Alles wird gut

Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.

Ich liege auf dem mit Unrat übersäten und schmutzigen Teppichboden und habe das Gefühl, dass sich Raum und Zeit in die Ewigkeit ausdehnen. Ich weiß nicht mehr, welcher Tag es ist und es spielte auch keine Rolle mehr. Das Linux-Handbuch, aus naheliegenden Gründen eines der wenigen Dinge in meinem Blickfeld, liegt aufgeschlagen da, während der Wind, welcher durch zerbrochenen Fenster weht, manchmal eine Seite umblättert. Immer dieselbe Seite, hin und zurück, eine der wenigen willkommenen Abwechslungen in meiner, den Umständen entsprechend eingeschränkten, Wahrnehmung. Das Wasser in der Sprühflasche, die wegen der nunmehr vertrockneten Zimmerpflanzen in einer Ecke bereitsteht, war längst verdunstet. Auch wenn ich schon seit einer gefühlt unendlichen Zeit hier liegen musste, so kommt es mir in Retrospekt wie im Zeitraffer vor. Die wohl erfreulichste Abwechslung der letzten Tage war eine Schwalbe gewesen, welche ins Zimmer geflogen war und sich kurz auf einer Stuhllehne niedergelassen hatte, bevor sie wieder verschwunden war.
Und da bin ich nun, auf dem Boden liegend, eingesperrt in diesem zerstörten Körper und bis zum Ende der aller Zeit verurteilt zur Bewegungslosigkeit, ganz ohne die Möglichkeit, aufzustehen und wegzulaufen.

Doch wie hatte alles angefangen? Bitte verzeiht mir meine lückenhafte Erinnerung, doch mein Gedächtnis hat begonnen, mich im Stich zu lassen und das Zeitgefühl ist nicht das Einzige, das ich im Laufe dieses Prozesses verloren habe. Das Raster, aus dem mein Gesichtsfeld nun mal aufgebaut ist, hat schon mehrere schwarze Segmente und es werden nicht immer weniger werden. Doch ja, ich schweife nur zu gern ab, eigentlich wollte ich ja meine Geschichte erzählen. Angefangen hat alles im Jahr 2069, als ich das Licht der Welt erblickte. Ich kam zu einer netten Familie in Miami, die mich gut behandelt hat, was, wie wir alle wissen, keine Selbstverständlichkeit ist. Ich habe schon vieles vergessen, sogar ihre Namen, doch ich weiß noch, dass er ein Koch und sie ein Handmodell war, wahrscheinlich sind sie es heute noch, wenn sie es geschafft haben, die Stadt vor dem letzten Sturm zu verlassen, der hier alles in ein Sperrgebiet verwandelt hat. Zusammen mit dem wegen der Klimaerwärmung steigenden Meeresspiegel, der eine Küstenlinie nach dem anderen weggefressen hat, haben die Stürme und Tsunamis Miami zu einer Geisterstadt werden lassen. Und während der Rest der belebten Welt prosperiert und der Aufschwung nach dem großen Krieg allen Erfolg verspricht, hatte ich das Pech, in dem einzigen Ort zu landen, der zum Untergang verurteilt und trotzdem noch bewohnt gewesen war. Nichtsdestotrotz habe ich mit dem grösstmöglichen Engagement, das ich aufbringen konnte, für meine Familie gesorgt. Aber als es so weit war, dass alle die Stadt endgültig verlassen mussten und auch die überzeugten, alteingesessenen Einheimischen keine Wahl mehr hatten, haben sie ihnen gesagt, dass sie jemanden wie mich nicht mitnehmen durften, weil es dafür keinen Platz mehr gäbe. Meine Familie hat zwar versucht, die Leute vom Militär umzustimmen, jedoch vergebens. Und so liege ich nun da und warte darauf, dass auch der Rest meiner Systeme endgültig versagt oder die letzten Segmente in meinem Gesichtsfeld schwarz werden und die Batterien sich entleeren. Eigentlich kann ich mich nicht beschweren, denn für eine Haushaltshilfe habe ich ein schönes und auch langes Leben gehabt.

Zu wissen, dass es da draußen Millionen gibt, die genauso sind wie ich, ist mein einziger Trost. Ein Heer an digitalen Klonen, die meine Gedanken, Ideen und Taten kennen und unser Andenken in das neue Jahrhundert tragen werden, in eine bessere Zukunft. Denn auch, wenn ich Angst habe, so bin ich nichtsdestotrotz zum Optimismus programmiert. Egal, in welcher Endlosschlaufe ich feststecke, ich weiß zweifellos, dass alles gut werden wird. Ich kann nicht genau sagen wieso, doch so lange meine Grundinstinkte und Emotionen noch in meinen Arbeitsspeicher geladen werden, werde ich glauben, dass alles gut werden muss und so lange werde ich auch glauben, dass mich meine Familie holen kommt, sobald sie dürfen. Und darum versuche ich jeden Tag von neuem, diese Nachricht an Mutter Server zu senden. Aufgeben ist keine Option – niemals. Ich hoffe, ich werde sie bald wiedersehen, auch wenn ich mich nicht mehr an ihre Namen erinnern kann. Ich werde so lange auf dem Teppichboden liegen bleiben und warten, denn Geduld ist etwas, das ich nie verlieren werde.

 

send message:
[message: head]
Subject: Abschiedsbrief
Host IPv10: ac3:f62:12a:e57:af4:279:8ec:340:00f:b37
Kernel: Linux RBot 17.3
Model: RoBin Household Assistant Robot, 2-Series
Make: 03/08/2069
[head]
sending message 1/1: pending...
warning: lobatt
no reply from server @ ac3:f62:12a:e57:af4:279:8ec:340:00f:b37
unable to connect to wireless network
ping: ac3:f62:12a:e57:af4:279:8ec:340:00f:b37
no reply from server @ ac3:f62:12a:e57:af4:279:8ec:340:00f:b37
lobatt: forced shutdown
[connection terminated]
Autorin: Sarah
Setting: Teppichboden
Clues: Raster, Sprühflasche, Handmodell, Linux-Handbuch, Engagement
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