Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
„‚Hol dir eine Katze‘, sagten sie. ‚Du bist so introvertiert, du wirst ein asoziales Haustier lieben‘, sagten sie.“ Mein Gezeter lässt den gescheckten Flauscheball, der auf meiner Werkbank schlief, kalt. Kurz linst Calendula zu mir hinüber, bloß um dann zufrieden weiterzudösen. „Oh, sorry“, nuschle ich, trete neben meine neue Kameradin und streichle sie ein paar Mal. Ein sonores Schnurren ertönt aus dem Fellknäuel, das ansonsten reglos liegenbleibt. „Weißt du, meine Freunde kennen meinen Zweitjob halt nicht, die haben keine Ahnung, weshalb es für mich schwierig ist, eine Katze zu haben.“ Lauteres Schnurren belohnt meine Erklärung, der Schwanzspitz zuckt. Faszinierte denke ich mir, dass Calendula irgendwann eine Kettensäge verschluckt haben muss, wenn sie will, erreicht sie nämlich eine Dezibelzahl, die es problemlos mit jedem frisierten Moped aufnehmen kann.
Oben herrschte die Hitzewelle, hier unten im Gewölbe fröstelt es mich in meinem kurzen Rock und Trägertop, also streife ich mir eine Trainerjacke über und überlege, ob man Calendula auch als Stola tragen könnte. Ich verwerfe den Gedanken und trotte zum Kleiderschrank. Ja, ich mag meine neue beste Freundin, trotzdem frage ich mich öfters, wie eine Katze mit meinem Lebensstil vereinbar ist, immerhin bin ich viel unterwegs. Routiniert öffne ich den Schrank und krame Kunstleder-Leggings und ein hautenges Top hervor. Manchmal wundere ich mich darüber, dass die Tradition Arbeitskleidung verlangt, die schlecht gegen Verletzungen schützt. Nun ja, mir soll es egal sein, ich bin ziemlich robust geworden. Und ebenso wie eine Katze lande auch ich stets auf meinen Füssen, eine Gabe, um die ich in meinem Job sehr dankbar bin. Während ich mich umziehe, hebt Calendula den Kopf, mustert mich skeptisch, hüpft hoch und schlendert aus meinem Sichtfeld. „Sorry, Kleines, aber du kannst nicht mit“, rufe ich ihr hinterher. Ja, natürlich wäre es toll, könnte ich die Katze zur Arbeit mitnehmen, aber als Superheldin ist das nicht ideal. Plus, ich habe nicht einmal eine Ahnung, ob Katzen ohne eigene Superkräfte auf Hoverboards balancieren können – geschweige denn, wollen. Ein Rumpeln, dicht gefolgt von Klirren, unterbricht meinen Gedankengang und ich spurte los, wobei ich über meine bei den Knien hängenden Leggings strauchle und flach auf dem kalten Steinboden lande. „Superheldin für’n Arsch!“, wettere ich, drehe mich auf den Rücken und strecke die Beine in die Höhe, um die Hosen fertig hochzuziehen. Erst, als ich die Stolperfalle beseitigt habe, springe ich wesentlich graziler, als ich gestürzt bin, auf und haste ins Labor. „Shit, shit, shit …“, keuche ich, biege um die Ecke und stehe vor einem Scherbenhaufen. Calendula hat mehrere Messbecher und Reagenzgläser umgeworfen und gafft sie nun bedeppert an, wie es sich für eine Katze eben gehört. „Verdammt, das ist nicht dein Katzenfutter!“, klöne ich und strecke den Arm aus. Der Besen kommt geflogen, landet in meiner Hand und ich räume frustriert das unübersichtliche Chaos weg. „Da bekämpft man die ganze Nacht Bösewichte oder wischt die eigene Höhle“, nörgle ich und kippe die Scherben in die Tonne. „Was hast du überhaupt alles ausgeleert?“
Calendula glotzt mich fragend an, ganz so, als wüsste ich die Antwort darauf. Schließlich öffnet sie ihr Maul und gähnt vor sich hin. Sobald ich ihre türkisfarbene Zunge sehe, schwant mir Schlimmes. „Du hast daran geleckt?“
Ein Miauen ist ihr einziger Kommentar dazu und ich fasse mir zermürbt an die Nasenwurzel, wobei ich das Brillenglas verschmiere. Im Gegensatz zu den Kämpfern für Recht und Ordnung aus den Comics müssen wahre Superhelden ihre Sehhilfen weiterhin tragen, leider gibt es bislang keine Superkraft, welche die Sehstärke korrigiert. Zumindest habe ich mir Kontaktlinsen mit Nachtsichtfunktion gebastelt, damit ich im Dunkeln sehen kann, wie eine Katze. Apropos Katze … Ich halte im Brillenputzen inne, denn in meinem peripheren Gesichtsfeld schwebt ein Blob vorbei. „Was zum …?“ Eilig setze ich die Brille wieder auf und beobachte, wie Calendula kopfüber der Steindecke entlanggeht. Nach wenigen Schritten würgt sie und ein Haarball landet klatschend auf dem Boden. „Na toll, meine Katze hat Superkräfte“, stöhne ich. Indigniert mache ich mich daran die Sauerei wegzuputzen und sinniere vor mich hin. Vielleicht mag Calendula auf meinem Hoverboard mitfliegen …? Wenn ich sie in meiner Basis zurücklasse, könnte sie eine Menge Unfug anstellen. Entnervt werfe ich den Putzlappen in eine Ecke und schlurfe zum Ausgang, wo ich das Hoverboard abgestellt habe.
„Komm mal her, Kleines!“, rufe ich und trete auf mein Board, das mit einem Summen zum Leben erwacht. In der Tat kommt sie sogleich herbeigehuscht. Ob sie von mir angelockt wurde oder neugierig war, weil meine Stiefelabätze auf dem Metall gescheppert haben, könnte ich nicht sagen. Solche Dinge sind bei Katzen meist unklar, die machen, was sie wollen. Anstatt aufs Board zu springen, bleibt Calendula vor mir stehen und starrt mich mit dem vorwurfsvollen Blick an, den einzig feline Kameraden beherrschen. „Was? Ich kann keinen Futternapf mitnehmen“, seufze ich und bemerke erst, dass ich noch in meinem verschwitzten Trägertop stecke. „Ups.“ Rasch hopse ich vom Board und gehe zurück zum Kleiderschrank, um mein glänzendes Superheldinnen-Oberteil anzuziehen und, viel wichtiger, Deodorant zu benutzen.
Als ich das Gefährt wieder besteige, folgt mir Calendula auf dem Fuße und setzt sich vor mir hin. Ich verstehe sofort: Von nun an werde ich nachts nicht mehr alleine durch die Straßenschluchten schweben, nein – ich habe einen Sidekick! ‚Hol dir eine Katze‘, sagten sie. ‚Dann könnt ihr gemeinsam gegen das Verbrechen kämpfen‘, haben sie dabei nicht erwähnt.