„Du meine Güte, was für ein vermaledeiter Tag“, wetterte Inubort und lehnte seine Streitaxt an die Höhlenwand. Der erfahrene Krieger vom Volk der Zwerge war für Übertreibungen bekannt, aber heute musste ihm Alena beipflichten. Die Elfin hatte es sich im Schneidersitz vor dem Feuer bequem gemacht und wühlte in ihrem Rucksack. Aus Spaß zog sie eine Augenbraue hoch und frotzelte: „Oh edler Krieger, die paar Orks unten im Tal werden wohl nicht all Ihre Kräfte gezehrt haben?“
Inubort hielt einen Moment konsterniert inne, ehe er sich amüsiert glucksend hinsetzte und der anderen auf die Schulter klopfte. „Versuch ruhig, mich zu veräppeln. Nach den letzten Monaten kaufe ich dir das übertriebene Elfengetue eh nicht mehr ab.“ Damit kramte er gepökeltes Wariumfleisch aus seinem Pack, hielt ihr ein Stück unter die Nase und ergänzte: „Und selbst wenn. Als Krieger sind wir Zwerge euch allen überlegen.“
Alena schluckte das trockene Fleisch und kicherte kurz. „Sag das bloß nicht Maurius, der hätte dazu bestimmt eine andere Meinung.“
„Zu was hätte ich eine andere Meinung?“, erkundigte sich der Abenteurer, der eben in die Höhle trat und nach draußen deutete. „Uns sind keine Orks gefolgt, wir sind hier in Sicherheit“, brummte er zufrieden.
„Danke dir.“ Inubort rückte ein wenig, um dem anderen Platz zu machen. „Wariumfleisch?“
„Ne, ist mir zu zäh“, lehnte Maurius ab. „Also, los, erzählt schon. Wozu habe ich eine andere Meinung?“
Ein wenig beleidigt schaute Inubort auf seine Lieblingsspeise und knurrte: „Dass Zwerge die besten Krieger der Welt sind. Im Kampf ist mein Volk ungeschlagen!“
Wider Erwarten pflichtete der Mensch ihm bei: „Natürlich, ihr besteht beinahe ausschließlich aus Muskeln, allein wegen all dem versalzenen Warium. Außerdem …“, er pausierte und grinste frech „… weiß jedes Kind, wie streitsüchtig ihr seid.“
„Schwafle du nur, mein kulinarisch minderbemittelter Freund“, schnaubte der Zwerg und biss von seiner Ration ab. „Wenn die liebe Frau Elfenmagierin nicht dazwischenginge, würde ich dich in einen Zweikampf locker zu einem köstlichen Häppchen verarbeiten.“
„Darauf lassen wir es lieber nicht ankommen“, meinte Alena und bot dem Zwerg einige Magulin-Blätter an, die dieser verschmähte, dafür griff der Abenteurer gierig zu.
Nachdem des Trio gespiesen hatte, wechselte Alena das Thema: „Sag, Maurius, wie weit sind wir von der Stadt Obadissa entfernt? Ich wäre erleichtert, das geraubte Zepter endlich dem König zu übergeben. Mit so einer Fracht reist man nicht gerne durch die Wildnis.“
„Noch drei Tagesmärsche“, gab Maurius zurück. „Ungefähr zumindest. Es ist schon einige Sommer her, seit ich in diesen Gefilden unterwegs war.“
„Hauptsache, das Kaff hat eine Schenke, in der es ordentlich Bier gibt.“ Der Zwerg gähnte und kratzte sich am Bauch. „Frisches Bier, ein Stück Brot und …“
„Wenn der Herr etwas Frisches wünscht, könnte er meine Magulin-Blätter probieren?“, suggerierte die Elfin mit kaum verhohlenem Schalk.
„Igitt, nein, das Zeug ist bitter. Vielleicht wäre es gut, wenn man daraus Bier braut“, sinnierte er vor sich hin. „Doch sicher nicht als Mahlzeit! Nein, auf einen gut gedeckten Tisch gehören Brot, Fleisch und Käse!“
„Pst“, fuhr Maurius dazwischen, formte neben seinem Ohr die Hand zur Muschel und lauschte.
„Was ist?“, wisperte Inubort beunruhigt. Maurius bedeutete ihm zu warten. Nach einigen Augenblicken hob er alarmiert den Finger. „Es riecht nach Troll. Wir sind in einer Trollhöhle!“
„Einer verlassenen?“, wollte die Magierin wissen. Sie nahm ihren Stab und auch Inubort rappelte sich auf und schnappte sich seine Streitaxt. Gerade, als Maurius etwas entgegnen wollte, ertönte ein dumpfes Grollen aus den Tiefen hinter ihnen. „Nein, die ist nicht verlassen“, stellte er das Offensichtliche fest. „Und der Troll scheint keinen Besuch zu mögen.“
„Sollen wir weglaufen oder …?“
„Zu spät“, unterbrach Maurius und hob sein Schwert. Brüllend erschien der Troll im Feuerschein, das nackte, ledrige Biest kam in Rage angerannt, bereit, alles plattzumachen, was ihm im Weg stand. Mit einem plumpen Schlag warf er Inubort zur Seite. Ohne seinen Ansturm zu verlangsamen, hielt er sogleich auf Maurius zu, der dazu ansetzte, sein Schwert in den Bauch des Leviathans zu rammen. Alena schwang ihren Stab und eine unsichtbare Druckwelle stieß den Abenteurer in letzter Sekunde aus der Laufbahn des Angreifers. Der Troll stolperte überrascht und die Elfin nutze das Überraschungsmoment, um ihn mit einer zweiten magischen Schockwelle in hohem Bogen aus der Höhle zu katapultieren. Das Biest grunzte, überschlug sich und verlor endgültig sein Gleichgewicht. Verdutzt beobachteten die drei Abenteurer, wie es über den schmalen Weg vor der Höhle taumelte und schlussendlich über die Klippe fiel. Sein teils schmerzverzerrtes, mehrheitlich wütendes Kreischen wurde nach und nach leiser, als der Troll den steilen Abhang hinunterrollte.
„Das war eine gute Reaktion“, wandte sich Maurius beeindruckt und noch leicht außer Atem an die Kameradin. Inubort linste skeptisch zum Höhleneingangng und fragte: „Wie lange haben wir, bis der Troll wieder aus dem Tal hochkommt?“
„Der Abhang ist steil und der Weg ist weit. Wenn wir im Morgengrauen aufbrechen, hat der bestenfalls die Hälfte geschafft“, überlegte Maurius laut und Alena nickte. Da brach Inubort plötzlich in Gelächter aus und erklärte auf die verwunderten Blicke seiner Gefährten: „‚Ein grollender Troll rollt wie toll zu Tal.‘ Das wird das neue Lied, das wir am Lagerfeuer singen können!“
„Bei Anerwa, bin ich froh, hat er seine Laute nicht dabei“, flüsterte Maurius der Elfin zu und stellte sich vor, wie ein Chor aus betrunkenen Zwergen Inuborts neues Volkslied johlte.