Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Bis heute wusste ich lediglich von Erzählungen aus meinem Bekanntenkreis, was in einem Schönheitssalon mit einem getan wird. Das ist nicht meine Szene, außerdem schätze ich es nicht sonderlich angefasst zu werden, also brauche ich einen unglaublich guten Grund, da überhaupt hinzugehen. Die Stylistin, die sich als Sonja vorgestellt hat, weist mir einen Platz auf einem der an Siebziger-Jahre-UFOs anmutenden Sessel zu, den ich folgsam einnehme. Die kaltweißen Wellen der Leuchtstofflampen traktieren meine Netzhaut, das Geschwätz der anderen Frauen prasselt mit der Intensität eines Presslufthammer-Chors auf mich ein – wer verdammt nochmal tut sich sowas freiwillig an?
„Möchten Sie unseren Newsletter abonnieren?“, erkundigt sich die übertrieben geschminkte Dame, die über mir steht. Ich brach nahezu in Gelächter aus, hüstelte stattdessen verlegen und sagte: „Ja, gerne. Ich schreibe Ihnen meine Mailadresse auf.“ Was man so alles für die Höflichkeit tut. Nach einigen Floskeln habe ich die Gelegenheit, mich meinem Aussehen zu widmen, immerhin bin in ursprünglich deswegen hergekommen. Ich erkläre ihr, was ich möchte, um das langweilige Gespräch über Frisuren und Kosmetika schnellstmöglich beenden zu können.
Ich habe mein Handy in meiner Handtasche steckenlassen und so fällt mir erst auf, wie lange ich schon dasitzen muss, als die Stadtbewohner sich vorfreudig auf ihren Lunch in das Restaurant gegenüber drängeln. Die Stylistin hat bislang ohne groß zu sprechen an mir herumhantiert – anscheinend hat sie jetzt bemerkt, wie ich aus meinen Grübeleien aufgetaucht bin, denn sie fragt sogleich: „Na, was ist der Anlass?“
„Anlass?“, hake ich nach, den Verdacht hegend, mir fehle ein relevantes Stück Information.
Sie lacht. „Na, weil Sie sich schön machen lassen.“
„Ah.“ Darauf hätte ich eigentlich aus dem Kontext kommen können, ich sollte weniger zerstreut sein! „Ich nehme ihren Service in Anspruch, da es Konvention ist, bei einem Bewerbungsgespräch besser auszusehen als üblich. Die erste Präsentation ist keineswegs repräsentativ.“ Ich mache eine Pause und überlege, wie ineffizient dieses Vorgehen ist: Der Bewerber vergeudet seine Ressourcen und der Arbeitgeber erhält ein inakkurates Bild.
„Ein lukrativer Job, oder?“, lächelt meine Fassadenoptimiererin und greift nach einem Fläschchen, dessen Inhalt ich beim besten Willen nicht erraten kann. Jemandem mit Verfolgungswahn oder Paranoia ginge es wohl mies hier, mit all den unkommentierten Substanzen, die einem ins Gesicht gestrichen, wahlweise gesprüht werden – soviel war klar.
„Mich interessiert nicht was auf meinem Lohnausweis steht, Hauptsache ich kriege meinen Traumjob. Sie wissen schon, extreme Zeiten erfordern extreme Maßnahmen.“ Ich könnte echt eine Zigarette gebrauchen, nur an das bevorstehende Gespräch zu denken, macht mich nervös …
„Und was für eine Stelle ist das?“
„Physikerin beim CERN.“ Ich zögere kurz, ob ich erklären sollte, was ein Teilchenbeschleuniger ist, aber Sonja meint sogleich: „Cool, das klingt nach einem Traumjob. Ich hoffe, Sie kriegen ihn.“
„Danke, das hoffe ich auch.“ Damit widme ich mich erneut der Aussicht auf die Straße, die ich dank dem Spiegel habe, während die Kosmetikerin an meinem Gesicht herumdoktert. Wer weiß, vielleicht werde ich wirklich eine Zusage für die Stelle bekommen, super wäre es auf jeden Fall. Naja, ich müsste in eine französischsprachige Stadt ziehen, doch das ist es wert. Eine zweite Mitarbeiterin, die wohl nichts zu tun hat und aufräumt, schlendert durch den Raum und Sonja beginnt sich mit ihr über den neuesten Celebrity-Klatsch auszutauschen. Ohne ihrer Unterhaltung Beachtung zu schenken stelle ich wieder einmal fest, wie grundverschieden die Welten unterschiedlicher Leute mit anderen Hintergründen und Wissen aussehen. Ich kann stundenlang über Valenzelektronen diskutieren, dafür kenne ich kaum einen der Namen, den die beiden Frauen in ihrer Konversation fallen lassen. Ich komme mir ein bisschen so wie ein Crewmitglied der Enterprise vor, das mit einem Landungsteam eine neue Kultur beobachtet, obschon ich auf demselben Planet geblieben bin und es mit derselben Spezies zu tun habe. Ihr Verhalten zu analysieren und beschreiben würde mich eventuell von der Aufgeregtheit ablenken, bloß, wenn ich ehrlich mit mir sein will, ist mir nicht danach, mir Gedanken über soziales Bonding durch Promi-Klatsch zu machen. Die dahinterliegenden Verhaltensmuster sind relativ simpel, das Thema ist dementsprechend eine schlechte Zerstreuung. Hm, gibt es hier andere Dinge, die …
„So, fertig!“, unterbricht mich Sonja begeistert und fügt nach einer Sekunde hinzu: „Tadaa!“
Ich betrachte mich zum ersten Mal bewusst im Spiegel und muss zugeben, sie hat ganze Arbeit geleistet, ich erkenne mich kaum wieder. Meine innere Stimme versichert mir zuversichtlich, ich werde diesen Job kriegen und ich bin tatsächlich etwas weniger angespannt.
„Na?“, erinnert mich Sonja an meine Höflichkeit, ich bedanke mich und betone, alles sei zu meiner besten Zufriedenheit. Insgeheim sinniere ich über den Mechanismus, der gutes Aussehen mit wahrgenommener Kompetenz verbindet und glaube daran, in wenigen Wochen mit dem weltgrößten Teilchenbeschleuniger zu arbeiten.