Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Fortsetzung und Schluss zu: „Die Alp | Teil 1“.
Diese Geschichte enthält Dialog in Schweizerdeutsch – die deutsche Übersetzung findet ihr am Ende des Textes.
Der alte Bauer lehnte ihr gegenüber an den Kochherd und verband die Wunde an seinem Unterarm. Selbst über die Entfernung von zwei Metern waberte Mona sein ranziger Mundgeruch entgegen. Allein bei der Vorstellung, dass dieses Ungetüm grunzend auf ihr gelegen, sich in ihr gerieben hatte, fiel es ihr schwer, den Würgereiz zu unterdrücken. Er ließ sie nicht aus den Augen. Sie hatte den Türknauf schon in der Hand gehabt, wäre beinahe in die stürmische Nacht entkommen, weg von diesem widerwärtigen Mistkerl, da hatte er sie erwischt und am Handgelenk gepackt. Natürlich hatte sie gekämpft, ihm alles entgegengesetzt, was noch in ihr steckte. Es war zu wenig. Nach wenigen Tritten, Kratzern und einem beherzten Biss hatte er sie von hinten umschlungen, hochgehoben und mühelos auf die Eckbank verfrachtet. Da hockte sie nun, zitternd, mit an die Brust gezogenen Knien in der hintersten Nische der Küche, und betete stumm zu einem Gott, an den sie nicht glaubte. Jan und Mario waren bestimmt auf dem Weg ins Dorf, um Hilfe zu holen. Wie damals auf der Kirmes, da waren sie auch wiedergekommen und hatten sie nach Hause gebracht. Ja, das war es sicher, sie bringen Verstärkung mit, redete sie sich ein. Vielleicht. Vielleicht waren sie längst tot, hingen an Fleischerhaken in der Scheune. Die Hütte erbebte unter dem Gewitter, Balken ächzten im Wind, der Himmel vor dem schmutzigen Fenster wechselte zwischen Dunkelheit und grellem Flackern, fast zeitgleich krachte der Donner. Monas Geist schob die Abartigkeit, die ihr zugestoßen war, die er ihr angetan hatte, für ein Weilchen beiseite und konnte dem Regen zuhören.
„Luä“[i], nuschelte er sie aus dem seligen Vergessen stoßend. „Da.“ Langsam streckte er ihr einen Mantel entgegen. „Nimmnä, di gfröhrts schüsch no.“[ii] Die Müdigkeit nahm Überhand. Nein! Sie war nicht einfach müde, ihr geschändeter Körper drohte in sich zusammenzubrechen. „Chum scho“[iii], sagte er und zeigte sein modriges Schmunzeln, als sie den stinkenden Stoff nahm und ihn über sich drapierte. „Gsehsch, viu gäbiger so.“[iv] Jähes Klopfen durschnitt das prasselnd-grollende Geräusch des Sturms, der Vergewaltiger drehte sich weg, nur um sie sogleich mahnend anzufunkeln. „Das isch dr Housi, däm hani vori aglütä.“[v] Damit wandte er sich um und trottete zur Tür.
„Ja, salü Köbu, jez verzeu.“[vi] Vom Raunen der fremden Männerstimme aufgeschreckt, richtete sie sich auf und stemmte ihre Hände gegen die Tischplatte. So wie er reagiert hatte, rechnete der Alte mit dem Besuch, hatte ihn womöglich eingeladen um … um … Mona wollte nicht daran denken. Sie tat es trotzdem und hoffte inständig, auch dieses Mal bewusstlos zu sein. Je mehr sie daran dachte, desto präsenter wurden die Schmerzen. Ihre Scheide glühte, brannte regelrecht ein Loch bis in ihre Mitte. Er hatte sie aufgerissen, sie inwendig zerstört. Auf zweierlei Weise.
„Housi … mau inä … flätschnass …“[vii]
Unterhaltungsfetzen drangen zu ihr.
„Nenei, mier … gschiidschte … Mier wee … Schreckä ijaage.“[viii]
„Si hetmer i Sturm … secklä. U bissä het …“[ix]
„… totau veräng… Bi dem Wätter!“[x]
Schweizerdeutsch war eine seltsame Sprache, Mona kamen gerade genug Silben bekannt vor, sodass es ihr unerklärlich war, weshalb sie kaum begriff, worüber gesprochen wurde. Es ging ums Gewitter. Wahrscheinlich …? Matt gab sie ihre defensive Haltung auf und sank in sich zusammen, so angespannt sie war, so ausgelaugt war sie auch. Weinend zog sie die Knie wieder ans Kinn und ließ Verzweiflung über sich hinwegwaschen. Wenn sie gegen einen chancenlos war, wie sollte sie zwei Männer abwehren? Ihr Heulen wurde lauter und sie hasste sich dafür. Diese Schweine durften nicht denken, sie hätten sie gebrochen, sich womöglich an ihren Tränen aufgeilen. Mona hielt die Luft an, biss sich bei jedem schluckaufartigen Schluchzen auf die Unterlippe und zwang sich, durchs Fenster zu starren. „Da raus“, flüsterte sie angestrengt. „Da raus, du kommt da wieder raus.“ Gedanklich spielte sie jedes Szenario durch und kam zum Schluss, die Flucht durchs Fenster sei die beste Alternative. Lieber stürzte sie irgendwo auf dem Berg zu Tode, als … als … Ihr Hass auf sich selbst wuchs ins Unermessliche, denn anstatt sich aufzurappeln, kauerte sie tatenlos in der Küchennische, unfähig, sich zu bewegen. Es war ohnehin zu spät.
„Housi, chum jetzt inä, seechnas bisch.“[xi] Die Dielen stöhnten, der Mann kehrte zurück, hinter ihm der Neuankömmling in sportlicher Regenmontur. „Luä, da isch siä.“[xii]
„Ah, eh luä da, tatsächlech“[xiii], zischte der Neue sich von seiner Jacke entledigend. Er war noch größer als der Bauer, musste sich ducken, um unter den Trägerbalken der Hütte hindurchzupassen. Vom Alter her schätzte sie ihn um die Vierzig, allerdings war sein Gesicht unter dem Vollbart kaum zu erkennen. „Ha scho gloubt, du verzellsch Seich.“[xiv] An sie gerichtet, fügte er mit dickem Schweizer Akzent an: „Hallo, Fräulein.“
Mona blieb stumm, beäugte ihn argwöhnisch und bereitete sich darauf vor, sich gegen die beiden zur Wehr zu setzen, obschon ihr klar war, dass sie sich weder verteidigen konnte, noch würde.
„Ich bin Hans Stäger, Förschter“, begann er und hielt ihr die Hand hin. „Jakob hat die Polizei verständigt, die wegen dem Sturm nicht kommen kann, also haben sie mich gebeten, bis morgen früh nach dem Rechten zu luegen.“ Er nahm die Hand wieder runter und setzte sich möglichst weit weg von ihr an den Küchentisch. „Frau … Frau?“
„Si säit scho lenger nüt me“[xv], warf der Bauer genervt ein, woraufhin Mona zusammenfuhr. „Si biisst numä!“[xvi]
„Ah“, machte Hans Stäger, lächelte sie milde an und meinte zum anderen: „Los, gang du chli usä, de chani allei mit ihm da redä.“
„Ja was, i Räge schicksch mi?!“[xvii]
„Eh, de gang ufe Schober, du Lööl. Das muäss schreckläch si für das Meitischi, zwe frömdi Fözlä wo uf se iistürme, nachdäm … du weisch ja.“[xviii]
„Äi“, spie der Bauer wild gestikulierend aus. „Ds Dach tropft däich.“[xix]
Mona zuckte heftig und wimmerte panisch: „Nein, nein, bitte!“
„Köbu.“ Hans‘ erhob stellte sich zwischen sie und den Angesprochenen und bedeutete diesen, rauszugehen. „Chasch i mi Jeep, das isch ämel ä Kompromiss.“[xx]
„Äi“, knurrte er seinen Verband umfassend. „Äi, ga ja scho.“[xxi]
Kaum hatte der Bauer die Hütte verlassen, atmete Mona erleichtert aus. Zwar misstraute sie dem Förster, aber er schien zumindest nicht vorzuhaben, ihr etwas anzutun. Oder er war gut darin, es mit seiner freundlichen Fassade zu vertuschen, schoss es ihr durch den Kopf. „Bitte, tun Sie mir nichts.“ Wut überkam sie. Sie hatte sich immer als starke Frau gesehen, eine, die sich nichts gefallen ließ und jetzt … Saß sie da wie ein kümmerliches Mäuschen, unfähig, sich gegen diese Bestien zu behaupten.
„Bitte, haben Sie kei Angst.“ Seine Bewegungen waren vorsichtig, bedacht.
„Sie wollen mich nicht vergewaltigen?“ Selbst überrascht, wie fest ihre Worte klangen, setzte Mona sich gerader hin.
„Nein, bitte, haben Sie kei Angst“, wiederholte Hans Stäger und rückte ein wenig nach hinten. „Jakob hat die beiden verjagt, sie sind in den Wald gesprungen. Mir wüssen nid, wo sie sind, aber da drinnen bist du in Sicherheit.“ Ihr Schädel brummte, die Erschöpfung trat in den Vordergrund.
„Jan und Mario“, fiepte sie. „Geht es ihnen gut?“
„Sind das diä …“ Ihr Gegenüber schaute betreten zu Boden. „diä Vergewaltiger?“
„W… Wa…“ Monas Magen zog sich zusammen, auf ihren Zügen bereitete sich ein Ausdruck der Verstörung aus. „Nein, nein, es war der Bauer. Oder? Oder?!“