Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
„Wo bist du? Komm zu Papa“, murmelte Rick ungeduldig, während er sich durch einen unlogisch organisiert wirkenden Haufen von Trödel wühlte und alles Erdenkliche über seine Schulter warf. Butch duckte sich weg, als ein metallener Kerzenhalter in seine Richtung flog und seinen Kopf nur knapp verfehlte. Er rief gereizt: „Volltrottel, ich will meine Birne behalten! Dank deiner Unfähigkeit werde ich früher oder später auf eine verdammt dumme Art den Löffel abgeben.“
Sue interessierte sich offensichtlich weder für den Streit noch für die Suche der beiden Männer, sie sass mit dem Rücken gegen die Ladentheke gelehnt da und starrte abwesend auf ein Gemälde neueren Datums, das eine Aquakultur zeigte, reihenweise Becken randvoll mit Fischen, die von der untergehenden Sonne in ein kitschig-rötliches Licht getaucht wurden.
„Bu-hutch?“, fragte Rick gedehnt und hielt in seinem offenbar erfolglosen Wühlen inne. Der Angesprochene hatte sich eine Zigarette angezündet und seinen Blick durch den, für die Nacht verlassenen, Trödelladen wandern lassen, nun wandte er sich seinem Kameraden zu. „Was denn, Mann? Such weiter, wir haben nicht ewig Zeit.“
„Ich weiss nicht, ob es eine gute Idee gewesen ist, die Kleine aus der Irrenanstalt zu kidnappen“, sagte Rick mit einem fragenden Unterton in der Stimme. Butch sah sich nach der, noch immer mit ihrem Krankenhaushemd bekleideten Sue um, die weiterhin das süssliche und gleichzeitig abstossend-industrielle Gemälde musterte und etwas vor sich hin nuschelte.
„Das ist nicht eine Entführung“, erklärte Butch überzeugt. „Ich habe ihr gesagt, dass sie mitkommen soll und das hat sie gemacht, also war es freiwillig. Ausserdem weisst du genau, dass wir sie brauchen.“
„Aber mit der Frisur sieht sie aus wie ein Mädchen aus einem japanischen Horrorfilm“, wandte Rick unsicher ein, augenscheinlich unglücklich über ihre aktuelle Lage. Butch begann langsam aber sicher seine Geduld zu verlieren, also trat er wieder zu Sue hinüber, die ihn kaum zu beachten schien und sagte dabei barsch zu seinem Kumpel: „Such weiter, irgendwann wirst du schon was finden.“
Als Rick seufzend wieder in die Berge aus Krempel eintauchte, setzte sich Butch neben Sue und sagte in seiner ruhigsten und beherrschtesten Stimme: „Also Mädchen, an irgendwas musst du dich doch erinnern, oder?“
Sue wandte ihm das Gesicht kurz zu und beäugte ihn, als ob sie ihn das erste Mal sehen würde, bevor sie stolz erklärte: „Haldol.“
„Nein, das haben wir hier nicht“, erwiderte Butch etwas ungeduldig. „Du musst mir nur sagen, wo der Schatz ist und dann besorgen wir dir deine Glücklichmacher.“
Sue lächelte abwesend und deutete auf Rick, der mittlerweile ein Regal zu durchsuchen begann. „Seine CPU ist kaputt, er ist zu langsam.“
Butch musste ein kurzes Lachen unterdrücken, besser hätte er den Junkie nicht beschreiben können, doch er wollte jetzt nicht mit einer Verrückten über seinen Freund lästern. „Jetzt komm schon, dein Daddy war reich, wo ist sein Schatz?“
Sue machte einen Schmollmund und schüttelte vehement den Kopf. „Du musst ihm einen neuen Prozessor kaufen, sonst explodiert er bald.“
„Rick ist kein kaputter Computer, er ist nur ein Trottel“, begann Butch genervt, unterbrach sich aber, als er seine wohl beste Idee seit langem hatte. Er fuhr im freundlichsten Tonfall seines Repertoires fort: „Das würde ich ja gern, aber ich kann Rick erst reparieren, wenn ich den Schatz finde, den dein Daddy vor seinem Tod hier in seinem Laden versteckt haben muss. Kannst du mir dabei helfen?“
„Schatz?“, fragte Sue verwirrt, bevor sie den Kopf schüttelte. Dann deutete sie auf einige hölzerne Boxen, in deren Deckel verschiedene Tiere eingraviert waren. „Schmetterling.“
„Na also, geht doch“, sagte Butch zufrieden und erhob sich rasch, bevor er seinem Kumpel zurief: „Hey Rickie, kannst aufhören zu suchen, wir haben den Schatz!“
Gespannt beugten sich die beiden Männer über die Schmetterling-Box, deren dunkelbraun lackiertes Holz im Schein ihrer Taschenlampen edel glänzte. Langsam und ehrfürchtig öffnete Butch das Kästchen, doch Rick konnte nicht so lange warten und rief aufgeregt: „Und, was ist‘s?“
„Es sind verfluchte Glasperlen“, rief Butch aus und warf die Box wütend zu Boden. „Die dumme Kuh verscheissert uns!“
Rick setzte zu einer Antwort an, zuckte jedoch zusammen, als der den markerschütternden Schmerzensschrei seines Kumpels hören konnte. Sue musste irgendwann zu ihnen gekrochen sein und hatte Butch nun eine Glasscherbe vom zerschlagenen Schaufenster tief in sein Bein gerammt. Auf Ricks entsetzten und ungläubigen Blick flüsterte sie: „Du hast den Schatz kaputtgemacht.“
Butch, der noch immer die ziemlich grosse Scherbe unter seinen Knie stecken hatte, setzte sich stöhnend hin und sagte mit gepresster Stimme: „Ruf einen Krankenwagen, Mann!“
„Nein, sie ist das Mädchen im Brunnen aus dem Horrorfilm“, wisperte Rick mit einem panischen Blick und sah sich in dem Trödelladen nach einer Waffe um, mit der er gegen eine Untote kämpfen könnte. Schliesslich griff er nach einer Grusskarte aus den Fünfzigerjahren, das einzige handliche Objekt in seiner Nähe, und warf sie in Sues Richtung, die sich schreiend wegduckte. „Spinnen denn hier alle?“, rief Butch. „Ich verblute hier, das Mädchen ist ausser Kontrolle und du hast einen Scheiss-Horrortrip?“
„Okay, nochmal von vorn“, begann der Sheriff mit gerunzelter Stirn und starrte Butch skeptisch an, der an den Tisch gekettet ihm gegenüber sass und einen Verband an seinem Bein trug. „Also – Sie haben eine junge Frau aus der Anstalt entführt, weil sie glaubten, dass sie weiss, wo das Geld ihres verstorbenen Vaters versteckt ist. Dann sind Sie in seinen verlassenen Trödelladen eingebrochen, zusammen mit einem Freund, der zu der Zeit unter Drogeneinfluss stand. Sie haben das Geschäft verwüstet und die Frau hat sie angegriffen und verletzt, weil sie Glasperlen auf den Boden geworfen haben.“
„Na endlich, jetzt haben Sie’s begriffen“, erklärte Butch genervt. „Werden Sie die Verrückte einsperren? Die ist verdammt gefährlich!“
Der Sherriff kratzte sich ratlos am Kopf. „Keine Ahnung.“ Er überlegte kurz angestrengt, bevor er fragte: „Wissen Sie zufälligerweise, ob heute Vollmond ist?“