Oster-Special | Mirco und René im Wald

Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.

„Mensch, du gehst mir voll auf den Zeiger!“ Zornig kickte Mirco einen Stein weg und zischte erstickt. Unvorsichtig wie er war, hatte er ein zu großes Exemplar für seinen Wutausbruch ausgesucht und sich die Zehennägel ins Nagelbett gerammt. Zugeben würde er das natürlich nie, zumindest nicht vor dem Vollidioten, der in seiner Nähe nach Eiern suchte. „Geh gefälligst woanders hin, Wald und Wiese sind weit genug, es gibt also keinen Grund, mir in die Quere zu kommen!“
René durchsuchte gerademal drei Meter entfernt eine Haselstaude und presste entnervt murrend hervor: „Boah, dann lauf mir eben nicht nach!“
„Ich?!“, empörte sich der Kleinere. „Du dackelst mir nach wie ein Hündchen. Neulich beim Leichenschmaus bist du auch auf meine Bank gekommen.“ Mirco legte sich auf den Bauch, um so weit wie möglich ins Gebüsch reinlangen zu können. „Aber das nützt dir nichts, ich werde die schöneren Ostereier finden als du, egal welche Tricks du versuchst.“
„Pah, als ob! Und überhaupt, was kann ich dafür, wenn unsere Eltern ständig miteinander sprechen, du Blödmann?“, maulte René und sah sich am Waldrand um, ehe er noch tiefer ins Gestrüpp kraxelte. „Aua!“ Mirco grinste fies, während der andere wild fuchtelnd in einigen Ästchen hängenblieb und jaulte: „Brennnesseln!“

„Sag mal, hat der Pfarrer all die Eier versteckt?“, unterbrach René die eisige Stille zwischen ihnen, die bereits eine gute Viertelstunde angehalten hatte.
Mirco schaute auf, legte den Kopf schief und lachte. „Wie blöd bist du denn? Der Alte sitzt den ganzen Tag im Kirchgarten und säuft Milchkaffee oder Schnaps, der ist nimmer fit genug.“ Glucksend rupfte er einige Grashalme aus und warf sie dem anderen an die Brust. „Da ist es wahrscheinlicher, dass der Osterhaste gemeinsam mit dem Nikolaus die Eier selbst gelegt und ausgeliefert hat.“
„Oh Mann, jetzt sei mal nicht so fies“, erwiderte René heimlich schmunzelnd und legte ein weiteres bemaltes Ei in seinen Korb. „Der Priester ist ein netter Typ.“ Zudem war er sich sicher, weder der Nikolaus noch der Osterhase waren Mädchen und legten dementsprechend keine Eier – oder hatte er die Mutter da falsch verstanden?
„Klar, Gott ließe ihn in Flammen aufgehen, wäre er es nicht.“ Mirco fand das überaus lustig, René hingegen mochte keine Witze über das Fegefeuer, dort war nämlich seine Oma, meinte der Papa, und das stimmte ihn traurig. Er schluckte und fing sich wieder, naja, er schaffte es zumindest, Fassung vorzugaukeln und posaunte: „Ha! Ich habe bisher die größeren Eier.“
„Angeber … Arschloch“, brummte Mirco den schlimmsten Fluch, der ihm einfiel, allerdings ein wenig zu leise.
„Was?“, erkundigte sich René.
„Vergiss es.“ Mirco war ein wohlerzogenes Kind, so leicht wollte er sich von dem Großmaul nun doch nicht geschlagen geben, weshalb er schnippisch sagte: „Willst du etwa einen Lutscher als Belohnung, oder was?“
René starrte seinen verbalen Kontrahenten erst irritiert, dann herausfordernd an. „Du kannst mich mal lutsch…“, unterbrach er sich mitten im Satz und blieb wie angewurzelt stehen. „Hey, wo sind wir?“
„Im Wald, wo denn sonst, du Dumpfbacke?“ Trotz seiner verschnupften Antwort hielt auch Mirco inne und machte ein erschrockenes Gesicht. „Verdammt, wir haben uns verlaufen.“
„Genau das passiert, wenn du nur an deine scheiß Eier denkst und mich mit eierlegenden Nikoläusen und Hasen verarschst, statt dich auf den Weg zu achten. Das ist alles deine Schuld!“
„Bitte?! Wieso meine Schuld?“, gab Mirco entrüstet zurück. „Du sammelst wie ein Wahnsinniger und hast viel mehr in deinem Korb, was denkst du di…“
„Eben!“, fuhr ihm der Blonde ins Wort. „Wenn du schon keine Eier entdeckst, könntest du wenigstens den Weg im Auge behalten. Himmel, du taugst zu gar nichts.“
„Du kannst mich mal, du … du faules Ei!“

Einen prüfenden Blick auf seine Armbanduhr werfend, stellte René fest: „Wir haben seit einer halben Stunde keine Eier mehr gefunden.“
„Hm, kann sein.“ Mirco erinnerte sich vage daran, in einer Sendung mal gehört zu haben, man könne die Himmelsrichtungen vom Moos an den Bäumen ablesen. Da er aber keine Ahnung hatte, ob die Kirche im Norden, Osten, Süden, Westen oder irgendwo dazwischen lag, half das ihnen auch nicht weiter, also überlegte er laut: „Wir sollten Spuren lesen.“
„Wir sind keine Indianer“, konterte sein Leidensgenosse übellaunig.
„Mann, das ist schlimmer als bei ‚The Simpsons‘, du weißt schon, die Episode mit der Ostereierjagd des Bürgermeisters.“
„Dö Simpsons“, äffte René Mircos englische Aussprache nach. „Kannst du nicht einfach ‚Die‘ sagen?“
„Was kann ich dafür, wenn … wenn deine Eltern dich für zu doof fürs Frühenglisch halten?“ Mirco hielt dem anderen seinen Zeigefinger unter die Nase.
„Ich doof?“, erzürnte sich René sogleich. „Du bist der stammelnde Idiot, der nicht mal das kann“, zeterte er, seinen Mittelfinger ausstreckend.
„Halt die Klappe.“ Mirco war stehengeblieben und sah sich um, bevor er mit der lockeren Bestimmtheit, die Kindern eigen ist, in eine beliebige Richtung deutete. „Von da sind wir gekommen. Gehen wir.“
„Woher willst du das wissen? Sag bloß, du liest den Sonnenstand ab, du Hobbypfadfinder“, keifte René und war hin- und hergerissen – es wäre ja toll, wenn Mirco das könnte, gleichzeitig missgönnte er dem englischsprechenden Prahler den Erfolg.
„Nein, du Trottel, sperr deine Glubscher auf! Da geht es abwärts und wir sind vorhin den Hügel hochgelaufen.“ René gab sich geschlagen und zottelte, leise Verwünschungen in seinen imaginären Bart murmelnd, neben Mirco über Wurzeln und durch dichte Farne.

„Hier ist nichts!“, wetterte René wild gestikulierend. „Haben dich deine Eltern auf einer Zwangsversteigerung gekauft oder was? Da behauptest du, wir finden den Weg und was geschieht? Wir stehen noch immer im Wald, so blöd muss man erstmal sein!“
„Sei nicht so ein Vollarsch!“, fuhr in Mirco an. „Sowas sagt man nicht!“ Nachdem er sich beruhigt hatte, ergänzte er beleidigt: „Das war total unfair, René, meine Eltern streiten sich eh ständig …“ Die Augen seines Gegenübers weiteten sich. „Deine auch? Scheiße Mann, das tut mir leid.“
„Naja, nicht tragisch“, relativierte Mirco seine Aussage. „Ist nicht so, als würden sie sich scheiden lassen oder so, sie sind nur etwas gereizt. Du weißt schon, viel Arbeit, wenig Geld.“ Er trat erneut gegen einen Stein, darauf bedacht, dieses Mal einen kleineren auszusuchen.
„Kenne ich“, flüsterte René und klopfte seinem Kameraden auf die Schulter. „Wird bestimmt bald wieder.“
„Danke.“ Sie gingen eine Weile schweigend weiter den Hügel hinunter, bis Mirco den Mut aufbrachte, seine Gedanken laut zu äußern: „Eigentlich bist du ganz in Ordnung, wenn du nicht gerade nerv…“
„Warte“, stieß René plötzlich aus und zupfte am Ärmel des Kleineren. „Vielleicht bist du nicht so blöd wie ich gedacht habe. Dort drüben ist ein Osterei, da, unter dem Farn.“
Mirco folgte dem Fingerzeig, erspähte das bunte Ei und rief aufgeregt aus: „Hey, du hast Recht!“ Hastig ergriff er das Fundstück und hielt es René entgegen. „Du hast es zuerst gesehen, das ist deines.“
„Nee, lass mal. Du hast es hochgehoben, das ist alles, was zählt“, lehnte der Blonde lächelnd ab.
„Schere, Stein, Papier? Oder wollen wir darüber streiten, wer von uns der nettere ist?“, schlug Mirco nun ebenso lächelnd vor.
Der andere winkte ab. „Ich habe Hunger, wir essen die Dinger besser auf dem Rückweg. Fragt sich bloß, wo der Waldrand ist.“
„Immer deinen Eiern nach“, erklärte Mirco im besten Klugscheißer-Tonfall und die beiden brachen in Gelächter aus.

„Junge, wo bist du gewesen?“, rief ihnen Renés Vater entgegen, als die beiden Buben unter den Tannen hervortraten. „Wir haben uns solche Sorgen um dich gemacht!“
„Im Wald“, antwortete René schulterzuckend. „Wir haben uns verlaufen, kann ja vorkommen. Keine Bange, Papa.“
„Von wegen ‚keine Bange‘.“ Sein Vater beugte sich zu ihm hinunter und wurde ernst: „Mach das nie wieder, ja?“
Leicht beschämt sah René zu Boden, während sich Mirco einige Schritte entfernt hielt und peinlich berührt wegschaute. „Ist gut, ich passe auf.“
„Sicher?“
„Sicher“, bestätigte der betretene Sohn.
„Gut.“ Das Gesicht des Vaters hellte sich rasch auf. „Jetzt gehen wir auf ein Eis, um all die schönen Eier, die du gefunden hast zu feiern, ja?“
„Echt?“, freute sich René und vergaß ob der Überraschung die unangenehme Schelte. Er wandte sich dem abseits stehenden Mirco zu und zögerte nur einen kurzen Moment. „Papa, kann Mirco mitkommen? Er hat auch coole Eier gefunden und uns zudem aus dem Wald geführt.“

Autorinnen: Rahel und Sarah
Setting: Wald und Wiese
Clues: Leichenschmaus, The Simpsons, Zwangsversteigerung, Milchkaffee, Lutscher
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