Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
„Mit unserer Flatrate steht Ihnen …“ Ich blende die Stimme des Kundenberaters aus, der eine andere Kundin berät (was Kundenberater halt tun) und sehe mich gelangweilt im Handyshop um, welcher mit Geräten aller erdenklichen Marken und Zubehörregalen vollgestellt ist. Die alte Matratze in meinem engen Apartment, der Inbegriff der Unbequemlichkeit, wirkt luxuriös und geräumig verglichen mit dem Fleckchen freien Boden unter meinen Füssen; wie sich irgendein Mensch in diesem Geschäft bewegen kann, ist mir ein Rätsel. Ein Rascheln lässt mich herumfahren und nach einem Moment verwirrten Umhersehens begreife ich, es ist lediglich das Prasseln der von heftigen Böen gegen die Schaufenster gewehten Regentropfen. Entspannter beobachte ich, wie die Kundin, die wie eine typische Oma aussieht, eine Frage stellt: „Ach, und mit dem Dings kann ich dann alle gratis anrufen?“
„Nun ja, mit dem Abo von ‚PhoneCom Mobile‘ können Sie sämtliche Festnetz- und Handynummern desselben Anbieters kostenlos anrufen, auf andere Netze dagegen ist der Tarif …“
Stillschweigend die Tatsache akzeptierend, dass es länger dauern wird, widme ich mich meinen eigenen Überlegungen. Selbstverständlich hätte ich in eine größere Filiale mit mehr als bloß einem gestressten Verkäufer gehen können, aber ich habe meine Gründe, hier, wo sich niemand um die Vorschriften kümmert, vorbeizukommen. In einer Welt, in der beinahe jeder Polizist eine Body-Cam trägt, ist Datenschutz wichtiger denn je. Und aus genau deshalb will ich meine Prepaid-SIM-Karten in einem Laden kaufen, wo keiner auch nur einen flüchtigen Blick auf meinen Ausweis wirft.
Derweil hat der Berater offenbar begonnen, Abos zu vergleichen. „… ‚Cell Sprint‘ bietet eine größere Datenflat an und hat …“
Ob sich die Oma mit ihrer Datenflat auskennt, wundere ich mich, da vernehme ich sogleich ihre Antwort, „dieser moderne Kram“ sei ihr egal, sie wolle einfach mit Martha telefonieren. Diese Martha scheint eine geschätzte Quasselstrippe zu sein, denn die Oma lässt sich ein teures Abo aufschwatzen.
Erneut verliere ich das Interesse und scanne die Umgebung, Vorsicht ist besser als Nachsicht, wie man so schön sagt. Ein anderer Kunde wartet vor mir, ein Mann um die Fünfzig, der einen lädierten Laptop unter den Arm geklemmt hat. Es könnte noch ein Weilchen dauern, doch das macht mir nichts aus, versuche ich mir einzureden. Für seine Privatsphäre tut man ja alles, was nötig ist, selbst wenn das bedeutet, lange an einem Ort zu bleiben, was für jemanden wie mich wiederum Gefahren mit sich bringt, schließlich … Die Oma, die eben mit ihrer Kreditkarte bezahlt hat und sich nun auf den Weg macht, unterbricht meinen Gedankengang abrupt, bald wäre ich an der Reihe. Glücklich über ihr neues Gadget watschelt sie an mir vorbei, lächelt mir zu und entschwindet in den Regen.
„N’Abend, der Herr, was kann ich für Sie tun?“, begrüßt der Verkäufer meinen Vordermann, welcher seinen Computer auf den Tisch stellt und sich erkundigt: „Haben sie ein Laptopscharnier für das Modell? Mein Bildschirm hält nicht mehr.“
Verblüfft mustert der Verkäufer das Gerät, während ich mich umdrehe und die Straße hinter mir ebenso skeptisch beäuge; alles in Ordnung. „Es tut mir leid, wir reparieren Handys. Ich denke, der Computerladen um die Ecke könnte Ihnen da weiterhelfen.“
Mit einem gebrummten „Danke“ zottelt der Mann von dannen und endlich bin ich an der Reihe.
„Womit kann ich Ihnen dienen?“
„Guten Abend, ich brauche sechzehn Prepaid-Handys.“
„Sechzehn …?“ Der Verkäufer starrt mich argwöhnisch an, ehe er mit den Schultern zuckt. „Sicher. Welches Modell möchten Sie?“
„Ich nehme jeweils das, was grad am günstigsten ist“, erkläre ich höflich und unterdrücke die langsam aufkommende Nervosität. Die kritische Miene des Verkäufers hilft wenig, den, welcher letzthin hier, war mir lieber gewesen. Ich bleibe geduldig, bis der misstrauische Mann die Handys aus dem Lager geholt, gescannt und in eine Tüte gepackt hat. Immerhin macht er keine Konversation übers miserable Wetter, das ist ein gutes Omen. Normalerweise kommt es einem so vor, als gäbe es ein geheimes Bündnis unter dem alles Verkäufern der Welt, sich mit jedem Kunden über den kleinsten Wolkenbruch zu unterhalten.
Sehr zu meiner Freude ist er fertig geworden und ich krame die Hunderternoten aus meiner Brieftasche, um ihn zu bezahlen, als er meint: „Jetzt müsste ich noch einen Ausweis sehen, Sie wissen schon, die Vorschriften. Ein Führerausweis sollte eigentlich reichen.“
Verdammt, ich habe gehofft, er übersehe diese Formalität, in diesem Laden haben sie noch nie danach gefragt; offenbar waren die anderen nur faul gewesen. Nun muss schnell eine Ausrede her. „Ich habe leider keinen Ausweis dabei“, lüge ich mit der besten entschuldigenden Mine meines Repertoires. Da die Positionen klar sind, vermag mich sein Angebot kaum zu erstaunen: „Ich stelle den Einkauf gerne vierundzwanzig Stunden für Sie bereit, wenn Sie mit einem Ausweis wiederkommen möchten?“
„Sehr gerne, danke“, entgegnete ich, wohl wissend, dass ich das niemals tun werde und stark vermutend, dass ihm das bewusst ist.
Ich danke ihm, verabschiede mich mit einigen Floskeln und wünsche ihm einen schönen Abend, ehe ich auf den Ausgang zu schlendere. Zwar habe ich nicht gekriegt, wofür ich gekommen bin, aber das ist kein Problem, es gibt unzählige andere Läden und Kioske in der Stadt, die Prepaid-Handys führen, ich werde schon fündig. Gerade, als die Tür hinter mir zufällt, werde ich gepackt, hart auf den Boden gedrückt und höre die routinierte Stimme eines Cops, der meinen Namen nennt und dann fortfährt: „Sie sind verhaftet. Alles, was sie sagen, kann …“.
Es ist nicht Paranoia, wenn sie wirklich hinter dir her sind. Nun ja, ich hoffe, wenigstens die Oma ist zufrieden mit ihrem Besuch im Handyshop.