Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Dies ist der 5. Teil der Fortsetzungsgeschichte „Ein gefährlicher Ort“.
Meghan kniete neben dem von Birken flankierten Bach hin, formte ihre Hände zur Schale und nahm gierig einige Schlucke. Als der Durst gestillt war, japste sie nach Luft. Chris, der ebenfalls getrunken hatte, streckte sich und sagte: „So habe ich mir früher eine ausgewogene Freizeit vorgestellt.“
Meghan lachte trocken, was sie ein wenig von ihren Sorgen ablenkte. „Was? Vor einem Killer-Kommando durch die Wildnis flüchten, um sie vom Camp der eigenen Leute wegzulocken?“
„Nein, Meg, du Witzbold. Dank Umweltschutz noch unberührte Gebiete zu durchwandern, die schöne Landschaft zu genießen … du weißt schon, ein toller Ausflug.“
„Unberührte Wildnis, von ein paar hübschen, geklonten Urzeitbesten bevölkert“, stichelte Meghan weiter, ehe sie von der Feixerei abließ und wieder ernst wurde. „Ich verstehe schon, was du meinst.“
„Geht das noch weit hoch?“
Sie deutete auf die entfernten, schneebedeckten Bergketten und erklärte: „Der Bach entspringt da oben, ich hoffe, wenn wir weiter dem Flusslauf entlanggehen und darauf achten, eine gute Fährte zu hinterlassen, folgen uns die Soldaten ins Gebirge.“
„Gut.“ Chris kniff die Lider zusammen, da ihn die Herbstsonne blendete, nur wenige Wolken zogen über den stahlblauen Nachmittagshimmel. Meghan riss ihn aus seinen Betrachtungen der Landschaft, als sie fragte: „Du kennst dich mit sowas mehr aus, denkst du, jetzt, wo die Hälfte der Typen tot ist, werden sie uns im Verdacht haben?“
„Vermutlich ziehen sie es als Möglichkeit in Betracht, dass wir mindestens einen erwischt haben. Andererseits ist diese Insel von so vielen Bestien bewohnt, es gibt unzählige Möglichkeiten zu Sterben. So oder so werden sie vorsichtiger sein. Aber unser Camp haben sie bisher nicht gefunden.“
„Ich sehe schon, hier herrscht der pure Optimismus.“ Meghan kratzte sich an der Nase, als das Duo weiterschritt. „Vielleicht glauben sie, ein Tyrannosaurus Rex habe alle gefressen. Jeder, der neu hierherkommt, denkt als erstes an einen T-Rex, dabei will dich fast die Hälfte aller Viecher auf dieser Insel umbringen.“
„Ich bin noch nie einem begegnet, seit ich hier bin.“
Meghan schnaubte lustlos. „Sei froh, hast du noch nie einen T-Rex gesehen, ist besser für die Gesundheit. Mit den Dingern ist echt nicht zu spaßen, ich möchte mich nicht mal mit deinem Maschinengewehr mit einem anlegen. Rennen kannst du auch vergessen, am besten hoffst du, ungesehen zu bleiben.“
„Na toll, mit jedem Monat in der Verbannung lerne ich mehr schaurige Fakten.“
Für einige Minuten wanderten die beiden schweigend nebeneinander her, wobei sie dem Lauf des Baches von der offenen Wiesenlandschaft in eine schattige Schlucht folgten, wo der Duft nach Herbst in der Luft lag. Schließlich brach Chris die Stille: „Sag mal – was willst du eigentlich machen, sobald das alles vorbei ist?“
„Hä?“ Verständnislos starrte sie ihn an. „Sobald was alles vorbei ist? Unser unfreiwilliger Ausflug mit den Schergen auf den Fersen? Weiter überleben, natürlich. Viel mehr Entwicklungsmöglichkeiten sehe ich auf dieser Insel nicht.“
„Nein, das Regime, das uns hierher verbannt hat. Diese Insel. Alles eben.“ Damit machte Chris eine ausladende Geste. „Wie stellst du dir dein Leben in der Zivilisation nach diesem Exodus vor?“
„Ha“, machte Meghan amüsiert. „Malst du dir echt aus, wir kommen je wieder von hier weg? Selbst wenn ein Regine, das die ganze Welt regiert, fallen sollte, selbst wenn es Bürgerkrieg gäbe … wer käme uns holen? Nein, wir sind hier, auf uns gestellt, für immer. Das ist unser Leben, Chris, unser einziges Leben.“ Sie versuchte sich mit Fatalismus von der Wehmut darüber abzulenken, wie viele Freunde und Familienmitglieder sie für immer verloren hatte, derzeit ein erfolgloses Unterfangen.
„Das glaube ich nicht, du liegst falsch. Da die ein Sonderkommando schicken, um uns zu eliminieren, geht in der Welt da draußen einiges vor sich. Dieses Regime ist unruhig, versucht, Beweise zu vernichten, sich auf eine Zeit, in der sie weniger Macht haben, vorzubereiten“, spekulierte er. „Also, stell dir mal vor, ich hätte Recht: Was würdest du machen?“
Meghan war keinen Deut überzeugter als zuvor, als sie konterte: „Was? Soll ich dir eine Präsentation in VR halten? Ein Daumenkino auf Haftnotizen malen? Ich habe nicht die geringste Ahnung, das letzte Mal habe ich mir das vor ein paar Jahren überlegt und kam auf nichts Schlaues, dann habe ich mich mit dieser Realität abgefunden.“ Da sie plötzlich ihre etwas zu harsch klingende Antwort bereute, stellte sie die Gegenfrage: „Und du, was würdest du machen?“
„Also ich würde mir erstmal ein kaltes Bier gönnen. Dann möchte ich unbedingt … oh Shit!“
Beide waren erstarrt, als sie um die nächste Biegung der Schlucht getreten waren, denn sie standen einem riesigen Saurier gegenüber, der ungefähr einen halben Kilometer entfernt war. Meghan flüsterte: „Du wolltest einen T-Rex sehen? Bitte, ein T-Rex.“ Sie versuchte, den Kloss in ihrer Kehle herunterzuschlucken, nun kam es auf ihr Glück an, ob sie überlebten. „Schnell, ins Gebüsch da drüben“, zischte sie und deutete nach links, bevor sie loshastete und unter eine dichte Staude kroch. Wie sie bemerkte, als sie sich umwandte, hatte Chris es ihr gleichgetan und kam neben ihr auf dem Boden zu liegen. Er atmete leise, als er wisperte: „Shit, und was jetzt? Kann uns das Vieh riechen?“
„Keine Ahnung, habe nur einmal einen gesehen. Ich bin keine Expertin.“
„Die Verfolger sind noch hinter uns, jetzt ist die Frage, wer uns zuerst findet, das Killerkommando oder die Bestie. Umkehren können wir vergessen, Weitergehen ebenso. Unsere Aussichten sind alles andere als rosig.“
Der letzte Streifen Sonnenlicht verschwand von der Klippe der Schlucht und Meghan linste auf ihre Armbanduhr: Bereits eine gute Viertelstunde waren sie im Gebüsch versteckt und der Tyrannosaurus Rex hatte sich nicht wegbewegt, sondern war mehrere hundert Meter auf sie zugkommen. Gerade, als sie sich erkundigen wollte, ob Chris weitere Optionen zum Entkommen eingefallen waren, sah sie, wie auf ihrer Fährte drei Soldaten in voller Montur um eine Biegung der Schlucht schritten. Meghan verkrampfte sich, nun blieb ihnen einzig die Hoffnung, die Feinde entdeckten den T-Rex vor ihnen, sonst wäre es aus. Der Mann an der Spitze der kleinen Einheit blieb stehen, als ihre Fährte auf dem schlammigen Boden aufhörte und hob alarmiert das Gewehr. „Halt! Die müssen in der Nähe sein.“
Die beiden Kameraden legten die Waffen an, ehe einer der beiden auf das Gebüsch deutete. „Irgendwo im Unterholz, Bravo?“
„Finden wir es heraus.“ Erst in der letzten Sekunde begriff Meghan, was geschah, als der Anführer eine Salve auf die Büsche abfeuerte, dabei das Maschinengewehr schwenkend. Ihr bleib keine Zeit mehr, Abschied von dieser Welt zu nehmen, Kugeln schlugen neben, unter und über ihr ein und Chris gab ein schmerzerfülltes Stöhnen von sich.
„Ich habe einen getroff…“, setzte der, den sie ‚Bravo‘ nannten, an und unterbrach sich sogleich, als der vom Lärm angelockte Tyrannosaurus Rex auf sie zu trabte und dabei unmenschliche Laute von sich gab, die Meghan erschauern machten. Ein Soldat wandte sich sofort zur Flucht, die anderen beiden schossen erst in die Richtung des Urzeitmonsters, jedoch erfolglos. Nun rannten auch sie los und verschwanden hinter der nächsten Biegung Bachabwärts, dicht gefolgt von der fressgierigen Bestie. Kaum waren sie außer Sichtweite, kroch Meghan zitternd und schwer atmend zum getroffenen Freund. „Chris? Chris, bist du okay?“
Keine Antwort erklang – sie erkannte, wie sich unter dem Körper des Kameraden eine Blutlache ausbreitete. Rasch fasste sie nach seinem Handgelenk und versuchte, Chris’ Puls zu fühlen, nur, da war nichts mehr, das sie hätte spüren können. Während Schreie der Soldaten und das Brüllen der Bestie durch die Schlucht hallten, unterdrückte Meghan den Impuls, zu weinen.