Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
„Aber … Sir!“, stammelte Quiquinox und trippelte über den rostigen Steg, der die Montagehalle überspannte. „Wir können nicht einfach so unsere Produktion verdoppeln, ohne die notwendigen Investitionen vorzunehmen und zusätzliches Personal einzustellen.“
Das laute hydraulische Zischen der Hufpresse unter ihnen übertönte die Antwort des Geschäftsleiters und Quiquinox sah ihn mit großen Augen an; er verstand sofort, er konnte sie nicht hören und wartete, bis sie über der bedeutend leiseren Fellwalze angelangt waren, lehnte sich ans Geländer und seufzte. „Miss Quiquinox, Sie wissen genauso gut wie ich: Mir sind die Hände gebunden. Der Vorstand verlangt, dass wir unseren Output verdoppeln, ohne einen müden Pfennig mehr zu investieren. Unsere Arbeiter werden schon jetzt durchaus ordentlich bezahlt, drei magische Bohnen pro Tag sind sehr generös; wir können uns glücklich schätzen, dass ich den Lohn auch dieses Jahr unverändert lassen konnte, Sie wissen, wie geizig der Vorstand ist.“
Die Elfin stand schweigend neben ihrem Vorgesetzten am Geländer, nickte und sah in die Tiefe: Drei Arbeiter in blauen Overalls stellten die Hufe für das neuste Modell, den Haymaster-3000, aufs Fließband während weitere bereits ein Set Beine aus dem 3D-Drucker holten. Eine ganze Menge Überstunden kamen auf die emsigen Elfen zu, dessen war sich Quiquinox sicher. Sie konnte es nicht leugnen: Jeder, der in Big Pony arbeitete, hatte diese Situation von Beginn an kommen gesehen. Es war eine harte Branche, ohne Rücksicht auf Verluste und die Nachfrage nach Zwergponys stieg stetig, sogar in der schlimmsten Wirtschaftskrise, selbst wenn die Preise nach unten korrigiert werden mussten. Die CEO-Assistentin tauschte mit ihrem Chef ein paar Höflichkeiten aus, bevor sie sich verabschiedeten und er von Dannen schlurfte.
Es war schon spät und die gleichmäßige, emsige Geräuschkulisse der Maschinen war verstummt, die Arbeiter längst nach Hause gegangen. Quiquinox lehnte sich erschöpft in ihrem Sessel zurück, ehe sie sich einen Ruck gab, sich erhob und langsam zu dem mächtigen Panoramafenster schlenderte, von dem aus sie die Montagehalle überblickte. Sie nahm sich lange Zeit, alles ausgiebig zu mustern, ganz sicher zu gehen; ja, die Fabrik war elfenleer. Mechanisch zog sie das Wegwerf-Mobiltelefon aus ihrer Tasche und wählte die Nummer, die sie bereits im Schlaf auswendig kannte. Das Freizeichen erklang, einmal, zweimal, dreimal … Endlich, die ruhige, perfekt modulierte männliche Stimme meldete sich am anderen Ende: „Ops Center.“
„Autorisierung Zwo-Fünf-Acht.“ Quiquinox klang kühl, so ganz anders, als es sich ihre Freunde von ihr gewohnt waren. „Ich habe die aktuellen Zahlen für L.“
„Gute Arbeit, Agentin Zwo-Fünf-Acht. Wir sind bereit.“
Quiquinox begann damit, aktuelle Verkaufszahlen, Kundennamen und Lieferungen zu diktieren. Nachdem sie fünf Minuten ununterbrochen gesprochen hatte, erklärte sie abschließend: „Ich melde mich, wenn ich weitere Daten habe.“ Damit legte sie auf, schaltete das Mobiltelefon aus uns steckte es weg.
Mit einem zufriedenen Lächeln wandte sie sich von der Montagehalle ab und widmete sich wieder den Papieren auf ihrem Schreibtisch. Die umtriebige Elfin war in ihrem Metier geübt, hatte es perfektioniert und wusste dank unzähliger Wanzen, Keyloggern und Trojanern in der Pony-Software, dass ihr niemand auf der Spur war. Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn die Elfenheit von dem erfuhr, was sie hier für die Regierung tat! Nein, ihre Arbeit war makellos und es konnte keinen Grund für sie geben, je auf die Zyanidkapseln in ihrer Handtasche zurückgreifen zu müssen.
Die Agentin musste sich bei dem Gedanken sogleich an ihre Abenteuer im Trainingscamp erinnern, damals, als sie noch jung gewesen war. Quiquinox hatte den Großteil ihres Lebens bei der Agency verbracht, hatte trainiert, sich stets verbessert, nie aufgegeben – sie glaubte an die Sache, den Staat, wusste um Dinge, die jedem gutbürgerlichen Elf den Schlaf rauben würden … Was sie tat, war notwendig, auch, wenn dafür niemand Verständnis hätte.
Rasch sortierte sie die Akten auf dem Schreibtisch fertig, heftete sie und packte Lippenstift, Taschenspiegel, Handy und ein paar vom Büro geklaute Bleistifte in ihre Handtasche. Eben, als sie bereit war, sich nach ihrem Tageswerk auf den Heimweg zu machen, wurde die alte Tür quietschend aufgestoßen und der Geschäftsleiter stand in der der Öffnung. Die Enttäuschung in seiner Stimme sprach Bände. „Wieso, Quiquinox? Wieso haben Sie uns verraten, nach allem, was wir für Sie getan haben?“
Die erfahrene Agentin begriff, wenn sie aufgeflogen war – vermutlich hatte der Geschäftsleiter sein Büro verwanzt. Sie zögerte nur eine Sekunde, bevor sie bestimmt antwortete: „Weil es notwendig war, Sir.“
„An welchen unserer Konkurrenten verkaufen Sie die Geheimnisse?“, wetterte der Chef mit seiner Fistelstimme. „Nach all den Jahren könnten Sie wenigstens den Anstand haben, mir das zu sagen!“
Sie erstarrte – Industriespionage, darauf wäre sie nie im Leben gekommen. Pony-Baupläne an Konkurrenten verraten, die Blaupausen für neue Produktlinien an den Meistbietenden verhökern? Die Empörung der Patriotin war angesichts dieser Anschuldigungen grenzenlos. „Sir, ich bin nicht so tief gesunken, ich bin doch kein Troll!“, entrüstete sie sich und vergaß vor lauter Aufregung ihre Selbstkontrolle und den in ihrer Aussage enthaltenen Rassismus. „Ich arbeite für die EIA, verdammt!“
Die kleinen Elfsäuglein des Geschäftsleiters weiteten sich. „Die Elvish Intelligence Agency? Was um Himmels Willen sollte denn die Regierung davon haben, uns auszuspionieren?!“
Quiquinox wäre am liebsten vor lauter Scham im Boden versunken, sich derart verplappert zu haben. Elfen waren dafür bekannt, sehr kommunikativ zu sein, doch für eine Geheimagentin ziemte es sich einfach nicht, über ihre Arbeit zu sprechen. Plötzlich kamen ihr die Zyanidkapseln bedeutend sympathischer vor, während sie nervös über ihr grünes Kostüm strich. „Wir spionieren nicht die Firma aus, Sir.“ Sie pausierte betreten, versuchte sich zu beherrschen, ihrem langjährigen Vorgesetzten die Wahrheit vorzuenthalten, aber es gelang ihr nicht – kein Wunder, hatte die EIA immer Probleme, verschwiegene Leute zu finden. „Wir schmuggeln Trojaner in die Software der Ponys, um uns frühzeitig gegen feindliche Spionage wappnen zu können: Alles, was in der Gegenwart eines Ponys gesagt wird, findet über das Drahtlosnetzwerk den Weg in unseren Supercomputer, der dann prüft, ob jemand ein feindlicher Agent oder Verbrecher ist.“
„Jeder, einfach jeder, hat ein biomechanisches Zwergpony!“, rief ihr Gegenüber bestürzt aus. „Ihr spioniert das ganze Land aus!“
Quiquinox lachte nun trotzdem los. „Natürlich, von den Modellen, die ins Ausland verkauft werden, ganz zu schweigen! Wir werden bald alles kontrollieren können.“
„Und was ist mit der Armut in unserem eigenen Land?“, brüskierte sich der Geschäftsführer. „Sollte die Regierung nicht besser etwas dagegen tun, dass noch immer so viele Trolle unter Brücken hausen und keinen Zugang zu Bildung haben?“
„Wie viele magische Bohnen spenden denn Sie jährlich für Hilfswerke?“, erkundigte sich die Agentin rhetorisch, um ihren Standpunkt deutlich zu machen. „Nichts für ungut, Sir, aber ich möchte hier keine Politikdebatte führen, ich tue nur, was getan werden muss. Oder möchten Sie etwa, dass die barbarischen Orks zur Weltmacht Nummer Eins aufsteigen? Der Orden der wahnsinnigen Zauberer, der eine Besensteuer einführen möchte? Die Zwerge mit ihren Uranminen, die jederzeit eine Atombombe zünden können?“
Der CEO seufzte und lehnte sich zurück. „Nein, selbstverständlich nicht – ich wünschte einfach, meine Ponys wären nicht an einer Verschwörung beteiligt.“
„Genau das ist das Problem mit diesem Land“, redete sich Quiquinox weiter in Fahrt. „Jeder will beschützt werden, keiner will wissen, wie das geschieht und wehe, er hat einen Anteil daran! Leute, wacht auf – so funktioniert die Welt nicht!“
Quiquinox wusste, wie sie ihn dazu bewegen konnte, am Ende hinter der Operation zu stehen – er war ein Patriot, wenn er auch manchmal einen kleinen Schubser in die richtige Richtung brauchte. Gerade als sie sich umwenden wollte, erkannte sie, wie er eine Zyanidkapsel aus ihrer Handtasche nahm und schluckte. „Sorry, ich will unbedingt ein Tic Tac“, murmelte er beschämt. „Wenn wir schon bei Geständnissen sind, ich klaue Ihnen die Dinger andauernd aus der Handtasche.“
„Das sind Suizidpillen!“, keuchte Quiquinox überrascht, bevor sie kombinierte: „Sie essen einfach so meine Zyanidkapseln und halten sie für Mints? Das ist nicht möglich, Zwerge sind dank jahrelanger Bergbauarbeit dagegen immun …“
„Plastische Chirurgie wirkt wie Zauber, was?“, grinste der Geschäftsführer und Quiquinox fiel es wie Schuppen von den Augen. Jetzt ergab alles einen Sinn, die Tatsache, wie schweigsam ihr Boss war, sich nie verplapperte, kaum je herumtänzelte … Sie hätte es sehen müssen, ein feindlicher Agent, direkt vor ihrer Nase!
„Und was spionieren Sie aus?“, fragte sie mit dem typischen elfenhaften Lächeln – wenn man aufgeflogen war, konnte man genauso gut Konversation machen (wie gesagt, kein Wunder haben die Elfen einen schlechten Geheimdienst).
Er starrte sie für einen Moment verwirrt an, offenbar hatte er sich noch immer nicht ganz an die elfischen Gepflogenheiten gewöhnt. „Nun ja, euch, eure Industrie, euer Volk und wie wir wissen, kommt jeder hohe Entscheidungsträger aus der Zwergponyindustrie, also hoffentlich bald auch eure Regierung. Aber ich arbeite für mich selber, wissen Sie, ich möchte eines Tages gerne die Weltherrschaft an mich reißen.“
Quiquinox’ Gesicht hellte sich auf, als ihr die beste Idee seit langem kam. „Das ist es! Ich habe Zugang zum Supercomputer mit allen Informationen über die Geheimnisse der Mächtigen, Sie haben Zugang zum nuklearen Arsenal der Zwerge – gemeinsam könnten wir es schaffen!“
Sie brauchte bloß die Mimik ihres Gegenübers zu beobachten, um zu begreifen, dass sie ihn nicht würde überzeugen müssen. Natürlich war Quiquinox patriotisch; ihr war aber auch klar, ihr Patriotismus konnte nur noch wachsen, wenn sie eigenhändig die Welt regierte. Zwergponys, ein Doppelagent und Nuklearwaffen waren, wie hätte es anders sein können, der Schlüssel dazu.