Es roch nach Schweiß und Desinfektionsmittel, also atmete sie einige Male tief ein und wartete ab, bis sie sich wieder daran gewöhnt hatte, bevor sie mit schnellen Schritten die Kerkertreppe hinunter eilte. Sie war nach der Vorlesung mit einigen Kommilitonen in ein nahegelegenes Bistro gegangen und hatte die Zeit aus den Augen verloren, so dass sie nun spät dran war und aufpassen musste, nicht von ihrer Chefin gesehen zu werden. Denn wenn die alte Kellerassel sie so kurz vor Beginn ihres ersten Termins noch in ihren Straßenklamotten erwischen würde, hätte sie mit mehr als nur einem verärgerten Blick zu rechnen und jeder, der hier arbeitete, wusste, wie schnell solche Situationen unangenehm werden konnten. Eigentlich, dachte sie sich mit einem spöttischen Grinsen, war es ja irgendwie niedlich, dass die Assel ihren Job so dermaßen ernst nahm, zumindest war es aber sicher hilfreich, bei besagter Arbeit authentisch zu wirken.
„Jules!“, raunte ihr Maya im Flüsterton zu, der wohl ein erbostes Schreien in gedämpfter Lautstärke hätte simulieren sollen, aber eher so klang, als hätte sie sich verschluckt. „Was zum Teufel machst du noch hier? Dein Achtuhrtermin wartet schon im Thronraum und du läufst hier im Blümchenkleid herum, als wärst du auf einer Hippie-Party!“ Die Angesprochene senkte ihr Haupt, ohne ihren Trab zur Umkleide zu unterbrechen und murrte ein halbherziges „‘Tschuldigung“ zurück, ehe sie hinter dem schweren Samtvorhang verschwand. Maya hatte natürlich recht, so angezogen konnte sie ihren Klienten auf gar keinen Fall begrüßen und da ihr gerade mal drei Minuten übrigblieben, griff sie nicht wie üblich zum Latexkostüm, welches nur mit großen Mühen angezogen werden konnte. Sie zog sich rasch aus, nahm etwas angewidert ein Lederkorsett und dazu passende Spitzenunterwäsche von der Garderobenstange und machte sich die mentale Notiz, nie wieder zu spät zur Arbeit zu kommen, denn das Gefühl von Leder auf der Haut war für sie einfach nur ekelerregend.
Ben, so nannte sich ihr Achtuhrtermin, wartete, so wie Maya gesagt hatte, wie ein braver Schuljunge auf sie und begann nervös auf seinem Hintern hin und her zu rutschen, sobald er sie entdeckt hatte. „Miss Juliette, ich habe Sie sehnlichst erwartet.“ Sie rollte entnervt mit den Augen und war dankbar dafür, dass sie bei ihrer Arbeit nie ihre Frustration verheimlichen musste. „Halt dein dreckiges Maul! Ich habe dir gesagt, dass du nur sprichst, wenn ich es dir erlaube“, knurrte sie ihn mehr gelangweilt als gehässig an, währendem sie im Vorbeigehen einige Utensilien aus dem mit roten Bändern verzierten Schrank nahm und ihm danach wortlos befahl, sich in das Studio nebenan zu begeben. „Oh, sind wir heute nicht im …“, begann er unverhohlen und kassierte dafür sogleich eine schallende Ohrfeige, bei der jeder andere gewinselt hätte, doch er blieb stumm und hatte seine Lektion gelernt.
Sie hatte ihn mit geübten Handgriffen am dunkel gebeizten Holz fixiert und betrachtete seinen untrainierten Körper mit echtem Missfallen, ging jedoch nicht weiter darauf ein, wandte sich ab und zog sich die schwarzen Latexhandschuhe mit einem schnappenden Geräusch über. Ben keuchte ein wenig, als er versuchte die Riemen an seinen Handgelenken an eine etwas bequemere Stelle zu schieben. „Hey!“, bellte Jules augenblicklich, so dass er in seinen unbeholfenen Bewegungen innehielt und sie frech angrinste.
Sie kannte Ben schon seit sie hier vor drei Jahren angefangen hatte und ihr war von Beginn an klar gewesen, dass er es darauf abgesehen hatte, sie zum Äußersten zu treiben, echte Wut in ihr zu wecken. Doch natürlich würde ihm das nie gelingen, denn so etwas wie Echtheit suchte man im Kerker vergebens.
Irgendwie fiel es ihr heute schwerer als sonst, komplett in ihrer Rolle aufzugehen. Sie bewegte sich stockend, beinahe zögernd und je klarer ihr wurde, dass dies nicht bloß einen schlechten Einfluss auf ihr Trinkgeld, sondern auf ihre Bewertung haben könnte, desto mehr verhielt sie sich wie eine verklemmte Hausfrau, die ihrem Gatten zuliebe etwas Neues ausprobieren wollte. In Situationen wie diesen wäre es wirklich von Vorteil, wenn sie ihre Arbeit ohne den ständig präsenten Funken Ironie sehen könnte, so wie einige ihrer Mitarbeiterinnen, die sich im Kerker zuhause fühlten. Doch wenn sie ehrlich sein sollte, möchte sie dennoch nichts mit diesen Frauen gemeinsam haben, die sich während ihrer Schicht im Schein der Dominanz suhlten, um danach in ihr unbedeutendes Leben zurückzumarschieren und sich dem Alltag zu ergeben. Sie wollte eines Tages wahre Macht erfahren und wollte sich nicht einreden eine Königin zu sein, nur um danach als Bettler aufzuwachen, weswegen sie diesen Job nur machte, um ihr Studium zu finanzieren.
Ben war einer der wenigen, der zu altmodischen Zwecken hier hin kam und sich von seiner auserwählten Domina auch ins Gesicht schlagen lassen wollte. Die meisten lechzten zwar nach körperlichen Bestrafungen, legten aber in ihrem jeweiligen Sklavenvertrag, dessen Gültigkeit nach einer Stunde ablief, fest, dass sie unter gar keinen Umständen sichtbare Spuren davontragen wollten, schließlich will man diesen temporären Lebenswandel, der nur für eine Stunde an Realität gewann, nicht offen herumtragen. Andere hingegen suchten hier eher nach weniger schmerzhaften Demütigungen und begnügten sich damit, wie Säuglinge behandelt, mit Babynahrung gefüttert und ausgeschimpft zu werden. Und wieder andere hatten ihre Vorliebe für Doktorspiele seit der Kindheit nicht verloren und wurden mit dem Alter immer erfinderischer, weswegen der Kerker eine beachtliche Auswahl an Kanülen, ungefährlichen Nitrat-Lösungen und Metallbestecken bereithielt, die nach Bedarf in beliebige Körperöffnungen gesteckt werden konnten. Aber damit hatte Jules zum Glück nichts zu tun, denn anders als Maya hatte sie nicht die notwendige Ausbildung um solche Prozeduren durchzuführen.
Manchmal fragte sich Jules, wie sie es schaffte, nicht während jeder Session in lautes Gelächter zu verfallen, war die ganze Situation doch dermaßen ironisch, dass sie ans Absurde grenzte. Nur mit viel Phantasie war die Idee hinter alledem genial. Doch auch wenn es nicht viele taten, konnte man diese Sitzungen durchaus als Spielplatz betrachten, auf dem das erwachsene Kind spielerisch lernt, mit Abweisung und dem Stolz der anderen umzugehen.
Doch die Menschen, die zu ihr kamen bezahlten sie dafür, dass sie so tat als wäre sie ihnen überlegen, damit sie sich eine Stunde lang so fühlen konnten, als könnten sie die erdrückende Verantwortung für ihr eigenes Leben an eine Frau im Latexkostüm abgeben, wenn sie im schwarz-roten Kerker um Gnade schrien. Und egal was die Psychologie dazu zu sagen hatte, für Jules war der Fall nach drei Jahren mit diesem Nebenjob relativ klar: Der Besuch bei einer professionellen Domina war nichts weiter als kontrollierter Kontrollverlust, eine Illusion, die dazu geschaffen war, sich nicht mit der Wahrhaftigkeit der Demut auseinanderzusetzen. Denn wenn einer ihrer Klienten tatsächlich daran interessiert gewesen wäre, aufrichtige Herabwürdigung zu empfinden, dann würde er sich mit jemandem unterhalten, der ihm intellektuell überlegen ist oder sich auf einen Kampf mit jemandem einlassen, der sich nicht an einen flüchtigen Vertrag hält.
Das Lederkorsett juckte Jules unheimlich, also streifte sie es zum Erstaunen von Ben kurzerhand ab, bevor sie blindlings in eine Truhe griff um darin etwas zu ertasten. Das Gleitgel verwandelte Bens verkümmerte Zehen in etwas, das sich wie glitschig knorplige Algen anfühlte, doch sie hatte sich bereits daran gewöhnt und zuckte nicht einmal mit der Wimper, als ihm ein leises Stöhnen entwich. Sorgsam schob sie die enge Manschetten über seine Füße, bevor sie die Schnallen am Andreaskreuz löste und er, unfähig zu stehen, vor ihr auf die Knie fiel. Mit einer energischen Geste deutete sie zum Operationstisch und achtete darauf, dass er ihre spitzen Hacken immer im Blickfeld hatte, währendem er über den Boden robbte, wie eine widerliche Raupe, die nie zum Schmetterling werden würde. Und als Jules ihren Sklaven auf Zeit beobachtete, wie er sich wand und krümmte, wie er sich ungeniert an der Vorstellung, sie wäre seine Herrin erfreute, überkam sie die Lust ihn heftig in die Seite zu treten. „Du ekelerregendes Miststück, sieh dich doch an, du jämmerliches Stück Scheiße! Du bist ein Nichts für mich!“, schrie sie ihn so laut sie konnte an, bevor sie beherzt zutrat und das Gefühl ihres Stiefels in seinem weichen Abdomen genoss. Ben grunzte glücklich und schien ihren plötzlichen Sinneswandel bemerkt zu haben und kurz bevor sie ein weiteres Mal ausholte und die Milz riss, sagte er heiser: „Danke, Miss Juliette.“
Oh, oh, jetzt kommt mein Senf, ahhhhh. Schön geschrieben.
Falscher Baum. Falsches Bellen. Falsche Seite.