Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Diese Geschichte spielt im erweiterten Universum der „Promise“-Reihe.
Mit einem müden Seufzen erhob sich Yue von der Konsole, kniff die Augen zusammen, streckte sich und befahl: „Deckenleuchten aus.“
Die organischen Leuchtpaneele erloschen und glommen noch für einige Sekunden grünlich, ehe sie ganz dunkel wurden. Nun erhellten nur noch eine Schreibtischlampe und die Hologramme über der Konsole das Labor und die Wissenschaftlerin gähnte. Kurz liste sie zur Uhr, die über der Arbeitsfläche die Bordzeit projizierte: Bald drei Uhr früh. Yue schritt zu der Panoramafenster-Projektion, die den Planeten unter ihr zeigte. Die Terminatorlinie, die Grenze zwischen Tag und Nacht, zog sich wie ein mit dem Pinsel gemalter diagonaler Strich quer über die grünblaue Kugel. Kein Licht von großen Städten, kein Zeichen von Zivilisation war auf der Nachtseite mehr zu sehen, ein Anblick, der die Wissenschaftlerin schaudern machte – diese Welt, die Menschen, die darauf gelebt hatten, waren tot. Sie wandte sich entschlossen ab und trat zurück an die Konsole, es lag nun an ihnen, zu verhindern, dass dies mit weiteren Welten geschah. „Hm“, murmelte sie, als sie einige Befehle eintippte, damit das System die Proben des Zombievirus’, das die ganze Welt unter ihr ausgerottet hatte, weiter analysierte, danach wandte sie sich wieder dem Panorama zu, um auf die Resultate zu warten.
Irgendwie wollte ihr der Planet nicht aus dem Kopf gehen, sie fragte sich, was die Leute erlebt hatten, bevor sie das Zeitliche segneten. Hier, weit über dem Desaster an Bord eines Zerstörers der Raumflotte, musste sie sich keine Sorgen machen. Höchstens ein Krieg von galaktischem Ausmaß konnte dem monströsen Kampfschiff etwas anhaben, dachte sie sich. Nein, ihre Faszination galt eher den Leuten, die nicht das Glück gehabt hatten, als Forscher für die Raumflotte zu arbeiten, sondern das Pech, auf dieser unbedeutenden Welt zu wohnen.
Drei Landungsboote des Militärs flogen vor dem Fenster vorbei und hielten auf einen Hangar in der Hecksektion ihres Zerstörers zu. „Die versuchen tatsächlich weiter, da unten Überlebende zu finden. Wie viele Soldaten haben sie schon so verloren?“, murmelte sie fasziniert und zuckte dann mit den Schultern, ehe sie in der Tasche ihres Labormantels nach einem Energieriegel kramte, jedoch keinen mehr fand. Dies war nicht die erste Katastrophe, die sie verhältnismäßig nahe miterlabt hatte, nur Angst hatte sie noch nie gehabt. Die Soldaten, die auf dem selben Schiff wie sie lebten, kämen nach ihren Dienstjahren nach Hause, konnten Kriegsgeschichten erzählen, und sie saß einfach in ihrem Labor und sah dem ganzen Trieben, das sie bestenfalls an emsige Bienen erinnerte, ungerührt zu. Damals, vor über zehn Jahren, als Yue eine Karriere als Forscherin bei der Flotte begonnen hatte, erwartete sie Abenteuer, Spannung, Reisen zu neuen Welten. Nun ja, die Welten sah sie, wenn auch meist bloß aus dem Panoramafenster, weitab von Kriegen, Atomwaffen oder Zombies. Aber selbst, wenn das mehrere Kilometer lange Kriegsschiff mal einen Konflikt schlichten musste, machte sie sich keine Sorgen, kein Gegner hatte etwas, das es mit dem Koloss aufnehmen konnte. Spannung oder gar Angst gab es in ihrem Leben nicht, daran hatte sie sich rasch gewöhnt, nur manchmal, wenn sie an einem schrecklichen Ort wie diesem waren, beobachtete sie das Grauen im Leben anderer mit einer morbiden Faszination. Hatte der Offizier, der zwei Kabinen neben ihrer lebte, vor wenigen Tagen einen seiner Untergebenen von einer Horde Untoter zerfleischt werden sehen? Sie wusste es nicht und selbst wenn, wäre es nicht Teil ihres Lebens, könnte sich genauso gut am anderen Ende der Galaxis abspielen.
Das Piepsen des Coms an ihrer Arbeitskonsole riss Yue aus ihren Überlegungen und sie nahm den Anruf an. Nahezu sofort erklang die Stimme vom Captain des Schiffes: „Doctor Wen, haben Sie bereits neue Erkenntnisse?“
„Nein, bislang noch nicht, Captain Hill“, antwortete sie, erstaunt, wollte er dies nachts wissen und war er überhaupt wach. „Doctor Takinawa und Symanski schlafen derzeit, ich halte allein die Stellung.“
„Denken Sie, dass Sie bald einen Impfstoff entwickeln können?“
Nun war Yue hellhörig geworden, konnte zu ersten Mal seit Jahren eine leichte Anspannung verspüren. „Nein“, erklärte sie. „Das Virus ist sehr komplex, das wird sicher noch einige Tage dauern.“ Sie machte eine Pause, ehe sie sich erkundigte: „Sir, was ist der …?“
„Wecken Sie Symanski und Takinawa, am besten das ganze Team. Und wenn Sie bei Ihnen im Labor sind, verriegeln Sie die Tür, Wen.“
„Verstanden, Sir. Gibt es etwas, was wir wissen müssten?“
„Vier unserer Soldaten wurden auf dem Planeten gebissen und sind nicht in mehr in der Quarantänestation. Wir müssen sie finden, bis dahin sollten Sie das Labor nicht verlassen.“
„Wann wurden sie gebissen?“, erkundigte sich Yue und begann zu rechnen. Vier bis fünf Stunden dauerte es, bis jemand nach einem Biss zum Zombie wurde, die Rückreise vom Planeten mit dem Landungsboot und Dekontamination der Kleidung alleine dauerten mindestens zwei Stunden, also …
„Vor sechs Stunden.“ Der Captain wusste genauso wie sie, was das bedeutete, daran hegte sie keine Zweifel.
„Verstanden, ich wecke das Team, Sir. Wir geben Ihnen ein Update, wenn wir Neuigkeiten haben.“
Als der Captain die Verbindung trennte und Yue einen Konferenzanruf an ihre Kollegen aus der Forschungsabteilung startete, konnte sie ein Kribbeln im Bauch spüren, ein unangenehmes Gefühl, das sich langsam ausbreitete. Würde sie heute wieder daran erinnern, was Angst war? Gab es tatsächlich auch für eine Langweilerin wie sie so etwas wie Abenteuer oder artete diese Situation so aus, dass sie sich wünschte, nie bei der Raumflotte angeheuert zu haben? Gerade als sich ihre Vorgesetzte, eine sichtlich verschlafene Takinawa, als Hologramm über der Konsole materialisierte, erklang nicht weit von der Tür zum Labor ein gepeinigter Schrei eines Raumsoldaten. „Nein, nein …“ begann sie, unterbrach sich und rannte panisch zur Tür, um sie zu verriegeln, die besorgten Nachfragen der Kollegen ignorierend. Nun war ihr klar: Diese Nacht würde sie Emotionen kennenlernen, die sie in ihrem Job seit Jahren nicht zu verspüren geglaubt hatte.