„Eigentlich solltest du heute ein letztes Mal Geschlechtsverkehr haben, bevor dich die alte kastriert“, lachte Bertram. „Du weißt schon, heute hast du dafür eine Freikarte.“
„Das ist nicht, wie ein Polterabend funktioniert, nicht mal in der Nacht der Toten“, lachte Garry. „Treu bin ich seit dem ersten Date und hey, Freikarten gibt es nur im Schienenverkehr.“
„Blödsinn“, widersprach Kay sofort. „Weiß doch jeder, dass das bei der Bahn Monats- und nicht Freikarten sind. Eher die Geländewagen im Stadtverkehr, die haben Freikarten jedem die Sicht zu versperren.“
„Können wir bitte mehr trinken und weniger über Verkehrspolitik diskutieren?“, beschwerte sich Garry. „Ich bin ab morgen Ehemann, da darf ich ja wohl mal ein Bier ohne Politik genießen, ja?“
„Ein Bier? Ein einziges Bier? An einem Polterabend?“ Lachend sah Bertram sich an der Haltestelle um und sagte betont: „Der Busverkehr hier ist auch nicht mehr, was er mal war. Aber das kümmert unseren Garry nicht, denn da wo er hinzieht, braucht er das auch nicht mehr zu wissen, denn in der Agglomeration gibt es nur Überlandverkehr. Okay, vielleicht ab und an auch Geschlechtsverkehr, keine Ahnung, ob die weißen Gartenzäune die Leute scharf machen, aber …“
Kay versetzte dem alten Kameraden eine Kopfnuss. „Jetzt hör schon auf, langsam wird mir schwindlig von deinem Blödsinn.“
„Das war der Whisky in der letzten Bar, nicht der Blödsinn“, konterte Garry lachend, ehe er etwas ernster wurde. „Aber wenn wir jetzt mal den Blödsinn über den wir blödsinnigerweise diskutieren weglassen: Ja, ich möchte schon noch mal so richtig auf den Putz hauen. Ihr wisst schon, wie früher an Halloween.“
„Also du meinst …“ Bertram unterbrach sich, schwieg kurz und langsam aber sicher breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus. „Ja, du meinst. Die drei Musketiere sind zurück!“
„Das ist ein Riesenspaß“, frohlockte Bertram und entfernte sich tollpatschig schleichend von dem Briefkasten, durch dessen Schlitz er eben eine Mausefalle gestopft hatte. „Jetzt aber nix wie weg hier!“
„Hast du eigentlich eine Ahnung, wie viele Leute wir damit wirklich erwischt haben?“, keuchte der dreißigjährige Bräutigam in Spe, als das Trio die Straße entlang hastete. „Ich nicht.“
„Ganz sicher ne Menge“, gab Kay zurück, während sie ihren Schritt verlangsamten und in den Stadtpark bogen. Aber das mit dem Stolperdraht, da sind wir zu weit gegangen.“
Bertram gluckste. „Gut, es war sicher mies, hat sich der Thompson-Junge all die Zähne ausgeschlagen, aber es sah so lustig aus, als der auf die Fresse flog. Und so schlimm war das gar nicht, weißt du noch, die rostigen Heftzwecken auf den Klobrillen?“
„Stimmt, die habe ich schon vergessen – schade eigentlich, hauen wir nicht mehr wie früher auf den Putz.“ Nachdenklicher fuhr Kay fort: „Wieso haben wir eigentlich vor ein paar Jahren damit aufgehört? Halloween war immer unsere Nacht!“
„Na ja, Garry hat da schon die Cathy genagelt, ich studiert und du hattest eine kleine Krise, weil der Fünfjährige ins Gras gebissen hat …“, sinnierte Bertram. „Na ja, auch egal, Hauptsache wir sind wieder zusammen unterwegs.“
„Was, wie, wo? Welcher Fünfjährige hat ins Gras gebissen?“ Verwirrt starrte Gary seine bislang zweifelsohne kinderlosen Freunde an.
„Keine Ahnung wie der hieß, irgend so ein Balg halt“, brummte Bertram. „War damals, als wir die Sache mit dem Stolperdraht gemacht haben. Keine Ahnung wieso, aber ein Draht war zu hoch und hat den am nächsten Tag geköpft, als er mit dem Rad den Weg lang fuhr. Wir waren halt hackedicht damals, haben offenbar die Distanz zum Boden falsch eingeschätzt, kann ja mal passieren.“
„Halt mal …“ In Garys Gesicht breitete sich Entsetzen aus. „Wir haben ein Kind umgebracht? Und ich heirate an dem Jahrestag eines Mordes?!“ Er schnappte nach Luft, hatte tatsächlich vergessen, zu atmen, wie man es sonst nur in billigen Filmen sah. „Wieso habt ihr mit das nicht gesagt?“
„Öööööh“, machte Kay ratlos, „wir dachten wohl, du liest wie jeder normale Mensch die Zeitung und wolltest nicht darüber sprechen. Und klar, fünf war ein bisschen heftig, sonst waren es ja meistens eher Teenager.“
„Was, sonst?“ In der Dunkelheit waren die widerstreitenden Emotionen auf Garys Gesicht unsichtbar, sehr wohl aber seiner Stimme anzuhören. „Was meint ihr bitte mit ‚sonst‘?“
„Na ja, in den anderen Halloween-Nächten, die du nicht mit Cathy in der Kiste verbracht hast.“ Das Trio war stehengeblieben und Bertram hatte es sich auf einer Parkbank bequem gemacht. „Sonst, eben.“
„Ja aber … Wir haben doch nie … Scheiße!“
„Und ich dachte immer, wir hätten ein unausgesprochenes Bündnis“, brummte Kay enttäuscht und ließ den Kopf hängen. „Ich habe echt geglaubt, wir drei verstehen uns.“
Stille lastete über der Gruppe, ehe Bertram unvermittelt in Gelächter ausbrach. „Mensch, Garry, wie naiv bist du eigentlich? Hast wohl ein paar zu viel gehabt! Als ob wir Gift auf die Mausefallen träufeln und Kinder köpfen würden, Mann!“
Es dauerte eine Sekunde, ehe der künftige Bräutigam in das Gelächter einstimmte. „Echt, ihr Deppen, ihr habt mich wirklich reingelegt!“
„Och“, kicherte Kay, „wir würden doch nicht unsere letzte Nacht mit dir dazu nutzen, halbe Sachen zu machen.“ Damit bot er Garry ein High Five an und als dieser zum Abschlagen ansetzte, donnerte ihm Bertram von hinten einen großen Stein auf den Schädel. Das splitternde Geräusch des Knochens war das letzte, dass je von Garry zu hören sein würde.
„Sorry, Mann, aber Kay hat recht“, seufzte Bertram. „Ich dachte auch, wir hätten ein unausgesprochenes Bündnis.“
Kay kratzte sich am Kinn. „Ich verstehe ja, dass wir das tun mussten – aber im Park unter einer Laterne?“
„Ist doch jetzt alles egal.“ Bertram versuchte, seine Traurigkeit und Enttäuschung zu unterdrücken. „Wir können ihn in den Busch da hinten werfen, bis wir den Pick-Up geholt haben.“ Entschlossen, die schlechte Nachricht nicht die Oberhand gewinnen zu lassen, meinte er: „Wir müssen nach vorne sehen. Meinst du, Cathy wäre nach der Trauerzeit für unsere Späße zu haben? Immerhin, jetzt da Garry tot ist, hat sie mehr Zeit.“