Warnung: Diese Kurzgeschichte enthält Szenen, die auf einige Leser beunruhigend wirken könnten. Mehr zu unseren Warnungen sowie wann und weshalb wir sie anwenden, erfahrt ihr in unseren FAQ.
Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
„Drew, schrei mich nicht so an!“, brüllte Jackie um einige Dezibel lauter als ihr Kumpel. „Fuck. Ich hab gedacht, du machst Witze.“ Die Dunkelhaarige stand vor der Badewanne, ihre Arme hingen schlaff herunter und sie fixierte auf den Inhalt der Emaillewanne. „Fuck, fuck, fuck!“, wiederholte sie, fassungslos vom Anblick der sich ihr bot. Sie legte schnaufend den Kopf in den Nacken, bevor sie weit leiser hinzufügte: „Weißt du, als ich dir gesagt habe, ich sei Tag und Nacht für dich da, habe ich echt nicht so eine verfickte Scheiße gemeint. Viel mehr …“ Sie zuckte mit den Schultern. „… Streit in der Beziehung oder irgend so einen Dreck.“
Drew hielt sich still, schaute betreten zu Boden und wartete, bis seine beste Freundin sich abreagiert hatte. „Etwas, das man über einem Bier diskutiert, mit einer Tafel Schokolade im Mund beweint und dann mit einem Schulterklopfen vergisst. Aber das … Mann, so viel Bier und Süßigkeiten gibt es auf der Welt nicht, um sich das schönzusaufen!“ Damit lag sie absolut richtig, betrunkenes Jammern könnte Drews Problem keinesfalls wegzaubern. Dafür brauchte er Plastiksäcke, Folie, ein Auto, sofern möglich ein Boot und, vor allem anderen, eine Säge. Seufzend verwarf sie die Hände und marschierte ohne ein weiteres Wort aus dem Badezimmer.
„Jack, was hast du vor?“ Drews Nerven lagen blank, er erlebte einen Zustand der Leere. In seinen Ohren rauschte der Herzschlag, er fühlte sich wie unter einer Lawine begraben und für einen Moment, einen wunderschönen Moment, waren die Geschehnisse der letzten vier Stunden bloß ein abstrakter Albtraum. Ein Piepsen ertönte, wahrscheinlich hatte Jackie den Router ausgeschaltet. Eine schlechte Idee, denn sein Nachbar nutze dasselbe Netzwerk und würde in seine WLAN-Wahn sofort den fehlenden Internetzugang bemerken, womöglich gleich an die Tür klopfen. „Jack?“
Die Angesprochene knurrte ihm aus dem Wohnzimmer entgegen: „Halt die Fresse und lass mich denken!“ Er hätte sie nicht anrufen sollen, sinnierte Drew. Einerseits hatte er sie damit in eine unmögliche Lage gebracht, andererseits sah er sich nun mit der Frage konfrontiert, was er täte, wenn sie ihm ihre Hilfe verweigerte. Doch Jackie war seine liebste Person, keine Geringere als seine engste Vertraute und die einzige, der er in dieser verzwickten Situation trauen konnte.
„Jack“, begann er erschöpft und rieb sich übers Gesicht. Er war fertig, vollkommen am Ende. „Sorry.“
„Okay.“ Ein lockiger Schopf erschien im Durchgang zwischen Badezimmer und Flur. „Gehen wir die Sache ruhig und rational an“, übernahm sie die Führung und deutete beim Begriff ‚Sache‘ auf die verschmierte Badewanne. „Realistisch gesehen haben wir keine Chance, diesen Mist zu vertuschen.“
„Was?!“ fuhr ihr Drew ins Wort. „Was erzählst du da für Blödsinn?“ Da muss nur ordentlich geputzt werden, das ist alles.“
„Ach ja, du Genie?“ Sie war zur Wanne getreten wo sie naserümpfend auf einen Büschel Haare schielte. „Diese Scheiße wird dir, egal wie lange du schrubbst, mächtig in den Arsch beißen, ist dir das bewusst?!“ Wutentbrannt riss sie den Duschvorhang beiseite, das volle Ausmaß der Misere wurde sichtbar, woraufhin Drew beiläufig die Verfärbungen an ihrer Haut feststellte. Diese Totenflecken verrieten jede Druckstelle: Dort, wo ihr Gewicht auf der Emaille auflag und dort, wo Drew ihre Kehle zugedrückt hatte. „Die Pampe kann in den Fugen ohne weiteres mit Luminol nachgewiesen werden, ganz zu schweigen von den lächerlich breiten Schleifspuren auf dem Teppich.“ Klar, dass ihre Vorliebe für mitternächtliches Fernsehen seinem Plan einen Strich durch die Rechnung machte, genau deshalb wollte er ja ihre Unterstützung.
„Fuck, Jack“, maulte er matt, er hätte sorgfältiger sein müssen. Sicher, so ein spontaner Mord war naturgemäß eine chaotische Angelegenheit, Gerangel ließ sich kaum vermeiden. Allerdings hätte er tatsächlich besser darauf achten sollen, das Blut wenigstens nicht in der Wohnung zu verteilen. „Fliehen?“, flüsterte er unwillig. Alleine der Gedanke daran, seine Heimatstadt zu verlassen, war ihm zuwider. Hier war er aufgewachsen, hier lebten seine Freunde, seine … Familie. „Ich hole meinen Pass, packe ein paar Dinge und …“
„Sinnlos“, unterbrach ihn Jackie. „Du wirst nicht weit kommen und machst dir damit bloß unnötig das Leben schwer, weil zum Mord auch noch der Fluchtversuch kommt.“
„Was zum Teufel schlägst du dann vor?“ Die angenehme Leere, das Gefühl, sich unter einer dicken Schneeschicht beerdigt vor der Realität zu verstecken, waren verschwunden. Zurück blieb blanker Terror.
„Du musst dich stellen.“ Sie hatte es getan, das Undenkbare ausgesprochen und ihn damit schlagartig in eine Ecke getrieben. Seine schlimmste Befürchtung war wahr geworden. Jackie war seit dem Kindergarten seine Busenfreundin und diejenige, die man sich holt, wenn man gerade eben seine Mutter erwürgt und zu zerstückeln versucht hatte. Dummerweise war sie jedoch ein durchweg aufrichtiger Mensch, etwas, das er in seiner Verzweiflung vergessen hatte und ihm jetzt zum Verhängnis wurde. „Möchtest du zuerst mit mir besprechen, was du den Polizisten sagen willst? Vielleicht willst du mit ihrer Persönlichkeitsstörung anfangen, du wärst nicht der erste, der die Geduld mit ihr verlor, Frustrationstoleranz hin oder her, sie ist … hm, war schon eine Nummer für sich.“ Sie plapperte und plapperte, erhoffte sich vermutlich, das Reden bräche die Anspannung. „Oh, wir müssen herausfinden, wie du den Vertuschungsversuch erklärst. Wollen wir das rasch durchgehen?“
„Ja, gerne.“ Seine Stimme klang fremd, eher wie die einer Maus statt seiner.
„Wollen wir?“, hakte Jackie nach.
„Ja“, murmelte er abermals, fuhr mit den Fingern über den steifen Oberarm seiner Mutter und trottete anschließend zum Badezimmerschrank, wo er Toilettenpapier, Duschgels und den Abflussstampfer aufbewahrte.
„Am besten ist wohl, wenn du ihnen sagst, du seist in Panik geraten, hast nicht mehr klar denken können und deshalb die Säge geh… Drew?“
Der Griff des Pömpels federte regelrecht von ihrem Schädel ab, der Schlag brachte Drew aus dem Gleichgewicht, sodass er nach hinten taumelte, während Jackie in sich zusammensackte. Zuerst dachte er, es wäre geschafft, aber sie atmete noch, war lediglich bewusstlos. Also hievte er seine langjährige Freundin hoch, schleifte sie zur Wanne und bugsierte sie über deren Rand, warf sie auf den Leichnam seiner Mutter. „Scheiße“, fluchte Drew vor sich hin fieberhaft überlegend, ob die kleine Menge Grillanzünder ausreichte, um die beiden wichtigsten Frauen in seinem Leben auszulöschen.