Dies ist der 10. Teil der Fortsetzungsgeschichte „Hoffe auf das Beste, aber bereite dich auf das Schlimmste vor“.
„Ach du heilige Scheiße.“ Tess gaffte fassungslos in den von Scheinwerfern erhellten Schlund vor ihnen.
„Heilig ist daran nichts“, wandte Rooster monoton ein. Er war mindestens genauso entsetzt von dem schemenhaften Bild, das sich ihnen bot und dem sie sich langsam näherten.
„Stimmt.“ Sie schluckte und forderte vorsichtshalber Clints Flinte mit einer Geste zurück, ehe sie sich ebenso tonlos wie Rooster korrigierte: „Ach du verdammte Scheiße.“
„Ähm“, begann Barbara sich am Hinterkopf kratzend, „seht ihr dasselbe wie ich?“ Rooster und Tess nickten synchron, während Clint mit zusammengekniffenen Augen das bizarre Schauspiel beobachtete. Der Weg zum Flugfeld, auf dem sie die alte Cessna von Nicks Onkel vermuteten, war nicht mehr weit, allerdings trennte sie ein Berg von ihrem Ziel. Die schnellste Route war logischerweise die, welche direkt durch ihn hindurch führte, nur gab es damit ein kleines Problem: Der Tunnel war vollgestopft von sich windenden, stöhnenden und frustriert um sich beißenden Untoten. Vollgestopft war in der Tat das einzig richtige Wort dafür, denn im Ausgang hatten sich dermaßen viele Zombies verkeilt, dass sie weder vor- noch zurück konnten, sie steckten fest.
„Das ist vollkommen lächerlich“, stellte der Professor eine Weile später das Offensichtliche fest. Helen gesellte sich mit ihrer Tochter an der Hand zu der kleinen Gruppe. Sie waren bis vorhin im Jeep geblieben, wo sie sich von den vereinzelt herumschlurfenden Leichen einigermaßen in Sicherheit befanden. Diese lagen nun verstreut auf dem Boden und rührten sich endgültig nicht mehr.
„Und jetzt?“ Im Prinzip wusste Tess, dass ihnen lediglich zwei Optionen offen standen und da ein Umweg bedeuten könnte, erst nach starkem Schneefall am Rollfeld einzutreffen, blieb eigentlich nur eine. „Wir müssen da durch, nicht wahr?“ Ein erneutes, stummes Nicken von Rooster entlockte ihr tiefes Seufzen sowie die Wiederholung: „So eine verdammte Scheiße!“
Sie hatten die bevorstehende Aktion geplant und vorbereitet, so wie man die Extraktion von Untoten, die in der wortwörtlichen Zwickmühle festhingen, eben planen und vorbereiten konnte. Helen und Martha saßen mit dem Professor in einiger Entfernung im Auto und hatten die Aufgabe, die Biester mit Gebrüll wegzulocken, sie auf die offene Landstraße zu führen. Das hieß, sofern die anderen sie überhaupt aus ihrer eingeklemmten Lage befreien konnten. Barbara stand als einzige am anderen Ende des Tunnels und sollte mit Tess‘ Winchester Model 70 Sporter Deluxe Rückendeckung geben.
Tess, Rooster und Clint standen in einer Reihe einige Meter vor der soliden Wand aus Zombies. Diese dämlichen Viecher hatten es tatsächlich geschafft, sich bis unter die etwa drei Meter hohe Decke des Tunnels aufzustapeln. Mit ausgestreckten Armen brüllten sie den dreien gierig entgegen.
„Meint ihr, es gibt einen Grund für …“ Clint hielt sich angewidert die Nase zu, weshalb seine Stimme seltsam klang. „Das da“, vervollständigte er seinen Satz und deutete auf den verfaulenden Haufen.
Tess zuckte mit den Schultern. „Kann sein. Vielleicht haben sie irgendetwas gejagt.“ Sie fühlte sich unwohl mit der AK-47, nicht zuletzt, weil sie auf dem Feld gesehen hatte, was das Ding anrichten konnte. Allerdings hielten es alle für die beste Idee, wenn sie die Automatikwaffe anstelle ihres Kumpels hatte, dem noch immer Misstrauen entgegengebracht wurde. Selbst Clint hatte das eingesehen und bereitwillig die Glock entgegengenommen.
„Hm, was ist, wenn …“
„Ich kann dir sagen, weshalb die blöden Zombies feststecken“, unterbrach Rooster den Überlegungen des anderen. „Weil es blöde Zombies sind, Punkt. Los jetzt!“ Zugegebenermaßen lag er mit seiner Annahme wahrscheinlich richtig, dachte Tess mit der ungewohnten Waffe hantierend, bis sie halbwegs bequem an ihrer Schulter lag.
„Also gut“, gab Clint nasal von sich und stapfte näher an die grausig stöhnende Zombiewand heran. Das Gebrüll wurde etwas lauter, nachdem er sein Jagdmesser in einem weichen Schädel versenkte. Die ersten fünf waren rasch erledigt, doch der Haufen aus vor sich hinrottenden, kreischenden Leichen kam dennoch kein Bisschen ins Wanken. Gerade als der junge Mann dachte, er müsste alle eigenhändig aus ihrem traurigen Dasein als geistlose Fressmaschinen erlösen, um sie später herauszerren zu können, begann die Mauer links außen einzubrechen. Eine Kettenreaktion wurde ausgelöst, Körper flogen übereinander, rollten wie eine ekelerregende Welle auf die drei Überlebenden zu. Tess erwischte Clints Arm in letzter Sekunde, riss ihn kraftvoll zur Seite.
„Lauft!“, schrie sie, gleichzeitig begannen sich die Monster mühselig aufrichteten und vorwärts zu taumeln.
Clint hinter sich herziehend ließ Tess in einem Augenblick der panischen Unachtsamkeit die AK-47 fallen, sodass sie zwischen ihre Beine geriet und sie ins Straucheln kam. Das war’s dann, schoss es ihr fatalistisch durch den Kopf, aber bevor sie stürzte, bedankte Clint sich mit einem heftigen Ruck für seine Rettung. Tess stolperte die nächsten Meter, jedoch gelang es ihr, die Balance zu finden und weiter gen Eingang zu sprinten. Nun konnte sie auch Barbara ausmachen, deren konzentrierter Gesichtsausdruck sie an ihre Mutter erinnerte. Die blonde Frau lächelte, als ihre Blicke sich trafen. Nach Jacks Tod hatte sie sich gesorgt, auch Barbara verlieren zu können. Sie hatte das alte Mädchen eindeutig gehörig unterschätzt.
Mit einem Mal begriff sie, dass ihre beiden Hände zu Fäusten geballt ihren rasanten Lauf unterstützen, beide waren leer.
„Clint.“ Ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben machte Tess abrupt Halt und wirbelte auf den Absätzen ihrer Wanderstiefel herum. „Clint!“ Dieser war nirgends zu erkennen, da war bloß eine Horde zähnefletschender Leichen, die stetig auf sie zukam. Alles ging so blitzschnell vonstatten, dass Tess den Geschehnissen kaum folgen konnte. Eine von Eiter verschorfte Pranke bekam ihre Schulter zu fassen, dann wurde sie zu Boden geworfen und von einer stinkenden Maße aus Gewebe- und Stofffetzen begraben. Ein Schuss löste sich und das letzte, was sie wahrnahm, war kalter Schleim, der über ihr Gesicht spritzte, bevor sie das Bewusstsein verlor.
Ohne Barbaras Zielgenauigkeit hätte er es keinesfalls geschafft, Tess in einem Stück aus dem Tunnel zu tragen, sie und Clint verdanken ihr das Leben. Erschöpft stand er neben der Grauhaarigen, die scheinbar ungerührt einen Zombie nach dem anderen direkt zwischen die Augen feuerte. Nachdem sich der Tumult etwas beruhigte, war klargeworden, dass sich gar nicht so viele an ihre Fersen geheftet hatten, wie sie angenommen hatten. Die meisten Untoten waren nach dem Einsturz der Wand liegengeblieben, entweder weil ihnen Gliedmaßen fehlten, oder weil sie nicht unter den anderen hervorkriechen konnten. So fand die hektische Verfolgungsjagd auch relativ unspektakulär ein Ende, ohne dass Martha und Helen die Angreifer mit ihrem Kreischen weglocken mussten. Während Barbara das letzte Viech ins Visier nahm, sank Clint neben Tess auf die Knie. Erst als er mit seinem Daumen über ihre Wangen strich, sah er die Verletzung. Er hatte wohl nicht nur den Zombie, sondern auch Tess getroffen, ihr das rechte Ohr weggeschossen. Aufgebracht rief Clint nach dem Professor, welcher gerade sichtlich erleichtert vom Jeep zu Rooster schlenderte.
Die Aufregung legte sich wieder, die Blutung war gestillt, das Ohr, oder eher, das was davon noch übrig war, verbunden und Tess kam langsam wieder zu sich. Barbara und Helen kümmerten sich auf dem Rücksitz um die Verwundete, die schon wieder soweit bei Kräften war, um ausgiebig zu fluchen. Aus diesem Grund hatten die beiden Frauen Martha zu Clint geschickt, dessen Worte allerdings genauso wenig kinderfreundlich waren.
„Ach du heilige Scheiße“, stieß er entgeistert aus.
„Auch daran ist nichts heilig“, erwiderte der Hüne lakonisch und vergrub sein Gesicht ächzend in beiden Händen.
„Na, was habe ich gesagt? Es hatte einen Grund.“ Triumphierend baute sich Clint vor dem riesigen Mähdrescher auf, welcher die gesamte Breite des Tunneleingangs abdeckte. „Jemand hat die Zombies absichtlich hierhin geschoben.“
„Unfassbar“, flüsterte der Professor und sagte damit alles, was dazu zu sagen war.