„Das riecht irgendwie fischig“, murrte Eric, während er durch die fremde Küche schlich. Der Geruch des Abendessens lag noch in der Luft und in der Dunkelheit fand der Eindringling es schwierig, sich in dem fremden Haus zurechtzufinden. Er war durch ein offenes Fenster eingestiegen, nicht um etwas zu stehlen, sondern um sich etwas zu holen; ein Bild, oder noch besser, viele Bilder. Eric war ein Paparazzo und ihm war jedes Mittel recht, um an die nächste Story zu kommen.
Jetzt war er in das Elternhaus eines Filmstars eingebrochen, denn für einmal wollte er nicht ein spektakuläres Foto schießen, sondern sich einige Kindheitsbilder des berühmten Actionschauspielers besorgen. Er gehörte zu der Sorte von Fotoreportern, welche sich nicht mit heimlichen Skrupeln herumplagen wollten und der Meinung waren, dass der Verlust der Privatsphäre ein gerechter Preis für Ruhm und Ehre sei. „Abenteuerlust liegt am Charakter“, erklärte er seinem Chefredakteur beim Boulevardblatt immer, wobei er seine von Stolz geschwellte Brust kaum verbergen konnte. In diesen Gedanken schwelgend schlich Eric weiter, bis er unvermittelt zusammenfuhr, als er als er große, bedrohliche Schemen vor dem Fenster ausmachen konnte. Er dreht sich hastig um, nur um den im Wind schwankenden Sonnenschirm auf dem Patio zu erkennen, der einen langen Schatten auf die große Kücheninsel warf. Entnervt wandte er sich ab und schlich weiter, dank dem Adrenalinschub nun wieder ganz auf seine Aufgabe konzentriert. Kindheitsfotos von einem der größten Hollywoodstars zu finden wäre zweifellos ein Karriereschub für Eric und für den Fall, dass ihm tatsächlich jemand einen Einbruch vorwerfen würde, konnte er noch immer behaupten, ein Informant habe ihm die Bilder zugespielt. Dies war bei weitem nicht sein erster Einbruch und zumindest bei den früheren hatte man ihm nichts nachweisen können. Und er hatte schon alles abgelichtet oder gestohlen, von Bildern einer Popsängerin mit verschmiertem Makeup bis hin zu einem Schnappschuss von einem Star-Boxer in der Entzugsklinik. Doch das hier war ein ganz besonderer Augenblick, denn der meteoritenhafte Aufstieg von dem ehemals kleinen Schauspieler Steven Sanders zu einem großen Fisch im kleinen Teich des Filmgeschäfts machte Fotos von ihm besonders wertvoll. Eric malte sich bereits aus, wie er befördert werden würde und stellte sich die vielen Nullen auf seinem Bankkonto vor. Er fuhr herum, als er plötzlich die tiefe Stimme hinter sich hören konnte, die „Keine Bewegung“ donnerte.
Eric stand wie zur Salzsäule erstarrt da und blickte in das Gesicht des viel größeren Schauspielers, der mit einer Waffe in der Hand einige Meter vor ihm in der Küche seines Elternhauses stand. „Es tut mir leid, ich wollte nur…“, begann Eric mit zitternder Stimme, doch Steven unterbrach ihn grinsend. „Ich weiß, was du willst.“
Eric war erstaunt über all die ungewohnte und beunruhigende Höflichkeit, denn dies war nicht das erste Mal, dass er dem Prominenten gegenüberstand und bisher waren dessen Reaktionen alles andere als friedfertig gewesen. „Woher…?“, begann Eric verunsichert, wurde dann aber erneut unterbrochen, als Steven ihn gelassen fragte: „Weißt du, was ein Red Herring ist?“
„Etwas, das vom wahren Sachverhalt ablenkt“, murmelte Eric verwirrt und wollte dann wissen: „Wieso?“
Steven legte die Waffe weg und setzte sich, während er auf den ihm gegenüberliegenden Barhocker deutete. „Kaffee?“
„Ja, gerne“, entgegnete Eric noch immer irritiert und setzte sich mechanisch. „Ich verstehe nicht…“
Der Schauspieler lachte. „Aber das ist doch jetzt offensichtlich – ich habe es schon immer lustig gefunden, dass du dachtest, ich würde dich und Deinesgleichen hassen, aber überleg doch mal, nicht zuletzt dank dir bin ich groß geworden.“
„Wieso hast du mir dann mit einer Waffe aufgelauert?“, erkundigte sich der Paparazzo, der sich langsam zu entspannen schien. „Und woher hast du gewusst, dass ich komme?“
Steven, der sich erhoben hatte und an der summenden Kaffeemaschine hantierte, welche den Geruh von der vermutlich teuren Brühe im Raum verbreitete, lachte. „Das hast du wirklich noch nicht begriffen? Ich habe dir den Tipp gegeben, dass du hier Kindheitsfotos von mir finden kannst, dann musste ich nur noch auf dich warten.“ Steven warf einen Zuckerwürfel in die Tasse und legte einen Löffel daneben, bevor er fortfuhr: „Und die Waffe ist eine Attrappe, die habe ich mit einem Videospiel gekauft, ich fand es einfach lustig, dir einen Schrecken einzujagen.“ Er stellte den Kaffee vor den Eindringling und ließ sich auf den Hocker ihm gegenüber fallen. „Also, sprechen wir darüber, wie du mich noch bekannter machen kannst.“
Eric schien begriffen zu haben, worauf Steven hinauswollte und fragte: „Du willst also wirklich, dass ich Kindheitsfotos von dir veröffentliche?“
„Ich will, dass du genau das veröffentlichst, was ich in der Presse sehen will. Du bist dann sowas wie mein persönlicher Profi-Stalker.“
„Ich weiß nicht, ob mir das angenehm ist“, begann Eric, der zwar einerseits seine Karrierechancen abwog, sich andererseits aber auch auf seinen persönlichen, wenn auch etwas untypischen, Berufsethos besann. Er nahm einen großen Schluck von seinem Espresso, der ein unglaubliches Kaffeearoma hatte, jedoch wegen Erics Bedenken ungewohnt bitter schmeckte, bevor er kleinlaut hinzufügte: „Normalerweise wähle ich selbst aus, was ich dem Redaktor zeige.“
Steven zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Wenn dir das bei deiner Entscheidung hilft, ich habe ein Video davon, wie du in mein Elternhaus einbrichst. Ich habe dich in der Hand.“ Steven lachte gemein, bevor er selbstzufrieden erklärte: „Irgendwie lustig, dass ich jetzt belastende Bilder von dir habe.“ Und mit einem Mal begriff Eric die Ironie darin, dass ausgerechnet er belastendem Bildmaterial zum Opfer gefallen war.