Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Ronnie F. war ein kleiner Gangster, der seine Jugend damit verschwendet hatte, ohne Ambitionen Brotkrumen zusammenzuklauen. Sein junges Erwachsenenleben hatte nicht viel anders ausgesehen und der irischstämmige Kerl hatte Vorstrafen gesammelt wie andere Leute Abziehbildchen. Langsam aber unaufhaltsam war Ronnie alt geworden, hatte seine Träume schon beinahe beerdigt und sich damit abgefunden, dass ein fünfzigjähriger Gauner es zu nichts mehr bringen würde. Bis vor kurzen zumindest, als er den perfekten Plan ausgekocht hatte. Und jetzt, genau heute, ja, sogar in diesen Stunden würde jedes Puzzleteilchen an seinen Platz fallen und die Pferderennbahn war der Ort, an dem Ronnies Leben eine unerwartete Wendung nehmen sollte.
Pfeifend schlenderte der magere Mann an dem Taxistand vorbei, der gleich vor dem Eingang lag. Die ganze Anlage war ein in die Jahre gekommener Bau aus den Fünfzigern, der vermutlich früher oder später zusammenkrachen und ein paar Buchmacher unter sich begraben würde. Doch wen kümmerte das schon? Das war Ronnies Tag, nichts und niemand konnte ihm die Laune vermiesen.
Zwei Männer, etwas jünger als der kleine Gauner, gingen gemächlich an ihm vorbei, er konnte einen Fetzen ihrer Unterhaltung aufschnappen. „… und das ist der Grund, warum diese Anfänger nicht auf die Polarisation geachtet haben. Du kannst dir ja vorstellen, was im Labor dann …“ Angewidert verzog Ronnie das Gesicht; Wissenschaftler, vielleicht sogar Professoren! Früher hätten solche Deppen, die sich mehr für Raumfahrt als fürs richtige Leben interessierten, an einem Ort wie diesem nichts verloren gehabt oder wenigstens den Eingang zu den Logenplätzen genommen, zusammen mit all den anderen reichen Schnöseln. Das hier war die richtige Welt, mit echten Leuten, kein Platz für angeberische Lackaffen, die den Bezug zur Realität verloren hatten! Ronnie hätte nicht mal so sehr etwas gegen diesen Menschenschlag, wenn die ihn nicht ständig daran erinnerten, dass ihm ein anderes Schicksal beschert war als ihnen. Sein Dad hatte getrunken, seine Mom geprügelt, eine Kindheit eben, wie sie viele im Meat District erlebt hatten. Heute gab man den Bälgern Mitleid, wenn sie hier und da mal ein paar Hiebe kriegten, doch was sollte das? Ihm hatte es ja auch nicht geschadet, immerhin war er gerade dabei, den Coup seines Lebens durchzuziehen! Er war ein verfluchtes kriminelles Meisterhirn und nichts und niemand könnte ihn nun noch aufhalten.
„Scheiße Mann“, keuchte der asthmatisch klingende Karl hinter ihm und Ronnie wandte sich in der großen Eingangshalle um. Karl, der ebenfalls für die Familien arbeitete, war an den Größeren herangetreten, er wirkte aufgeschreckt. Bevor Ronnie auch nur die Chance gehabt hätte, seinen Mund aufzumachen, sprudelten die Wort schon aus dem anderen heraus: „Die haben den Boss umgebracht! Verfluchte Kacke, das ganze Restaurant ist voller Blut, der Safe ausgeräumt …“ Karls Augen waren geweitet und Ronnie glaubte, seinen Angstschweiß riechen zu können. Bisher lief alles perfekt, es hätte keinen Deut schöner sein können. Doch er durfte jetzt nicht grinsen, nicht zeigen, dass alles zum Plan gehörte, also machte er ein bedrücktes Gesicht und klopfte dem Trottel auf die Schulter. „Ganz ruhig Mann! Wer sind ‚die‘ überhaupt?“
„Keine Ahnung, die Albaner, die Chinesen, die verfluchten fünf Familien? Woher soll ich das wissen?!“
„Polizei?“ Ronnie blieb ruhig. Vielleicht zu ruhig. Jemand, der nicht wusste, was passieren wird, würde wohl nervöser reagieren. Aber das war jetzt auch nicht wichtig, es würde schon werden.
„Was denkst denn du? Natürlich! Die haben Maschinenpistolen benutzt, das war ein verdammtes Massaker, die Bullen sind einfach überall!“
„Dann hat jetzt der junge Callahan das Sagen“, meinte Ronnie nachdenklich. „Ich frage mich, was er machen wird.“
„Na was wohl?“, fuhr in Karl an. „Das gibt Krieg! Sobald er herausfindet, wer dahintersteckt, wird er alles abmetzeln und wir sind die Fußsoldaten!“
„Wahrscheinlich hast du Recht.“ Ronnie konnte ein Grinsen gerade noch so unterdrücken, die Sache war auf dem rechten Weg. Er hatte genug Beweise hinterlassen, die auf die Italiener wiesen, dass der junge Callahan eins und eins zusammenzählen musste. Er würde all seine Kräfte mobilisieren, sich mit einem viel stärkeren Gegner anlegen und zweifellos ausgelöscht werden. Ronnie dagegen säße dann in einem Flugzeug zur anderen Küste, dahin, wo es immer warm war. Jeder würde denken, dass er es mit der Angst zu tun bekommen hatte und ihn einen Feigling schimpfen, während er sich mit der Kohle, die er dem alten Callahan abgeknüpft hatte, einen schönen Lebensabend machen konnte. Er war ein verfluchtes kriminelles Meisterhirn! Wieso hatte er nicht schon früher mehr gewagt, fragte er sich. Dann wäre er längst Millionär, daran bestand kein Zweifel!
„Hey Mann, hör auf herumzuträumen, wir stecken knietief in der Scheiße!“ Kacke, er hatte ganz vergessen, dass Karl auch noch da war! Rasch setzte Ronnie wieder seine ernste Miene auf und meinte: „Ich denke mal, das Rennen heute fällt aus.“
„Was ist bloß los mit dir? Du bist heute eine Enzyklopädie voller unpassender Reaktionen!“
„Sorry, das Ganze verwirrt mich gerade ziemlich übel“, murmelte Ronnie und begriff zum ersten Mal, dass er nicht annährend so gut darin war, dem anderen etwas vorzumachen, wie er selbst glauben wollte. Eine dumpfe Angst begann in ihm aufzukeimen und an seiner Überheblichkeit zu nagen. Hatte er einen Fehler gemacht? Doch es gab kein Zurück mehr, er hatte den Boss und ein paar seiner Lakaien mit Automatikwaffen niedergemäht, hatte den Safe leergeräumt. Er musste nur noch ein paar Tage durchhalten, dann wäre er weg von hier und alles in bester Ordnung.
„Na super, Cops“, bemerkte Karl trocken und Ronnie fuhr herum. Tatsächlich kamen mehrere uniformierte Officers und zwei Detectives in Zivil mit umgehängten Dienstmarken durch die fast leere Eingangshalle auf sie zu. „Die wollen wahrscheinlich wissen, ob wir was gesehen haben, jeder weiß, für wen wir arbeiten.“
Ronnie entspannte sich, er hatte nichts gesehen, sondern letzte Nacht brav geschlafen, zumindest würde er ihnen das erzählen. Sie konnten ihm nicht das Gegenteil beweisen. Alles wird gutgehen, beruhigte er sich und fragte, als die Polizisten herankamen: „Detectives, was können wir für euch tun?“
„Ronald Fusco?“, erkundigte sich der stämmige Mann im schwarzen Anzug und nahm ein Paar Handschellen aus der Tasche, während die anderen Cops ihre Waffen zogen. „Sie sind verhaftet. Sie haben das Recht zu schweigen, alles was Sie sagen …“
„Ja, ja, ich kenne meine Rechte“, unterbrach ihn Ronnie barsch. Er versuchte seine Panik mit einer Fassade aus Arroganz und Wut zu übertünchen, als die Handschellen hinter seinem Rücken zuschnappten. „Was wirft man mir denn verdammt nochmal vor? Ich bin ein unbescholtener Bürger!“
„Sechsfacher Mord“, erklärte die zweite Ermittlerin kühl und steckte ihre Waffe weg, hielt jedoch ein Auge auf Karl.
„Was?“, wetterte Ronnie. „Hat euch etwa ein Vögelchen gezwitschert, dass ich meine eigenen Leute ermordet haben soll? Bullshit!“
„Nein“, gab der Detective selbstzufrieden zurück. Sarkastisch fügte er hinzu: „Kleine Gauner wischen zwar die Fingerabdrücke von den Waffen, aber denken komischerweise nie an das Magazin.“
Ronnie wusste, dass er ein ernsthaftes Problem hatte. Die Legende des kriminellen Meisterhirns würde ziemlich sicher ein vorzeitiges Ende finden, bevor sie überhaupt geschrieben worden war; Irgendwo auf dem Boden von Rikers Island mit einem Messer in seinem Rücken.