Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Diese Geschichte ist Teil der lose verbundenen Story-Reihe „Weihnachtsdorf“.
Mit einem pathosgeladenen Seufzer ließ sich Marcel auf den Armsessel fallen und starrte auf das prasselnde Kaminfeuer. „Wer hätte gedacht, ein Musical zu schreiben sei so schwer?“
Liv, seine Verlobte, sah von ihrem Roman auf und frotzelte: „Ich, darum schreib ich keines.“
„Na super“, gab er trocken zurück und legte das Notebook weg, dem Drang widerstehend, es ins Feuer zu werfen. „Wieso habe ich meine doofe Musical-Idee bloß öffentlich angekündigt? Jetzt erwartet der ganze Nordpol, dass ich abliefere. Ich hätte einfach eine weitere Parodie raushauen können, alle mögen die – sogar der Alte.“
„Santa mag alles, dem gefiel sogar ‚Fry Hard‘.“ Liv kicherte. „Na ja, außer die Rentiere strullen beim Fliegen, dann lässt der Schimpfworte vom Stapel, die ich niemandem zumuten möchte.“
„Hat dir mal ein Rentier bei minus vierzig Grad ins Gesicht gepinkelt?“ Marcel vergäße seine Erfahrungen mit dem gelben Eisregen am liebsten. Manchmal beneidete er Liv um ihren Geländewagen, der zwar schlecht flog, dafür auch nicht urinierte.
Ohne auf seine rhetorische Frage einzugehen, kam sie aufs Thema zurück. „Also, wann wird ‚The Phantom of the North Pole‘ endlich fertig? Du wolltest das doch noch vor Weihnachten aufführen und geprobt muss es auch noch werden.“
„Ach“, brummte Marcel und erhob sich, um sich einen Kakao zu holen – das einzige Getränk, das alle Elfen lecker fanden. „Wenn es so weitergeht, niemals.“
Liv rieb ihre spitzen Ohren und setzte sich näher ans Feuer. Seit das Paar aus ihrem Apartment in eine Blockhütte mit Aussicht auf das Weihnachtsdorf umgezogen war, vermisste sie die Zentralheizung, obschon sie sonst mit dem neuen Heim sehr zufrieden war. „Ach, wollen der Monsieur etwa aufgeben? Ist es so hart, Indie-Künstler am Nordpol zu sein?“
„Ein echter Hipster-Elf gibt nie auf“, wetterte Marcel und wich der Katze aus, die um seine Beine wuselte. Vor einer Weile hatte er mitbekommen, wie seine Schauspieler ihn hinter seinem Rücken so nannten und den Begriff zum Trotz übernommen – ironisch, versteht sich.
„Also, erzähl, was hast du?“
„Bisher einzig die Geschichte des Phantoms, ohne die Musik – ein verhexter Nikolaus, der sich durch Wände teleportieren kann und Schokolade aus den Strümpfen am Kaminsims klaut. Er will den Fluch brechen und Geschenke verteilen, dummerweise kann er das nicht alleine, also braucht er die Hilfe von …“
„Halt mal“, unterbrach ihn Liv und deutete aufs Fenster. „Siehst du das?“
Marcel folgte ihrem Fingerzeig und beobachtete, wie nacheinander unfassbar viele Schlitten auf der Eisbahn landeten. „Ja, die Hochsaison hat begonnen“, stimmte er zu, ehe er wieder zu seinem Sessel ging und den Laptop aufklappte. „Trotzdem sollte ich mal weitermachen.“
Nach einer halben Stunde stoppte Marcel erneut seinen Schreibfluss. „Das wird nie was, verdammt – ich werde alt!“
„Na ja“, warf Liv ein, „früher hattest du auch deine kleinen Helferlein, aber als wir in einer WG mit Santa wohnten, konntest du ja nicht mehr …“
„Ich bin zu alt, um Marihuana mit Mistelzweig-Tabak zu rauchen. Irgendwann muss man damit aufhören, oder?“
„Böh“, machte Liv, stand auf und fischte einen Joint aus ihrem rot-weiß gestreiften Strumpf, der am Kaminsims hing. „Santa bringt mir die immer, also …“
„Du, sag mal, Santa bringt dir Drogen?“
„Ja klar, ich war brav!“, flötete sie, fröhlich die Glut entfachend. „Und wer brav ist, kriegt, was er sich wünscht, so will es das Gesetz!“
„Schon, nur …“ Marcel beäugte sie mit einem Stirnrunzeln. „Ich bin erstaunt, ist das für eine Wunschliste zulässig.“
„Tja“, meinte Liv schulterzuckend. „Ist ja auch egal, Hauptsache wir haben deinen Kreativstoff.“
Zögernd nahm er einen Zug von Livs Glücklichmacher und stellte erschrocken fest: „Das ist kein normaler Mistelzweig-Tabak, da ist Weihnachtsmagie drin!“
„Natürlich, das ist der beste Stoff“, lachte sie hell. „Alles knallt dich mehr zu, wenn du Weihnachtsmagie reinmachst.“
Skeptisch nahm Marcel einen weiteren Zug und sogleich tat die Weihnachtsmagie ihre Wirkung. Euphorisch packte er seinen Laptop und hämmerte derart schnell auf die Tasten, dass Liv schwindlig wurde. Rudolph Jr., die Katze, streichelnd, widmete sie sich wieder dem Joint und überließ ihren Verlobten seinem Musical.
„Fertig“, posaunte Marcel in die Stille hinein und stellte den Laptop gutgelaunt auf den Couchtisch. „Text geschrieben, Musik komponiert und morgen hau ich das Skript aus dem Drucker.“
Liv, die vor dem Kamin auf dem Boden saß, legte ihr Buch beiseite und streckte sich ausgiebig. „Siehste? Du musst dir halt Joints mit Weihnachtsmagie statt Starbucks-Gutscheine wünschen, das löst fast alle Probleme.“
„Dann gibt es weniger Frappucinos, das ist auch ein Problem“, gluckste Marcel, bevor ein lautes Poltern auf dem Dach ertönte. „Klausverdammte Rentierkacke, was ist das?“
Paranoid rückte Liv von Kamin weg und murmelte beunruhigt: „Ich habe ein verflucht mieses Gefühl bei der Sache.“
Im nächsten Moment rutschte Santa den Kamin hinunter und landete mit seinem fülligen Hintern auf den brennenden Holzscheiten. „Hohoho-ups!“ Ehe er Feuer fing, kletterte er aus dem Kamin und schaute sich im Wohnzimmer um. „He, ihr seid noch auf. Üblicherweise ist keiner mehr wach, wenn ich komme. Plus: in der Regel ist das Feuer aus.“
Perplex fixierte Liv den hereingepurzelten Fettsack. „Warum springst du ins Feuer?“
„Habe keine Zeit später, Weihnachtslieferungen“, erklärte der Nikolaus und wischte sich den rußigen Hosenboden ab. „Marcel, ich fülle deinen Strumpf.“
„Ich habe das Formular noch gar nicht ausgefüllt …“, holte Marcel aus, da machte sich Santa schon am Strumpf zu schaffen. „Hohoho. Nicht notwendig, ich weiß, was du willst.“ Damit drehte sich Santa um und strich über seinen Bart. „So, ich geh‘ weiter, es gibt heute Nacht ‘ne Menge Arbeit.“
„Warte, nimm die Tür, das ist viel …“, versuchte Liv den Dicken zur Vernunft zu überreden, doch Santa krabbelte bereits fluchend den Kamin hoch. Verwirrt kommentierte sie: „Nun denn … Okay.“ Erst nach kurzem Schweigen fragte sie ihren Verlobten: „Und, was hat dir das Phantom des Nordpols gebracht?“
Neugierig beugte er sich über den Strumpf und kramte eine Karte heraus. „Eine Starbucks-Geschenkkarte für Weihnachtsmagie-Frappucinos.“