Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Dies ist der 2. Teil der Fortsetzungsgeschichte „Ein gefährlicher Ort“.
Keuchend huschte Meghan in den Heuschober und schloss das Tor hinter sich. Der Wind heulte durch die Ritzen, gab ihr das Gefühl, das alte Gebäude könnte jeden Moment weggefegt werden, doch es blieb standhaft. „Verfluchtes Jahr“, murrte sie und schob ihre pitschnassen Haare aus dem Gesicht, ehe sie auf einen verrottenden Stuhl saß. „Erst die Heuschreckenplage im Sommer und jetzt das scheiß Unwetter. Diese Seite der Insel ist echt nicht zum Aushalten!“
Zumindest war sie dem Herbststurm entkommen, mit dem eine Kältewelle hereinbrach. Meghans Funkgerät knackte und sie nahm es vom Gürtel. „Steve, bist du da?“
„Meg, du hast überlebt“ rief Steve durch die von Statik überlagerte Verbindung. „Hier fielen sogar ein paar Tannen um, pass lieber auf da draußen.“
Meghan unterdrückte ein Lachen – zu lustig war die Vorstellung, auf einer Insel voller prähistorischer Bestien von einem umfallenden Baum erwischt zu werden. Schließlich erwiderte sie: „Ich habe Unterschlupf gefunden. Sollte wohl den Akku schonen, sobald es sicher ist zurückzukehren, melde ich mich.“
„Okay Meg, sei vorsichtig.“
Damit schaltete sie das Funkgerät aus und befestigte es wieder am Gürtel. Gerade, als sie den Revolver zog, um zu prüfen ob er nass geworden war, hörte sie hinten im Heuschober ein Rascheln. Instinktiv legte sie auf die Stelle an. „Ist da wer?“ Sie rechnete nicht mit einer Antwort, eher damit, im besten Fall eine Maus und im schlimmsten einen Säbelzahntiger in ihrem Obdach zu haben. Sehr zu ihrer Überraschung tönte eine ihr fremde Männerstimme: „Ja, nicht schießen, ich komme hervor.“
Der Unbekannte ging einige Schritte auf sie zu und Meghan verstand sofort, was los war: Er war etwa in ihrem Alter und trug Jeans und einen Pullover, die relativ neu aussahen – ein seltener Anblick.
„Ich habe die Hoffnung schon fast aufgegeben, jemanden zu finden. Ach, ich bin Chris“, stellte er sich vor und streckte eine Hand aus, während sie noch den Revolver hielt. Erleichtert steckte sie die Waffe weg und schlug ein. Ihr Erfahrung lehrte sie, dass Neuankömmlinge kaum je eine Bedrohung, vielmehr eine Bereicherung waren. „Meg. Du bist neu hier, was?“
„Ist das offensichtlich?“
Meghan kicherte. „Natürlich, schau dir deine Kleider an, du siehst aus, als wärst du vor einer Woche noch in der Zivilisation gewesen. Vor allem kenne ich jeden, der auf der Insel haust, wir sind ja nicht viele, aktuell gerademal ein gutes Dutzend.“
„Na toll“, stöhnte Chris und ließ sich auf dem Boden, neben einer verbeulten Zinnkanne und einem gebrochenen Rechen nieder. „Ich sehe schon, es ist es so paradiesisch wie im Prospekt beworben.“
„Lass mich raten: Du hast was gesagt, das dem Regime nicht in den Kram passte und die Verbannung der Todesstrafe vorgezogen?“ Sie schnaubte halbherzig: „War bei uns allen so.“ Meghan machte eine Pause, erinnerte sich an ihr altes Leben, zu dem sie nie wieder zurückkehren könnte. Rasch lenkte sie sich von dem Gendanken ab und fuhr fort: „Nun denn, willkommen im Paradies weitab der Menschheit.“
Chris seufzte. „Ja, habe ich. Wäre nett gewesen über eurer Siedlung, statt irgendwo im Hinterland abgeworfen zu werden, aber was beschwer ich mich …“
„Was hast du mitgebracht?“
„Wie, mitgebracht?“, wollte Chris erstaunt wissen.
„Jeder darf einen Gegenstand vom Festland mitbringen – was war deiner?“
„Neun Millimeter“, meinte er und zeigte ihr seine Pistole, die er in der Jackentasche trug. „Habe die aus meinem früheren Job bekommen.“
„Gute Wahl, das eine oder andere Vieh kannst du damit stoppen. Gegen die größeren Dinger wie einen T-Rex bringt es leider wenig, da musst du dich verstecken“, erklärte sie gelangweilt, bevor sie mit mehr Interesse zu seiner zweiten Aussage kam: „Was hast du denn gemacht?“
„Blaulicht-Organisation“, gab er einsilbig zurück und Meghan verkrampfte sich – es bestand das Risiko, dass dieser Verurteilte bei der Gedankenpolizei gewesen war. Sie entschied sich, die Sache vorerst auf sich beruhen zulassen. Jeder, der einigermaßen kämpfen konnte, war hilfreich für alle, da fand man sich eben auch damit ab, mit einem einstigen Feind zusammenzuarbeiten – immerhin hatten sie ihn hier ausgesetzt, also wäre er wohl kaum noch regimetreu. Und in einem Terrain wie diesem waren die Überlebenschancen in einem Team um ein Vielfaches höher, das kapierten die meisten schnell. Trotzdem nahm sie sich vor, in seiner Gegenwart wachsam zu bleiben. „Okay, Chris, sobald der Sturm vorbei ist, machen wir uns auf den Weg zum Gefängnis.“
„Gefängnis?“ Er starrte sie ungläubig an. „Was wollen wir in einem Gefängnis?“, stammelte er leicht verstört, woraufhin sie glucksend abwinkte.
„Keine Sorge, wir leben dort. Es bietet am meisten Schutz.“ Seinem verdatterten Ausdruck war abzulesen, dass Chris keine Ahnung hatte, wo er überhaupt gelandet war. „Du weißt schon, wo wir sind, oder?“
„Nicht wirklich. In der prähistorischen Verbannung?“ Er grinste sie verunsichert an.
„Meine Güte, hat dich niemand aufgeklärt?“ Er schüttelte den Kopf und sie ächzte, erinnerte sich daran, wie gesprächig ihre Wärter damals gewesen waren und schämte sich ein wenig dafür, sich darüber geärgert zu haben, anstelle davon, dankbar für die Informationen gewesen zu sein. „Tja, also. Auf der Insel wurden früher Urzeit-Bestien geklont, damit experimentiert. Dann rissen sie die Labors ab und bauten ein Gefängnis für alle, die dem Regime gefährlich waren, was denen irgendwann zu teuer wurde. Schlussendlich gaben sie auf, zogen die Wachen ab und jetzt werfen sie uns einfach mit einem Fallschirm ab und wir zogen freiwillig ins Gefängnis, es ist der beste Bau hier“, schmunzelte sie. Da Chris weiterhin alles andere als begeistert wirkte, ergänzte sie: „Der Bau ist riesig und du bekommst ein schönes Zimmer für dich. Das ist alles halb so wild, versprochen.“
„Okay, und was …?“, setzte Chris an und Meghan zischte: „Sei still, ich höre was!“
Angespannt lauschte sie und nestelte ihren Revolver hervor, ein in fernes Stampfen dröhnte durch den Schober – erst schien es näherzukommen, dann hielt es inne.
„Was ist das?“, flüsterte Chris verängstigt, umklammerte seine Neun Millimeter.
„Klingt nach Mammut. Sollte kein Problem sein, solange wir still bleiben.“
„Okay.“
Langsam entfernten sich die Schritte wieder und Meghan machte sich eine geistige Notiz, wo sie das Tier gehört hatte – es könnte im Winter, wenn keine Knospe spross, für eine ganze Weile Fleisch liefern.
Chris gestikulierte beunruhigt in die Richtung, in der das Viech vorbeigezottelt war. „Passiert sowas oft hier?“
„M-hm“, brummte Meghan bestätigend. „Könnte schlimmer sein. Könnte ein Säbelzahntiger sein.“ Rasch wechselte sie das Thema: „Der Sturm lässt nach und es wird bald dunkel, wir brechen besser gleich auf. Merk dir, wo dein Fallschirm liegt, den holen wir später, daraus kann man viel herstellen.“
Trocken kommentierte Chris: „Was für ein fabelhafter lebenslanger Abenteuerurlaub.“
Immerhin hatte er Humor, überlegte Meghan. Vielleicht wäre es eines Tages ganz passable Gesellschaft.