„Na, wenn das mal nicht ein guter Tag wird“, seufzte Hailey und fragte sich, ob sie die falsche Profession gewählt hatte. Nur, das wäre jetzt, kurz nach ihrem dreiundfünfzigsten Geburtstag, kaum leicht zu ändern. Trotzdem, niemand, der keine Hitze vertrug und halbwegs bei Verstand war, eröffnete ein Ventilatorgeschäft, immerhin musste sie so jeden Sommer arbeiten, statt in den hohen Norden fahren zu können. Abwesend starrte sie über ihre Ladentheke auf das geschäftige Treiben: Die Hitze flimmerte über dem Asphalt vor dem alten Schaufenster, ein schäbig wirkender Gelenkbus tuckerte vorbei. „Scheißdreck“, stöhnte sie, wohl wissend, dass nicht einmal alle Ventilatoren der Welt eine Klimaanlage ersetzen konnten, eine Tatsache, die ihr regelmäßig verschwitzte Tage bescherte, wenn sie auch glücklicherweise von ihren Kunden ignoriert wurde. Zwar gab es sie noch, die Menschen, welche sich in der Tat Ventilatoren kauften, aber der Hauptgrund für ihr Einkommen stand im Keller: Haileys Raumzeitmaschine. Wen interessierte schon der mögliche Hitzetod, wenn man sein Geld statt für ein kühles Haus dafür ausgeben konnte, in die Vergangenheit oder Zukunft zu reisen?
Eigentlich verstieß Hailey mit ihrer kleinen Bastelei gegen unzählige Gesetze, doch aus ihrer Sicht ging das in Ordnung, denn sie war gründlich genug, ihren Kunden einzubläuen, nichts in einem anderen Zeitstrang zu verändern. Die Weltregierung hatte Zeitreisen verboten, nachdem dank der neuen Technologie mehrere Dutzend dämliche Touristen Hitler umbrachten, was ironischerweise in einem totalitären Staat im einundzwanzigsten Jahrhundert resultierte. Andere grassierende Probleme waren der Schmuggel von Alkohol, Tabak, ja gar Opioiden aus einer Epoche, in der diese Dinge günstiger erhältlich waren. Nur, und das war etwas, das Hailey den Zeitreisebetrügern trotz allem gutheißen wollte, starben Lotterien nach dem Aufkommen der ersten Zeitmaschinen unglaublich schnell aus.
So oder so, Hailey ließ nur sehr ausgewählte Leute ihre Zeitmaschine benutzen, solche, denen sie nach unzähligen Tests vertrauen konnte, weder etwas zu verraten noch Unsinn anzustellen – immerhin war das Ding illegal und sie hatte jedem ihrer Klienten eingebläut, niemals darüber zu reden. Auf die Frage, was sie denn täte, wenn jemand plapperte, hatte sie erklärt: „Ich reise in die Vergangenheit und hindere deine Eltern daran, dich zu zeugen.“ Diese Vorstellung hatte bislang noch jeden überzeugt, sich an ihre Regeln zu halten.
Gelangweilt seufzte Hailey, heute war ein langsamer Tag. Niemand hatte ihre Zeitmaschine gebucht und am Morgen kauften die wenigsten Leute Ventilatoren, vermutlich, weil sie erst in der Nachmittagshitze daran dachten. Sollte sie einen kurzen Ausflug unternehmen? Unschlüssig trommelte die ältere Dame mit den Fingern auf die Ladentheke, bis sie sich zu einer Entscheidung durchrang – wenn sie noch eine Ladung Buntes aus ihrer Wohnung im Obergeschoss holte und in die Waschmaschine tat, konnte sie es vor sich selbst rechtfertigen, ihren Laden für fünf Minuten zu schließen. Entschlossen drehte sie das Schild an der Ladentür auf „Bin gleich zurück“, schloss ab und verschwand durch die Hintertür.
Kurz darauf betrat Hailey wieder ihr Ventilatorgeschäft, frisch geduscht, umgezogen und erholt – die Woche Urlaub im römischen Reich hatte ihr gutgetan. Zu Beginn war sie noch unsicher gewesen, wie sie sich zu verhalten hatte, ihr Latein war ausnehmen holprig gewesen. Trotz aller Widrigkeiten war sie stur geblieben, hatte dazugelernt und war mittlerweile eine wirklich überzeugende Römerin geworden, weswegen sie stets von neuem in diese Epoche reichte. Und das Beste daran war, ihre Zeitmaschine war eine der neuesten Generation, sodass sie in dem Zeitstrang, in welchem sie lebte, nicht alterte, so lange sie zur gleichen Zeit zurückkehrte, in der sie verreist war. Es brachte viele Vorteile mit sich, ein solches Wunderwerk der Technik zu besitzen, befand Hailey, selbst wenn es bislang verboten war (wie sie nach mehreren Reisen wusste, war dies in der fernen Zukunft nicht mehr der Fall). Zufrieden lehnte sie sich an die Theke, genoss den frischen Wind, den ihr ihre Ventilatoren anbliesen und hoffte darauf, bald Kundschaft zu Gesicht zu bekommen.
Als hätte ein Passant ihre Gedanken gelesen, blieb er vor dem Schaufenster stehen und musterte die Auslagen, ehe er eintrat. „Guten Tag, der Herr“, begrüsste sie ihn, was er mit einem „Die Götter seien gepriesen“ beantwortete. Verwirrt fragte sich Hailey, zu welcher Sekte dieser Mann wohl gehörte und erkundigte sich, wie sie ihm helfen könne. Nach einem längeren Beratungsgespräch entscheid sich der Kunde für einen Blowmaster 5000, den sie ihm einpackte. „Bezahlen sie bar oder mit Karte?“
„Mit Karte“, entgegnete er, zückte das Stück Plastik und hielt es gegen das Lesegerät.
„Das macht dann …“, begann Hailey, stocke und las schließlich den Text von ihrem Display ab. „… neunundneunzig Sesterze.“
„Bestens“, meinte der Kunde gutgelaunt, gab seine PIN ein und verabschiedete sich mit einer anderen Anrufung der Götter. Hayley starrte ihm hinterher und murmelte: „Beim Jupiter! Was habe ich angestellt?“ Sie war sich ziemlich sicher, dieses Debakel ging auf ihr Konto, immerhin war sie eben erst au dem römischen Reich zurückgekehrt. Was konnte sie getan haben? Entschlossen klappte sie ihren Laptop auf und rief eine Enzyklopädie auf. Suchbegriff um Suchbegriff gab sie ein, arbeitete sich vor und zurück durch eine Realität, in der das römische Reich nie christlich geworden war, bis sie endlich fündig wurde, das erste Ereignis ausmachen konnte, das diesen neuen Zeitstrang angestoßen hatte: Julius Cäsar war nie ermordet worden. „Wie?!“, wetterte sie – sie hatte zwar diese Periode besucht, sich aber wohlwissend von diesem historisch relevanten Ereignis ferngehalten. Erst, nachdem sie „Brutus“ ins Suchfeld eingegeben hatte, fand sie die Antwort: Beim Versuch, eine Fliege zu verscheuchen, war Brutus gestolpert und hatte sich das Genick gebrochen. „Eine Fliege?“, seufzte Hailey und hastete in den Keller, um das Logbuch der Zeitmaschine aufzurufen. Hastig begann sie zu tippen, öffnete einige Dialogfenster und da stand es im Log, klar und deutlich: Eine Fruchtfliege war mit ihr in die Vergangenheit gereist.
Hailey machte sich gerade daran, die Zeitmaschine zu betreten, als sich neben ihr eine Version ihrer selbst materialisierte. „Halt!“, befahl diese barsch.
„Was werde ich jetzt schon wieder anstellen?“, seufzte die Hailey aus der Gegenwart ihrem zukünftigen ich entgegen. Dieses schüttelte missbilligend den Kopf: „Du bist fast mit einer Fruchtfliege ins römische Reich gereist.“
„Und was genau verändert ein kleines Insekt im Verlauf der Geschichte?“, wollte die Gegenwarts-Hailey wissen. Zukunfts-Hailey kicherte: „Mehr als du denkst, meine Liebe, mehr als du denkst.“
„Na gut, ich verscheuche sie“, seufzte Gegenwarts-Hailey und machte sich in ihrer erstaunlich geräumigen Zeitmaschine auf die Suche nach einer Fruchtfliege, während sich Zukunfts-Hailey entmaterialisierte und in ihren Zeitstrang zurückkehrte.
„Ob es wohl funktioniert hat?“, murmelte Hailey, als sie wieder aus ihrer Zeitmaschine trat und sich im Keller umsah. Eilig schritt sie die Treppe hoch, betrat ihren Laden und setzte sich vor ihren Laptop. Die Seite der Enzyklopädie war noch geöffnet, alles, was sie jetzt tun musste, war einmal auf „Refresh“ zu klicken, da Internetseiten aus unerklärlichen Gründen im alten Zeitstrang feststeckten, bis man sie neu lud.
Ja, sie hatte es geschafft! Erleichtert atmete die Dame auf und freute sich schon auf ihren Grüntee – nur etwas musste sie erst noch wissen, ehe sie sich ihre wohlverdiente Pause nach dem Desaster gönnte. Sie öffnete das geschützte Netzwerk, über das sie via Zeitmaschine auf das Internet der nahen Zukunft zugreifen konnte – eine ihrer besten Erfindungen, denn dank neuartigen Content-Filtern waren die Katzen-Memes wesentlich niedlicher. Rasch gab sie ihre Suchanfrage ein und siehe da, die Arbeit, die auf sie zukam, wäre es in der Tat wert, denn sie fand einen Artikel in einer Fachzeitschrift, in der ihre Erfindung des Fruchtfliegen-Kompensators gefeiert wurde.
„Was für ein Tag“, gluckste sie, erhob sich und schlenderte zu der kleinen Herdplatte im Hinterzimmer. „Den Tee habe ich mir verdient.“