Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Seit ich heute Morgen beim Duschen ausgerutscht und meinen Sturz mit dem Beckenboden auf dem Badewannenrand aufgefangen hatte, fühlten sich meine Genitalien irgendwie geschwollen an. Und ja, verflucht nochmal, das Wort „irgendwie“ traf nicht so ganz zu, obwohl es mich beruhigte, wenn ich es innerlich immer wiederholte. Nicht, dass das jemanden interessierte. Selbstverständlich dachte ich mir das alles nur, statt es jemandem zu erzählen, was wohl auch erklärte, warum es niemanden interessierte. Doch es tat höllisch weh und ich war der festen Überzeugung, dass ich das verdammte Recht hatte, mich auch mal aufzuregen! Und nur weil ich zu schusselig war, um mich bei meiner Körperhygiene nicht selbst zu verletzen, durfte ich jetzt wie eine hochschwangere Ente durch die schlecht gereinigte und zu dieser frühen Tageszeit grauenhaft überfüllte U-Bahn-Station watscheln. Daisy Duck im Anmarsch, rette sich wer kann!
Und nicht, dass es damit genug gewesen wäre, nein: Danach hatte ich mir beim Streichen meines Nutella-Brotes in den Finger geschnitten und zwar mit einem kleinen Scheißer von Messer, der es nie gewagt haben sollte, sich mit mir anzulegen. Noch immer fassungslos und blutend war ich zurück ins Bad gerannt, um meine Kriegsverletzung in der heißen Schlacht um das kalte Frühstück zu verarzten. Natürlich hatte ich mir dabei den kleinen Zehen angeschlagen und vor lauter Schmerzen einen Regentanz in meinem Gang aufgeführt. Und das, meine lieben imaginären und verfluchten Zuhörer, die es offenbar keinen Deut kümmert, wie ich leiden muss, war der Punkt gewesen, an dem ich für einen Tag endgültig genug gehabt hatte. Niemand sollte an einem einzigen Tag so viel sinnloses Leid durch Errungenschaften erdulden müssen, die eigentlich das Leben einfacher machen sollten, seien es nun Badewannen, Messer oder Türrahmen. Und so quälte ich mich nun über die Plattform, nur um wie immer brav so zu tun, als möchte ich nicht einen Raketenwerfer in der Hand halten und damit ein Massaker von noch nie dagewesenem Ausmaß veranstalten.
Die Wut in mir hatte nicht wie üblich nachgelassen, nein, sie schwelte und wuchs sogar, als ich mir die lachenden Idioten auf der Plattform ansah, die nur darauf warteten, in einer stinkenden und überfüllten Bahn zu einem langweiligen Job oder zu einer einschläfernden Schulstunde zu fahren. Ein Haufen Großstadtzombies, die sich in Maßen bewegten, hin und zurück, nur unterbrochen von dem obligaten Halt an der Dönerbude, oder an einer dieser trendigen Läden, in denen es Grünzeug gab, dessen Gesundheit mit kalorienreichen Saucen gleich wieder vernichtet wurde, ohne den Schein für die gutgläubigen Konsumenten zu verderben. „Okay“, murmelte ich zu mir selber und unterbrach damit meine innere Rage, „jetzt bloß niemanden umbringen.“
Eine junge Frau, angemalt und behängt wie ein verdammter Tannenbaum, warf mir einen skeptisch-abschätzigen Blick zu, offenbar hatte sie mich trotz meiner Bemühungen, als Rasende Furie inkognito zu bleiben, verstanden. Ich machte einen großen Schritt neben sie und zischte ihr so ins Ohr, dass es wirklich niemand sonst hören konnte (und ja, diesmal war ich mir sicher): „Mach mal lieber eine Kissenschlacht mit deinen zurückgebliebenen Freundinnen, du Assi-Zicke!“ Damit wandte ich mich ab und schritt schon etwas selbstsicherer weiter, denn die von meinem normaleren Gang entstehenden Schmerzen waren genau das, was ich nun brauchte. Ein leises Grinsen machte sich auf meinem Gesicht breit: Die schadenfreudige Genugtuung einer Person, die dreihundertvierundsechzig Tage im Jahr nett war, lächelte und nichts sagte, wenn sie ihren einen Tag hatte, an dem es ihr erklärtes Ziel war, diese Welt plattzumachen. Und diesmal war ich fest entschlossen, mein emotionales Workout nicht vorzeitig zu beenden, sondern erst noch einige Leute zur Schnecke zu machen, die es meiner Ansicht nach verdient hatten. Mein Blick fiel auf den lauten Straßenprediger, der sich schon seit ich in dieser Gegend wohnte, immer wieder in der U-Bahn-Station herumtrieb und der festen Überzeugung zu sein schien, dass der Begriff „Lärmbelästigung“ etwas war, das nur für Punks mit Ghettoblaster galt, doch nicht für religiöse Fanatiker. Dieser kleine, wertlose und ungewaschene Idiot, der tatsächlich glaubte, mir, ausgerechnet mir, erzählen zu können, was ich zu denken habe! Nein, ich würde ihn mir holen, ihm erzählen, was… Noch bevor ich den Gedanken zu Ende gebracht hatte, rief ich ihm auch schon über die verbleibenden Meter hinweg zu: „Heilige Scheiße, du würdest mehr Leute zum Glauben anregen, wenn du vor den nächsten Zug springst! Alle, die nicht Atheisten sind, würden ihrem Gott dafür auf Knien danken, endlich ihre Ruhe zu haben.“
Der Typ starrte mich nur dumm an und ich konnte beim besten Willen nicht erraten, ob er mich nicht verstanden hatte, oder ob er sich andere Kommentare auf sein infernalisches Werk gewohnt war. Es kümmerte mich ehrlich gesagt auch nicht groß und die beschämten Blicke genauso wie die Grinser der Umstehenden spornten mich dazu an, weiterzumachen, mir ein neues Opfer zu suchen. Es machte einfach viel zu viel Spaß, um jetzt damit aufzuhören. Ich wusste, dass es nur noch einen Ausweg gab, bevor ich endgültig auffallen würde, einen Ausweg, der mich davor retten würde, von der gereizten Person zum rasenden grünen Comic-Monster zu werden: Ich musste von hier verschwinden und zwar, bevor ich den Leuten, die jeden Tag auf meinem Arbeitsweg neben mir auf der Plattform standen einen verdammt guten Grund geben würde, sich für den Rest meines Lebens an die Frau zu erinnern, die mit Gegenständen nach nervtötenden Passanten geworfen hatte. Und da kam auch endlich mein kleiner Hoffnungsschimmer, mein Licht am Ende des Tunnels: Die Bahn nach Pankow. Ich würde einfach in den Zug steigen, ein paarmal tief durchatmen und mich beruhigen. Und ja, ich würde heute trotz meiner Schmerzen mit einem glückseligen Lächeln am Schreibtisch sitzen, das man so von mir nicht einmal an Geburtstagen zu sehen bekam; denn manchmal tat rohe, sinnlose Wut auch einfach gut.