Er zog den Kopf ein, als er durch das niedrige Schott auf das kleine Kommandodeck seines Raumschiffes trat.
„Willkommen an Bord der Gasoline“, sagte er zum alten Mann, der hinter ihm durch das Schott trat.
„Danke, Kapitän Hillri“, antwortete der seltsame Mann, der nichts als einen Rucksack bei sich hatte.
Nepo Hillri III schaltete den Bordcomputer ein. Er vernahm das vertraute Summen der Aggregate, dem er auch schon als kleiner Junge gelauscht hatte, als der Gasfrachter noch seinem Vater gehört hatte. Aber heute hatte er nicht die Zeit, anhand der zum Teil komplexen Geräuschabfolgen auf die richtige Funktion seines Schiffes zu schließen. Auf den Statusanzeigen mehrerer Systeme tauchte ein rotes „Bitte warten!“ auf, während der alte Computer langsam in Fahrt kam.
„Und was hat Sie hier nach Dohras verschlagen?“, fragte er den Alten beiläufig, den er gestern Abend in der einzigen Bar des Ortes kennengelernt hatte. Er drückte auf den Knopf, der den Zugang zum eine Ebene weiter unten gelegenen Maschinendeck entriegeln sollte. Keine Reaktion.
„Ich bin auf der Durchreise“, sagte sein Reisegast ausweichend.
„Ja, ich weiß, Ackerwelt Fünf“, wiederholte Hillri. Der Mann, der sich als Avid Perethon vorgestellt hatte, wollte unerkannt reisen. Der Kapitän war sich fast sicher, dass er nicht mal seinen richtigen Namen benutzte. Er drückte nochmals auf den Knopf. Nichts passierte, außer, dass jetzt auch in der kleinen Statusanzeige über dem Knopf „Bitte warten!“ angezeigt wurde.
Seufzend griff der Kapitän in die Tasche seiner dreckigen Arbeitshose und holte einen klobigen Kühlschrankmagneten daraus hervor. Er war groß und rund und gelb und es stand „Keine Panik!“ darauf. Er setzte den Magneten an der richtigen Stelle neben dem Schott an und hörte das mechanische Entriegeln.
„Keine Panik?“, fragte Perethon mit einem Lächeln in den Mundwinkeln.
„Klappt immer wieder!“, kommentierte Hillri und schob das metallene Schott mit einem kräftigen Schubs zurück. Der Hinweis „Bitte warten!“ verschwand von der Anzeige. Der Kapitän hielt sich am rutschigen Geländer fest und machte ein paar Schritte auf der wackeligen Leiter nach unten.
„Onkel, wir müssen los! Mach‘ das Schiff klar für den Start! Er kommt!“, rief er, während seine Augen versuchten, sich an das Licht hier unten zu gewöhnen, „Und gib dem Computer mal einen Tritt, der zeigt mir schon wieder diesen Unsinn an!“
Sein Onkel, ein Bruder seines verstorbenen Vaters, stand mit dem Rücken gegen den Reaktor gelehnt. Eine winzige Lampe über ihm tauchte die dreckige und staubige Gestalt in ein derart schummeriges Licht, dass man nicht einmal sagen konnte, ob er überhaupt wach war. Doch dann ließ er seine öligen Hände mit dem Liebesroman sinken, der nicht weniger schmierig war. Hillri kannte außer seinem etwas zurückgebliebenen Onkel niemanden, der noch Bücher aus Papier las. Der Onkel wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel.
„Ist gut, Chef!“, sagte er, immer noch von der Geschichte ergriffen. Der Kapitän schob sich wieder nach oben auf das Kommandodeck.
„Er ist manchmal etwas einfältig, aber als Mechaniker ist er ein Genie“, kommentierte der Kapitän in Richtung seines Reisegastes.
„Erwarten Sie noch weitere Reisende?“, fragte Perethon. Er klang etwas alarmiert, schon in der Bar hatte der unauffällig gekleidete Mann deutlich gemacht, dass er ausschließlich alleine reisen wolle. Er klang etwas alarmiert, schon in der Bar hatte der unauffällig gekleidete Mann deutlich gemacht, dass er ausschließlich alleine reisen wolle. Perethon wirkte nicht, als ob er dem Kapitän oder seinem Schiff voll vertrauen würde.
„Nein“, antwortete Kapitän Hillri knapp und sah aus dem Fenster hinaus rüber zum Verwaltungsgebäude: Niemand zu sehen. Nur Glänzer, der Hafenverwalter, stand dort und funkelte in den wenigen Lichtstrahlen der Sonne von Dohras. Er war ein Toach und für eine technische Lebensform nach Hillris Meinung ganz in Ordnung. Der Kapitän war sich nie sicher, wo genau der Unterschied zwischen einem Toach und einem Roboter war. Aber mit Glänzer – seinen eigentlichen Namen hatte er schon wieder vergessen – konnte er sich unterhalten und damit gehörte er zu den als lebendig zählenden Toach.
Unter seinen Füßen hörte er plötzlich ein kratzendes Geräusch, auf das auch der alte Mensch aufmerksam wurde.
„Ist das normal?“, fragte der etwas erschrocken. Kapitän Hillri schob ihn schweigend von der Bodenplatte zur Seite und löste deren Verriegelung.
„Wir haben hier manchmal ein Problem mit Grabnagern“, erklärte er und zog die erschreckend dünne Stahlplatte hoch. Es kam ein Raum zum Vorschein, der groß genug war, um auch Menschen aufnehmen zu können. Der kleine Verschlag war leer – bis auf ein kleines Ding, das auf acht mechanischen Beinen über den metallenen Boden hüpfte und dabei diese schabenden Geräusche machte. Hillri sprang runter und hob den kleinen Roboter auf.
„Sei vorsichtig mit ihm! Der soll uns die Grabnager vom Hals halten!“, rief der Onkel, dessen Kopf plötzlich im Durchgang nach unten zum Maschinendeck auftauchte.
„Mit Ultraschall! Gute Idee!“, kommentierte der Grauhaarige, der vielleicht von Armatin stammte, und deutete auf den großen Lautsprecher an der vorderen Seite des Roboters, der auch in Hillris Hand immer noch zappelte.
„Onkel, wir haben aber nichts gewonnen, wenn Deine Erfindungen in der Nacht genau so viel Krach machen wie die Grabnager“, bewertete der Kapitän die nicht sehr ästhetisch zusammengeschusterte Maschine seines Verwandten.
„Die haben einen Zeitschalter. Nachts sind sie ruhig. Und im All sowieso!“, kommentierte der Onkel. Nur der Kopf sah nach oben aus der Luke heraus.
„Dann hat unsere Schlaflosigkeit ein Ende. Gut gemacht!“, lobte Hillri zufrieden. Er sah wieder auf die Instrumententafel vor ihm. Überall „Bitte warten!“
„Und jetzt kümmere Dich um den Computer!“, befahl er dann. Der Onkel brummte etwas Unverständliches und zog sich wieder in das Dämmerlicht seines eigenen Reichs zurück.
„Haben Sie keine Angst, dass sich die Grabnager bis zu den Gastanks durchfressen?“, fragte der Fremde.
„Jetzt nicht mehr“, kommentierte der Kapitän. Warum sollte er auch zugeben, dass er auf diese Weise schon einmal eine halbe Ladung verloren hatte – und zum Glück nur die! Er überließ Perethon einfach wieder sich selbst und sah gebannt auf die Instrumententafel. Immer noch überall „Bitte warten!“
„Braucht ihr Computer immer so lange, um hochzufahren?“, fragte schließlich der alte Mann.
„Was? Äh, nein“, antwortete Hillri, der in Gedanken schon ganz woanders war. Eine Bewegung außerhalb des Raumschiffs erregte jetzt seine Aufmerksamkeit. Ein weiterer Mensch trat auf Glänzer zu, der sich immer noch mit irgendeiner Aufgabe vor dem Verwaltungsgebäude beschäftigte.
„Geht rein!“, murmelte er, aber leider taten ihm der Mensch und der metallisch funkelnde Toach nicht den Gefallen.
„Onkel, er ist da!“, informierte er seinen Verwandten.
„Moment noch!“, hörte der Kapitän ihn rufen, dann kam ein Stöhnen und Ächzen und dann schließlich hörte er ein paar wuchtige Schläge auf Metall, die im ganzen Schiff widerhallten und die Bodenplatten zum Vibrieren brachten.
„Was ist hier los?“, wollte der verwittert wirkende Mensch wissen, der offensichtlich immer noch keine Ahnung hatte, wer der Beamte war, mit dem sich Glänzer unterhielt. Offenbar hatte man den Krach, den sein Onkel machte, auch draußen hören können, denn der Neuankömmling sah jetzt auch zur Gasoline rüber.
„Starte jetzt die Triebwerke!“, rief der Onkel aus dem Maschinendeck. Kapitän Hillri griff nach der Steuerung und drückte ein paar Knöpfe gleichzeitig. Alle Lampen flackerten im Schiff und ein paar der „Bitte warten!“ Hinweise erloschen, während die Triebwerke hustend und röhrend zum Leben erwachten. Jetzt schien der Mann von der Behörde zu erkennen, dass dort etwas nicht stimmte und sein freundlicher Gesichtsausdruck, der Glänzer gegolten hatte, veränderte sich in das prüfende Gesicht, das Nepo Hillri III schon so gut kannte.
„Hinsetzen und anschnallen!“, herrschte der Kapitän Perethon an, der immer noch unschlüssig und scheinbar verängstigt mitten auf dem Kommandodeck stand. Der Kapitän hantierte an der Steuerung, während mehrere Warntöne wild durcheinander kreischten. Neben den „Bitte warten!“-Hinweisen gesellten sich noch einige rot und gelb leuchtende „Warnung!“- und „Systemfehler!“-Anzeigen, die das ganze Kommandodeck in ein unwirkliches Licht tauchten.
„Alle Energie auf die Triebwerke!“, befahl Kapitän Hillri und rief laut genug, um die ganze Kakophonie des Raumschiffs zu übertönen. Sein Onkel leitete alles, was der Reaktor hergab, um. Durch das Fenster konnte Hillri sehen, wie der Mann von der Behörde zunächst noch ein paar Schritte auf das Schiff zulief, als es aber vom Boden emporstieg, unter dem Fenster zurückblieb und dem Kapitän eine drohenden Faust entgegen schüttelte. Durch die plötzliche Bewegung des Schiffes wurde Hillri in seinen Sitz gepresst. Der Lärm, den die Gasoline machte, war fast unerträglich, aber sie glitten endlich den Sternen entgegen.
Als sie ein paar Minuten später den Orbit erreichten, wurde es wieder so leise im Schiff, dass sie sich verständigen konnten. Immer noch zeigten eine Menge Anzeigen ein fröhlich blinkendes „Bitte warten!“, aber immerhin waren viele der „Warnung!“- und „Systemfehler!“-Anzeigen erloschen.
„Wer war denn dieser Mann?“, wollte ein sichtlich erschrockener und mitgenommener Avid Perethon wissen.
„Tja, das war knapp. Er ist Beamter bei der Zulassungsbehörde. Er wollte die Wartungsprotokolle einsehen. Wenn er die Gasoline erreicht hätte, wären wir in den nächsten Monaten bestimmt nicht mehr gestartet“, erklärte Kapitän Nepo Hillri III. Er ignorierte für den Rest der Reise die „Bitte warten!“-Hinweise wie üblich mit einer Sturheit, die sich seit drei Generationen in seiner Familie durchgesetzt hatte.
Hat dies auf Wunderwaldverlag rebloggt.
Hallo Mathias,
schade, dass nicht aufgeklärt wird, wer der menschenscheue Reisende ist. Sonst gefällt mir deine Geschichte sehr gut.
Viele Grüße
Ann-Bettina
Hallo, Ann-Bettina!
Freut mich, daß Dir die Geschichte gefällt.
Avid Perethon ist einer der wiederkehrenden Personen in meinen Büchern und den Kurzgeschichten. Nur soviel kann ich verraten: Er ist in einem besonderen Auftrag unterwegs. In „Alte Freunde“, einer anderen Kurzgeschichte auf meiner Webseite, erfährt man etwas mehr über ihn.
Viele Grüsse,
Dein Mathias