Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Ich lehne mich gegen Beifahrersitz und starre für eine Weile auf sein wohlgeformtes, mit Bartstoppeln gespicktes Kinn, das im gelblichen Schein der Straßenlaternen knapp auszumachen ist. Wie lange ist es her? Ich rechne still und komme zum Schluss: Das ist unser achter Valentinstag, wir sind noch so verliebt wie zu Anfang. Nun ja, fast, einiges hat der Gewohnheit Platz gemacht, ist im Alltag aufgegangen. Heute ist es allerdings anders, denn obschon wir diesen Tag traditionsgemäß als Paar feiern, so war doch jeder der sieben bisherigen genauso einzigartig, wie Schneeflocken es sind. Selbst Schneeflocken schmelzen früher oder später, vergehen und verschwinden im Nimmerland, werden zu einem winzigen Teil unserer Erinnerungen. Ähnlich dem Winter, der jährlich wiederkehrt, erscheint unsere kleine, romantische Tradition pünktlich zum vierzehnten Februar.
Abwesend mustere ich meine manikürten und frisch rot lackierten Nägel; ich glaube, erste Altersspuren zu erkennen, ewige Jugend wird uns wohl kaum vergönnt sein. Trotzdem, vorerst leben wir im Augenblick, im Wissen darum, welch wundervolle Nacht nach diesem Date auf uns wartet. Ehe ist mehr, als Putzen und Kochen, man muss für Abenteuer bereit sein.
„Hast du alles eingepackt?“, reißt er mich aus der Tagträumerei. „J… ja“, bestätige ich, prüfe meine Aussage aber sogleich nach, indem ich mich umdrehe und den von Rosen bedeckten Deckel des Picknickkorbs anhebe. „Ist alles da.“
„Du bist einfach perfekt“, säuselt er in mein Ohr. Ich rieche sein Rasierwasser, kichere, strecke ich die Hand in den Korb und bringe eine Tüte Chips zum Vorschein. „Hast du Hunger?“
Er deutet vielsagend auf den wunderschönen, altmodischen Anzug und schüttelt den Kopf. „Wir wollen unsere schicken Klamotten nicht bekleckern, oder?“
Wo er Recht hat, hat er Recht. Leicht beschämt wende ich mich nach vorne; wir stehen gerade an einer roten Ampel. Wenn das so weitergeht, werden wir verspätet ankommen, nerve ich mich gedanklich. Der dichte Schneefall setzt Chicago echt zu, und das, obwohl man hier mit der weißen Pracht aus meiner Sicht längst klarkommen sollte. Da er nicht fahren muss, lehne ich mich an seine muskulöse Schulter und genieße die Berührung, da nimmt er mir den Vintage-Hut ab und fährt mir durch die Haare. „Ich liebe dich, Schatz.“
„Ich dich auch … oh, grün.“
Rasch verziehe ich mich auf meine Seite und drücke den Hut auf seinen Platz, wir wollen schließlich nicht auf dem Weg zum besten Date des Jahres in einem Verkehrsunfall sterben, das würde die ganze Romantik zunichtemachen. Der Wagen rollt über die Kreuzung, näher und näher kommen wir dem jährlichen Höhepunkt unserer Beziehung. Meine Finger kribbeln in Erwartung des Kommenden, die Vorfreude steigt ins Unermessliche, pumpt Adrenalin durch meine Adern. Endlich ist das Parkhaus in Sicht, meine Erregung zu zügeln ist mir kaum möglich. Nervös, arrhythmisch tippe ich auf dem Armaturenbrett herum. Seine Hand tätschelt beruhigend meinen Oberschenkel. „Hey, Kleines, tief durchatmen. Du platzt ja gleich.“
Ich kichere wie ein Mädchen, ehe ich mich beherrsche; jetzt ist keineswegs der richtige Zeitpunkt, hibbelig zu werden.
Er setzt den Blinker und biegt in die Einfahrt zur Tiefgarage ab. Vorausschauend wie wir sind, haben wir der Planung sichergestellt, dass der Ort keine Kameras hat. Bei manchen Dingen möchte man weder gestört noch gefilmt werden, Privatsphäre ist vonnöten. Während wir im Schritttempo die Spirale in die unterste Ebene herabkurven, ziehe ich umständlich den Picknickkorb mit unserer Ausrüstung von der Rückbank nach vorn. Er wirft mir einen flüchtigen Blick zu, dann fragt er: „Sind die geladen?“
„Gesichert plus geladen“ posaune ich heraus und lege ihm die große Tommy-Gun auf den Schoss. Zärtlich streiche ich ihm über die Schulter und füge an: „Meinst du, die Mafiosi sind wirklich da für die Drogenlieferung?“
„Ich sehe sie“, nimmt er jede Spannung aus der Situation und öffnet die Fenster des Autos. In der Tat lungern die Gangster genau an der Ecke, an die wir sie gelockt haben. Eilig lehne ich mich zu ihn hinüber und küsste ihn leidenschaftlich auf den Mund. „Ich liebe dich, Pumpkin.“
„Ich liebe dich, Honeybunny“, entgegnet er, lässt las Lenkrad los und hebt die Knarre. Bevor die Kriminellen das knutschende Pärchen als Bedrohung hätten wahrnehmen können, bringt er das Auto zum Stehen und unsere Waffen knattern los. Schreie, spritzendes Blut, stürzende Körper und in die Ziegelmauer prasselnde Kugeln vermischen sich zur Hymne unserer Beziehung. Nachdem der letzte Mafioso tot auf den Boden aufschlägt, reicht er mir seine Waffe und tritt auf das Gaspedal. Hastig verstaue ich die Tommy-Guns wieder im Picknick-Korb, nicht, dass sie ein vorbeifahrender Cop sieht. Als wir das Parkhaus in die kalte Nacht verlassen, bekomme ich das Bild der einen Leiche nicht aus meinem Kopf; Der Kerl im Nadelstreifenanzug lag in einer herzförmigen Blutlache. Ich bin mir ziemlich sicher, mein Angetrauter hat ihn erledigt, eine Liebesbotschaft für mich auf Beton gemalt.
Unser Wagen tuckert gemächlich über den Loop auf die nächste Highway-Auffahrt, wir haben alle Zeit der Welt, nur für uns. Dennoch dauert es mir viel zu lange, bis wir in der Blockhütte, die wir jedes Jahr mieten, anlangen, um einen romantischen Abend zu verbringen.
Tradition ist wahrlich das wichtigste in einer Beziehung, hält sie am Leben, hält uns zusammen. Und da wir nun mal in Chicago leben, gehört das Umnieten von Mafiosi am Valentinstag seit fast neunzig Jahren mit dazu.