ja. Nimm es mir nicht übel, aber nicht alle verstehen, wieso du so bist wie du halt nun mal bist.“
Da konnte ich ihr nur zustimmen, erkundigte mich dann aber etwas kleinlaut: „Du verstehst es doch?“ Diese Unsicherheit war etwas ganz Neues für mich, immerhin war ich mir diese ganze Beziehungssache noch nicht gewohnt. Maddie ließ mich wohl absichtlich etwas warten und legte erst ihren Seidenbademantel über die Stuhllehne, ehe sie zu mir kam und mich auf die Stirn küsste.
„Nein, aber das macht nichts.“ Mit einem behaglichen Brummen ließ sie sich auf ihr Kissen fallen, knipste die Nachttischlampe aus und wünschte mir so liebevoll wie immer eine gute Nacht. „Schlaf gut, du unsensibler Idiot.“