Diese Story ist auch in einem Sammelband erschienen.
Diese Geschichte spielt im erweiterten Universum der „Promise“-Reihe.
Stanleys Tag lief seiner Ansicht nach alles andere als gut: Erst war er nach einer viel zu kurzen Nacht übermüdet aufgestanden, hatte sich die Zunge am heißen Morgenkaffee verbrannt und langsam aber sicher bahnten sich Kopfschmerzen an. Mit einem kraftlosen Grummeln ging er die paar Stufen zur Brücke des alten Sternenschiffes hoch, die Tür vor ihm glitt automatisch zur Seite.
„Morgen, Stan!“, flötete Natala, der Frachter-Captain der Promise, ohne sich von der Kommandokonsole abzuwenden. „Na, ordentlich geschlafen?“
„Ne“, knurrte er und ließ sich auf den freien Platz an der zweiten Konsole fallen. Wesentlich freundlicher gestimmt ergänzte er: „Na, das heißt, es nur besser werden. Wie lange haben wir noch?“
„Das war ja für dich ungewohnt optimistisch“, frotzelte Natala und fügte hinzu: „Wir treten gleich aus dem Hyperraum aus. Das wird ein ganz normaler Tag.“
„Was genau meinst du mit ganz normal?“ Stanley stutzte, als die Maschinen des Schiffes ratterten und sich ein grünblauer Planet vor den Brückenfenstern materialisierte. „Hübsche Welt“, merkte er an, bevor er zum Thema zurückkam: „Ist der normale Tag derjenige, an dem die Zollbehörden auf uns schießen, weil wir Schmuggler sind? Oder doch eher der, an dem uns irgendein schäbiger Hehler übern Tisch ziehen will?“
Natala wandte sich von der Steuerung ab, um grinsend zurückzugeben: „Na also, da ist dein Pessimismus wieder – ich hab mir fast schon Sorgen gemacht.“
Stanley war sich ihre freundschaftlichen Frotzeleien gewohnt, sie machten die oft langweiligen Fahrten erträglicher und nach all den Jahren, die er mit Natala gereist war, war sie seine beste Freundin geworden. Selbst wenn das bislang nicht sein Tag war, freute er sich auf ein wenig Sonne und eine laue Brise. Vielleicht hatten sie Glück und ihr Kunde versuchte ausnahmsweise nicht, sie nach der Übergabe hinterhältig zu ermorden.
„Verdammt, ich hasse den Wind“, brummte Stanley so leise, dass bloß er es hörte und schlug den Kragen seiner viel zu dünnen Jacke hoch. Selbstverständlich hatten sie da landen müssen, wo der Regen in sein Gesicht peitschte. Wahrscheinlich gab es auf dieser Welt einige erholsame Ecken, diese Farm an der stürmischen Küste gehörte heute zweifelsohne nicht dazu. Natala kehrte eben zur Laderampe der Promise zurück und rief ihm zu: „Wir haben alles geklärt und können gleich abheben.“
„Super, je schneller wir von diesem Hinterwäldlerloch weg sind, desto besser. Ist eher ungewöhnlich, direkt bei einer Farm zu landen, sogar wenn man Drogen transportiert. Normalerweise hat man noch einen Hehler.“
„Was denn?“, lachte Natala. „Passt perfekt zum Motto: ‚Frisch vom Feld auf den Schwarzmarkt‘. Irgendwo müssen ja auch all die armen Tölpel, die auf Raumstationen leben, ihr Pyrianagras herkriegen.“
Mit einem Glucksen folgte Stanley ihr ins Innere des Schiffes und hieb auf den Schalter, der die Laderampe von innen verschloss.
War es schon Morgen? Verwirrt sah Stanley sich in seiner Koje um, griff nach seinem Com und las die holographische Uhr ab: Halb drei, mitten in der Nacht. Er erhob sich mit einem Grunzen, wach war er mittlerweile sowieso, also konnte er sich genauso gut bewegen. Unsicher, wieso er aufgewacht war, zog er den Morgenmantel über seinen Pyjama und schlenderte auf den Gang, der einmal längst durch den ganzen Schmugglerfrachter führte. Was, außer Spazierengehen oder Sport konnte man an Bord eines Sternenschiffes schon groß tun?
Sein Weg führte ihn nach vorne und die Treppe hinunter zum Laderaum, in dem sich die Frachtboxen auftürmten wie die Wolkenkratzer einer Metropole. Zwischen der Ladung schlendernd ärgerte sich Stanley, er hatte geglaubt, seine schlaflosen Nächte und Albträume lägen mittlerweile in der Vergangenheit, sehr zu seinem Verdruss war dem nicht der Fall. „Ja, klar, das war ein ganz normaler Tag“, bemerkte er sarkastisch, während er zwischen dem Fracht-Tetris hindurchschritt. Er wusste, würde er sich jetzt aufregen, wäre es mit dem Schlaf endgültig vorbei, also versuchte er, an etwas Anderes zu denken. Die Drogen in ihren Frachtboxen kamen ihm gerade ziemlich verlockend vor, er wusste aus eigener Erfahrung, wie beruhigend Pyrianagras sein konnte, trotzdem hatte er vor, sich anders zu entspannen. Langsam wurde er wieder ruhiger, beinahe zuversichtlich, bald weiterschlafen zu können, als er um eine Ecke bog, in ein Augenpaar starrte und ein Geräusch vernahm, das wie eine Mischung aus einem Alarmhorn und einem Gurgeln klang.
„Scheiße!“, keuchte er panisch auf und nahm einen Hechtsprung rückwärts, wobei er über seinem Morgenmantel stolperte und hart auf den Hintern fiel.
„Natala?“
„Was um willst du? Es ist mitten in der Nacht!“, erklang das entnervte Greinen aus Stanleys Com. Er antwortete: „Es ist besser, du kommst in die Ladebucht, wir haben einen blinden Passagier. Ist aber schwierig zu erklären.“
„Schon wieder? Was sind wir, ein Starbus, verdammt?!“ Ein Rascheln war zu hören, vermutlich wuchtete sie sich aus dem Bett. „Schon gut, bin gleich da.“
Es dauerte nur kurz, bis Natala in ihrem Pyjama in den Laderaum hastete, wobei sie auf der Treppe nach unten einfror und auf das Wesen deutete, das seelenruhig mitten zwischen den Frachtboxen stand und sie neugierig anglubschte. „Was um alles in der Galaxis ist das?“
„Ein Lama“, stellte Stanley trocken das Offensichtliche fest.
Natala brach in Gelächter aus und setzte sich auf die metallene Stufe. „Ich fasse es nicht, wir sind ein Viehtransporter.“
„Das muss sich reingeschlichen haben, als wir auf der Farm waren“, spekulierte er, ehe er die naheliegende Frage stellte. „Und was machen wir jetzt mit einem Lama, bitte?“
„Woher soll ich das wissen? Umkehren können wir keinesfalls, wenn wir die Deadline schaffen wollen.“
Stanley kratzte sich am Kopf. „Also behalten wir es wohl oder übel. Was fressen die Dinger eigentlich?“
„Hm“, machte Natala ratlos. „Gras? Heu?“
„Ja, davon gibt’s auf einem Sternenschiff immer eine ganze Menge. Im Ernst, ernärt es sich nicht von Drogen, wird es die ganze Reise über sehr hungrig sein.“
„Wir haben mehrere Säcke Reis“, sinnierte Natala. „Essen Lamas Reis, wenn es auf der Speisekarte steht?“
Stanley konnte sich einen trockenen Kommentar nicht verkneifen. „Ich bin in der Stadt aufgewachsen, da hat man keine Lamas aufgebaut.“
„Na dann, wir werden es schon früh genug herausfinden. Egal, jetzt bin ich müde und gehe weiterpennen, das ist mir zu blöd – wenn ihr mich also entschuldigt …“ Damit machte sie sowohl vor Stanley als auch vor dem Lama einen kurzen Knicks, wandte sich um und ging die Treppe hoch.
Stanley blieb zurück, musterte das Tier, das gelangweilt dastand und ins Leere gaffte. „Ja, klar. Ein ganz normaler Tag.“