Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
„Willst du nachher Takeout-Pizza für den Lunch im Büro mitnehmen?“, fragte Sandra, als sie an einem Weiher mit quakenden Enten vorbeischlenderten und Leon gab ein zustimmendes Geräusch von sich. Nach einigem Überlegen meinte sie: „Das Restaurant von Guiseppe hat eine ziemlich gute Auswahl.“
„Ja. Pass einfach auf, dass Bello diesmal nichts stiehlt.“
Sandra sah zu dem alten Bernhardiner hinunter, der gemächlich neben ihnen her trottete. „Keine Bange, der hatte schon was zu mampfen.“
„Wann hat das deinen Hund je davon abgehalten, mehr zu essen?“, feixte Leon und wirkte dabei unüblich nervös. Seine Spitze gegen ihren vierbeinigen Kumpel ignorierend, wollte Sandra wissen: „Okay, was ist im Busch? Dich beschäftigt was.“
„Sag mal – seit wir beim Konzern arbeiten, ist dir da was zu den Labors im Keller aufgefallen? Hast du je gehört, was wir da unten tun?“
„Du bist der, der da unten in der geheimen Einrichtung unterwegs ist“, lachte die Computerwissenschaftlerin. „Wir aus der Netzwerktechnologie-Abteilung haben dort keinen Zutritt, wie soll mir also was auffallen?“
„Schon“, murrte Leon und kratzte sich an der Schläfe. „Ich dachte bloß, du könntest Gemunkel mitbekommen haben.“
„Es wird spekuliert, ihr forscht fürs Militär oder die Regierung. Du beispielsweise bist einer der besten Physiker, die ich je getroffen habe – wieso sollten die dich anstellen, wenn nicht für etwas wirklich Großes?“
Das Duo hielt bei der Bank, wo sie nach ihrem Spaziergang über den Firmencampus die meisten ihrer Mittagspausen verbrachten. „Wieso meinst du?“ Leon setzte sich neben seine Arbeitskollegin, die mit ihrem Lackschuh einen Kieselstein wegkickte. Bello rollte sich zu den Füssen des Frauchens auf dem Gras zusammen und schloss entspannt die Augen.
„Nur so“, druckste Leon, seine beste Freundin durchschaute ihn sogleich. „Ach, komm du Genie. Du bist vielleicht mit einen Molekül-Baukasten und einem Astronomie-Buch in der Hand zur Welt gekommen, an Subtilität fehlt es dir allerdings gänzlich. Sag schon, was ist los?“
Mit einer Mischung aus Seufzen und Stöhnen lehnte sich Leon zurück, starrte in die Wolken und setzte sich dann ruckartig wieder gerade hin. „Ich darf nicht darüber sprechen und habe gehofft, es sei längst geleaked worden, dann hätte ich eine Ausrede gehabt, meine Freude zu teilen.“
„Okay“, tönte Sandra schulterzuckend. Früher oder später würde Leon von seinen neuen Erkenntnissen schwärmen, der Nerd hielt dank seiner Begeisterung für die Materie selten lange dicht. Leon sah so aus, als platze er gleich, so aufgeregt war er, da mischte sich Sorge in ihr Amüsement und sie erinnerte ihn: „Du darfst es mir nicht verraten.“
„Ich weiß“, brummte Leon und wühlte postwendend in seiner Umhängetasche, ehe er eine Quietschente zum Vorschein brachte und sie Sandra unter die Nase hielt.
„Oh toll, du hast ein Geschenk für Bello mitgebracht?“, freute sie sich, sie wusste, wie sehr Leon ihren sabbernden Gefährten liebte. Statt sie ihr wie erwartet zu übergeben, winkte er aufgebracht ab. „Nein, Sandy, die habe ich aus dem Labor mitgenommen! Ich weiß, ich weiß, ich sollte schweigen“, nuschelte er verlegen, bevor er euphorisch ausstieß: „Doch das ist so cool, wie könnte ich es dir nicht zeigen?“
Entgeistert musterte sie erst ihn, dann die türkis-gelbe Plastikente. „Hä? Ihr macht streng geheime Enten?“
„Nein, natürlich nicht“, gluckste Leon und kraulte Bello hinterm Ohr. „Ich habe einen Prototypen in einer der Enten von der Geburtstagsparty letzte Woche rausgeschmuggelt.“
„Prototypen von was?“ Sandra warf ihre Bedenken über Bord und beugte sich neugierig vor. Auch, wenn sie es sich weniger anmerken ließ, war sie ein ebenso großer Nerd wie er. „Erzähl schon!“
„Die Ente ist ein Portal-Generator.“
„Hä?“ Sandra kam ins Stocken, blinzelte perplex und legte die Stirn in Falten. „Du willst mich veräppeln.“
„Nein, wir haben eine kompakte Technologie entwickelt, die Portale an andere Orte öffnet. Heute Morgen habe ich es das erste Mal geschafft, eines für längere Zeit stabil zu halten.“
Sandra brauchte nahezu eine Minute, bis sie sich wieder gefasst hatte. „Leo, das wird die Welt verändern. Vermutlich die ganze Menschheitsgeschichte!“
Leon nickte stumm, tätschelte den Kopf des friedlich schlummernden Hundes und grinste glücklich vor sich hin.
„Und wieso hast du einen deiner eigenen Prototypen geklaut und in der Ente versteckt?“
„Ganz einfach, weil die Regierung an dem Projekt beteiligt ist, wenn die von unserem Durchbruch erfahren, werden sie das sicher unter Verschluss halten wollen. Denk an all die militärischen Anwendungen. Ich will meine Arbeit der letzten zehn Jahre nicht in der Versenkung verschwinden sehen, so habe ich etwas zur Hand, sollte es dazu kommen.“
„Und wie …“, setzte Sandra an, konnte den Satz aber nicht zu Ende bringen. Bello sprang auf, rannte zu Leon und schnappte sich die Ente. Sandra hätte schwören können, ihren Bernhardiner nie zuvor dermaßen motiviert gesehen zu haben. Leon gelang es nicht rechtzeitig, ihm das vermeintliche Spielzeug zu entreißen.
„Oh Gott, nein, wir dürfen nicht zu den gespeicherten Koordinaten springen!“, brüllte der Physiker, da wurden sie mitsamt Hund von einer gleißend-weißen Leere verschluckt. Oben wurde zu unten, alles fühlte sich schwerelos an und Sandra kämpfte gegen ein immenses Schwindelgefühl an. Sandra
Nach einer gefühlten Ewigkeit, die höchstens einige Sekunden gedauert hatte, fand sie sich auf einem blauen Teppich wieder und erblickte ihre beiden Begleiter, die neben ihr lagen und sich langsam aufrappelten. „Das ist ja unglaublich! Wo … Wo sind wir?“, stammelte Sandra, rieb sich über die Augen und erhob sich keuchend. Als erstes fiel ihr die Rundung der tapezierten Wand auf, dann der Adler auf dem hölzernen Schreibtisch und schließlich erkannte sie den Mann, der an dem Tisch saß und sie mit geweiteten Augen anstarrte. „Wir sind im Oval Office?“, stammelte sie ungläubig.
„Wer seid ihr und wie zum Teufel seid ihr hereingekommen?“, blaffte der Präsident und ging hinter seinem Schreibtisch in Deckung. „Security!“
„Oh Gott, nein, sorry! Ähm, also … wir … wir gehen gleich wieder, Mr. President …“, begann Leon verzweifelt gestikulierend, ehe er seine Arme resigniert hängen ließ und Sandra hilfesuchend anschaute. Sie war genauso überfordert wie er und wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Indes rannte Bello freudig wedelnd auf den Präsidenten zu und präsentierte diesem sein neues Spielzeug.