Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Die Zeit fror ein. Kevin schien es, als hörte er das Brummen des Polizeireviers durch einen dichten Vorhang. Tastaturgeklapper, Telefonläuten, Unterhaltungen sowie das sporadische Gluckern des Wasserspenders waren sein einziger Anhaltspunkt dafür, dass die Welt nicht tatsächlich stehengeblieben war. De Soto und Edelstein verharrten regungslos, blickten ihn vollkommen entgeistert an.
Eine Minute, vierzehn Sekunden vorher
„… einen schnappst, ist schon längst überfällig“, spottete De Soto seinem Partner kollegial auf die Schulter klopfend, ehe er durch das Revier brüllte: „Hey, Edelstein, du glaubst nicht, was passiert ist. Dank dem Kleinen können wir T.J. hochnehmen.“
„Echt?“, erwiderte der Hochgewachsene aufrichtig erstaunt. Seit nunmehr drei Jahren versuchten sie den Kopf der lokalen Gang dingfest zu machen. T.J. war keineswegs einer der ganz großen Fische, eher einer von vielen Mittelsmännern, dennoch bedeutete seine Festnahme ein beachtlichen Erfolg für die FDA, denn einem Informanten zufolge war er mit Frings Tochter verbandelt. Damit stand T.J. eine rosige Zukunft im Kartell bevor, immerhin gehörte er sozusagen zur Familie und bestimmt gäbe er ein nützliches Werkzeug im Kampf gegen die Kriminalität ab. „Wow, gratuliere dir, Mann!“, meinte Scott Edelstein, während er sich Beifall klatschen von seinem Pult erhob. De Soto schubste McLaughlin vor sich her, so als präsentierte er seinen Kameraden eine Trophäe. Sogar Dana Quinn spendierte ein anerkennendes Nicken, eine, für die sonst so lautstarke Frau ungewöhnlich respektvolle Geste. „Wie hast du das angestellt?“, wollte sie wissen.
„Erinnert ihr euch, der Waffensystem-Transport letztes Jahr, Operation ‚Baumflechte‘? Beim Verhör mit Gustavo stellte sich heraus: Unser Freund T.J. …“
„Was ist denn hier los?“ Sue Park, gefolgt von ihrem neuen Schatten, Tamala Ruben, blieb mit einer hochgezogenen Braue in der Tür stehen.
„McLaughlin hat dafür gesorgt, dass wir T.J.s Arsch endlich einbuchten können“, jubelte Edelstein und grinste einen Ticken breiter als üblich. Park brauchte einige Sekunden, die Neuigkeiten sickern zu lassen und marschierte dann zu ihrem Vorgesetzten. „Toll gemacht, Boss.“ Damit machte sie sich sofort daran, ihren Papierkram zu erledigen. Sergeant Park war wohl die einzige, die Formalitäten mit demselben Pflichtgefühl ausführte wie Einsätze. Sie war eine der Polizisten, für die stets alles korrekt sein musste, niemals würde sie einen Report verschlampen oder einen zerbrochenen Seitenblinker am Streifenwagen tolerieren, anders als De Soto.
„Ich dachte schon, wir kriegen den Nigger nie“, lachte Tamala, sichtbar erleichtertet. Sie war, so wie einige der hier arbeitenden Leute, unter der Fuchtel der Gangs aufgewachsen, dementsprechend groß fiel ihre Freude aus, wenn die Polizei Fortschritte machen konnte. Obwohl Tamala erst seit Kurzem in der Einheit war, Detective McLaughlin folglich kaum kannte, schüttelte sie beherzt seine Hand. „Ich gratuliere Ihnen, Sir.“
„Ich hatte Glück“, wiegelte Kevin ab, das viele Lob war für ihn gleichermaßen unangenehm wie schmeichelhaft. „Und lassen Sie das mit dem ‚Sir‘, das ist ja peinlich.“ Tamala lachte erneut und boxte ihm ausgelassen auf den Oberarm. „Wie Sie wünschen, Kleiner.“ Edelstein und De Soto brachen in Gelächter aus. „Kevin oder McLaughlin wäre mir lieber“, erklärte er mit einem Funkeln in Richtung Scott. „Aber ja, ich bin genauso froh, den Nigger hinter Gitter zu bringen.“ Danach gefror die Zeit.
Drei Minuten, acht Sekunden später
„… spielt überhaupt keine Rolle“, empörte sich De Soto. Die Zornesfalte zwischen seinen Augen zerfurchte seine ansonsten so freundlichen Züge. „Sie ist schwarz, du nicht!“
„Ja, was fällt dir eigentlich ein?“, mischte sich Dana ein. Sie baute sich vor McLaughlin auf und tippte, nein, bohrte ihren Zeigefinger bei jeder Silbe in seine Brust. „Du hörst dich an wie ein verdammtes Rassistenschwein!“
„Leute, Leute, was soll das?“ Der Captain trat, angelockt vom Streit, aus ihrem Büro. Kevin rutschte beim Anblick seiner indischstämmigen Chefin das Herz in die Hose. Er hatte den Kommentar vorhin wirklich nicht böse gemeint, geschweige denn rassistisch, der verbotene Ausdruck war ihm einfach rausgerutscht. Doch das änderte gar nichts.
„Captain, McLaughlin hat Ihnen etwas zu sagen.“ Dana stemmte ihre Hände in die Hüften, hob ihr Kinn und sah Kevin auffordernd an.
„Captain“, begann dieser, auf den Boden starrend. „Captain, ich muss mich entschuldigen. Ich befürchte, mir ist das …“
„Er hat das N-Wort gesagt!“, wurde er von Dana unterbrochen. Quinn war auf dem Revier für zwei Dinge bekannt. Beide waren ihrer schonungslosen Hartnäckigkeit geschuldet; zum einen war sie ein guter Cop, der in jeder Situation das Richtige tun wollte, andererseits tat sie das selbst dann, wenn es ihr schadete. Im Grunde hätte sie Neal im Rennen um den Lieutenant-Posten ausstechen können, wäre ihr nicht ihr legendär vorlautes Mundwerk dazwischen gekommen, denn sie hatte dem vorherigen Captain gesagt: „Ich lege mich auf keinen Fall für einen Hundekuchen von ganz oben auf den Rücken und gebe meine Fälle freiwillig ans FBI!“ Kooperation war nicht ihre Stärke. Genau das bekam nun Kevin zu spüren.
„McLaughlin, ist das wahr?“, fragte der Captain schließlich, Danas herausfordernde Körperhaltung ignorierend. „Haben Sie das gesagt?“ Der Angesprochene linste verzweifelt zu seinem Partner, dessen verschränkte Arme ließen auf wenig Hilfsbereitschaft schließen.
„Ja, ich … Bitte verzeihen Sie, ich …“
„Ich habe es zuerst gesagt, Captain“, fuhr ihm Tamala Ruben unverhofft ins Wort. „Eine alte Gewohnheit, Sie verstehen. Das war sehr unprofessionell von mir.“
„Okay.“ Margaret Parish beäugte die beiden skeptisch, entspannte ihre Mimik bald und atmete einige Male tief durch, bevor sie an Kevin gerichtet feststellte: „Ihnen dürfte klar sein mit wie viel Kritik bezüglich Rassismus unsere Leute derzeit konfrontiert werden. Ich dulde auf meinem Revier keine diskriminierenden Äußerungen, haben Sie verstanden?“ Ohne Zögern antwortete Kevin: „Ja, Sir, verstanden, Sir. Es kommt nie wieder vor.“
„Und Sie, Ruben, bemühen sich gefälligst, sich ihrem Posten angemessen auszudrücken. Machen Sie es zu ihrem Neujahrsvorsatz.“ Parish war deutlich anzusehen, dass sie sich lieber um andere Belange kümmern würde. Seufzend tat sie ihre Pflicht, darum bemüht, Quinn nicht direkt anzusprechen: „Will jemand offizielle Beschwerde gegen McLaughlin einreichen?“
„Nein“, erklang es beinahe unisono und Kevin sowie Parish entfuhr ein leises, befreites Schnauben, als Quinn verneinte.
„Moment“, meldete sich Edelstein. „Weshalb steht hier bloß McLaughlins Benehmen zur Debatte? Ruben hat soeben denselben Fauxpas zugegeben.“
„Oh, bitte. Du machst dich lächerlich!“ Quinns Keifen bewegte sogar Sue dazu, ihren Stift beiseitezulegen und mit aufgestützten Ellenbogen der Unterhaltung zu folgen. „Das ist nicht dasselbe.“ De Soto, Parish sowie Kevin pflichteten ihr bei. Ruben hingegen schwieg.
„Ach ja? Wieso denn? Ich dachte, wir werden hier alle gleich behandelt. Da habe ich mich wahrscheinlich getäuscht.“
„Du spinnst ja wohl.“ De Soto schlug fassungslos die Hände über dem Kopf zusammen. „Sicher war es ein unprofessioneller Ausrutscher von Ruben, aber mein Partner hier hat nicht im Geringsten das Recht, dieses Wort auch nur zu denken.“
„So weit sind wir also schon?“, ereiferte sich Scott. „Kontext, Intention, ja nicht einmal der Charakter zählen etwas, bloß die Hautfarbe? Ernsthaft?“
„Es geht mitnichten um die Hautfarbe, sondern um den geschichtlichen Hintergrund. Über Jahrzehnte, bald Jahrhunderte hinweg wurde dieses Wort verwendet, um Menschen zu degradieren. Und zwar von Leuten wie dir oder McLaughlin!“ Dana vergaß in ihrer Rage komplett ihren Captain, diese stand nämlich noch immer neben ihr.
„Wir haben rein gar nichts damit zu tun. Wenn du schon den Geschichtsprofessor spielen willst, dann überleg dir mal, was McLaughlins irischer und mein jüdischer Nachname bedeuten könnten. Unsere Vorfahren sind ebenfalls verskl…“
„Es reicht!“ Parks Fäuste donnerten heftig auf ihren Schreibtisch, einige Stifte flogen herunter und sämtliche Anwesenden verstummten sogleich. „Captain, Detectives, Officer Ruben“, sprach sie weitaus ruhiger weiter, „Wir alle, ob Nigger, Cracker, Spick, Bog-Jumper, Paki, Kike, Jap oder Yankee sind hier, um unserer Stadt, unserem Land zu dienen. Wir arbeiten gemeinsam, leben gemeinsam. Wir helfen einander, sterben füreinander wenn es sein muss. Ich habe die Nase gestrichen voll, dass wir all das wegen ein paar dämlicher Worte nicht zu schätzen wissen. McLaughlin hat einen Fehler gemacht und sich entschuldigt. Ruben nimmt es ihm offensichtlich nicht übel und auch ihr tut es leid. Selbst der Captain hat damit abgeschlossen. Wieso zum Teufel diskutieren wir noch, statt uns an die Arbeit zu machen? T.J. überführt sich kaum von alleine.“ Die Zeit wollte ob Sue Parks Wortschwall wieder einfrieren. Dieses Mal kam ihr der Captain allerdings zuvor. „Amen. Los jetzt, an die Arbeit!“