Guten Tag meine lieben und weniger lieben Freunde und seid herzlich willkommen in meiner kleinen Welt im nicht ganz obersten Stock der Schweiz, welche gerade zur Abstimmungszeit immer wieder zuverlässig an ein Irrenhaus erinnert.
Ich hoffe eure digitale Anreise war angenehm und ihr konntet an einem klaren Tag wie diesem die fantastische Aussicht auf Google Maps genießen, soweit das im Heranzoomen halt eben möglich ist. Aber kommen wir doch gleich zu dem, was euch hier hin gebracht habt, immerhin seid ihr alle hochbeschäftigte Leute, deren Freizeit kostbar ist und ich will am Ende nicht die Verantwortung dafür tragen, wenn die Pflicht ruft, bevor ihr euch das neueste Katzenvideo ansehen konntet oder eure Lunchbreak Mandarin-Lektion verpasst.
Nun, meine lieben und weniger lieben Freunde, was waren die letzten Tage nicht aufregend, im Sinne von „man konnte sich aber wirklich nur noch aufregen“? Zumindest ist dem so, wenn ihr auf der einen, unbedeutend kleineren Seite des berühmten Schweizer Idiotengrabens sitzt, wo man sich seit einiger Zeit regelmäßig in einer kollektiven Geste an den Kopf fasst, diesen dann seufzend hängen lässt und ihn ausgiebig schüttelt. Wie das auf der anderen Seite aussieht, kann ich nicht mit absoluter Sicherheit sagen, doch ich gehe davon aus, dass es dort Kekse und Schokoladenmilch zu Hauf gibt. Nein, nicht nur weil die dunkle Seite bekannterweise immer eine Schale mit Keksen bereithält, sondern vor allem deshalb, weil mit Fug und Recht bezweifelt werden darf, dass dünn gesäte Argumente eine hauchdünne Mehrheit Urnengänger hinter die Paranoia-Mauer gezogen haben. Irgendwie kann ich das ja sogar nachvollziehen, nein wirklich, ich mag Kekse unheimlich gerne und normalerweise würde ich bei der ersten Erwähnung dieser köstlichen Knack-Dinger sofort wie eine außerordentlich ineffiziente Suchkopfrakete in die Küche flitzen, doch die versprochenen Süßigkeiten unserer neuerdings beinahe kommunistisch anmutenden Rechten schienen doch etwas zu sehr versalzen zu sein.
Ihr seht also meine lieben und weniger lieben Freunde, ich brauche etwas Hilfe um euch das kuchensüchtige Gehirn meiner stereotypen Mitbewohner hier auf dem Land, hinter den sieben Bergen, näherbringen zu können. Aus diesem Grund habe ich euch Konrad den Gestaltwandler mitgebracht. Gestern Abend arbeitete er gerade noch im Dienste meines Vergnügens und hatte sich im Körper Topher Brinks mit mir ein imaginäres aber nicht minder episches Lasertag-Duell geliefert, doch heute soll er zum Zweck der Aufklärung eingesetzt werden. Wie ihr eindeutig nicht sehen könnt, sieht Konrad heute ein wenig aus wie ein in der Sonne getrocknetes Holzscheit. Er ist kompakt und so kraftvoll, dass man ihm durchaus zutraut, seinen Milchüberschuss selbstständig zum Bach zu tragen und er hat sich in praktische Kleidung gehüllt, deren Authentizität jeden Hipster vor Neid erblassen lässt. Konrad hat sich wirklich für euch ins Zeug gelegt und seine Darstellung vom stereotypen Landbewohner mit der obligatorischen Käseplatte und dem schwachen Geruch von Heu und Ammoniak perfekt abgerundet. Wollen wir also die restlichen Zeilen dazu nutzen, mit Hilfe meines werten Konrads etwas Licht auf die Keks-Liebhaber unserer Nation zu werfen und ihn fragen, weshalb er es für notwendig gehalten hat, der imposanten Bergmauer ein vertragliches Loch hinzuzufügen.
„Ich will einfach nicht, dass Ausländer hier rein- und rausspazieren können wie es ihnen gefällt“, erklärt er mit einer Ernsthaftigkeit die man nicht mal in Physikvorlesungen erlebt, währendem er einen ersten Happen aus der Keksdose stibitzt. „Die machen sowieso nur Ärger, das weiß doch jeder! Sie klauen unsere Jobs, sind Verbrecher und nehmen uns allen Platz zum Leben weg.“
Nun gut, meine lieben und weniger lieben Freunde, an dieser Stelle ist es ratsam, höflich und ruhig zu nicken und einige Sekunden verstreichen zu lassen, bevor man die erste Frage stellt, denn archetypische Kekswähler wie unser Konrad hier können sich dadurch vor den Kopf gestoßen fühlen, was zu einer Verhärtung der Idiotie führen kann. Also, lasst uns ein gequältes Lächeln auf unsere Lippen zaubern und extra langsam nicken, bevor wir fragen: „Aber Konrad, ich sehe hier keine Ausländer, die dir den Hof wegnehmen oder dich verprügeln.“
„Hier oben halten wir unsere Werte eben noch aufrecht. Aber das wird nicht lange so bleiben, wenn wir zulassen würden von diesen Fremden überflutet zu werden“, erklärt mir Konrad, der soeben das zweite Gebäck gegriffen hat und genüsslich darauf herumkaut.
„Ok, aber was glaubst du denn, wie die Marktwirtschaft darauf reagieren wird? Es ist zu bezweifeln, dass ausländische Firmen diesen Humbug in Kauf nehmen werden“, schlage ich als Denkinput vor, doch Konrad sieht mich nur mit zuckenden Schultern an, ohne groß darauf zu reagieren. Ich bin mir nun etwas unsicher, ob die Ironie der Angelegenheit den Adressaten erreicht hat, also ist es wohl angebracht etwas deutlicher zu werden. Immerhin ist es doch etwas zu viel verlangt, von jemandem, der vom Protektorat profitiert zu verlangen, dass er die Prinzipien der freien Marktwirtschaft verstehen könnte, oder überhaupt möchte.
„Also Konrad“, hole ich aus und kann es mir nicht verkneifen kurz meine Schläfen zu massieren, bevor ich fortfahre: „Wenn wir Teile der Bilateralen Verträge nicht einhalten, steht mehr auf dem Spiel als ein Fingerschlag der EU, das ist doch selbsterklärend.“
„Ach, die EU!“, beginnt Konrad händeverwerfend, ehe er das inoffizielle, doch altbekannte Mantra wiederholt: „Die EU kann uns gestohlen bleiben.“
Ok, meine lieben und weniger lieben Freunde, geben wir uns einige Sekunden um tief durchzuatmen und unseren Frust herunterzuschlucken. Der gute Konrad meint es schließlich nicht böse, das dürfen wir trotz allem nicht vergessen. Er wurde, wie viele seiner Artgenossen, im Glauben erzogen, dass die aufrechten Männer seiner Partei, die immer ein wenig an gruselige Lutheraner im Anzug erinnern, nur unser aller Bestes wollen und anders als die Gegenseite, verlangen sie als Entschädigungsleistung für ihre Arbeit auch keine Hirnakrobatik. Man kann sich ja immer wieder über die absurden Pläne und die Polemik der Herrschaften mit ihren rot-weiß-schwarzen Plakaten wundern, doch sie haben definitiv ein Händchen dafür, nicht nur an die persönlichen Überzeugungen ihrer Wähler zu appellieren, sondern auch deren Denkfaulheit auszunutzen. Eine brillante Strategie wenn ihr mich fragt, denn wenn unser Konrad das Gedankengut nicht nur auf dem Teller serviert, sondern auch noch mit Keksen garniert bekommt, kommt er überhaupt nicht erst in die gefährliche Versuchung, seinen Wissenshunger mit solid recherchierten Daten und Analysen zu stillen. Aber anstelle davon zu spekulieren, wollen wir doch die Gelegenheit ergreifen und gleich nachhaken.
„Du weißt aber schon, dass wir Gefahr laufen, Arbeitsplätze und gut ausgebildete Fachkräfte zu verlieren?“, stelle ich etwas unsicher darüber, ob ich auf Gehör stoßen werde, in den Raum. „Wie soll ich das denn jetzt verstehen“, wirft mir Konrad hämisch grinsend an den Kopf und wendet ein, dass die sinkenden Ausländerzahlen mehr Raum für Schweizer Arbeiter freimachen würden und bleibt danach sturerweise resistent gegen mein Argument, dass der Begriff „Ausländer“ ebenfalls Firmen beinhaltet, die weitaus mehr Stellen ins Land bringen, als von den gefürchteten Fremden besetzt werden könnten.
Also gut, lassen das mit den Zahlen und harten Daten, dieses Thema scheint Konrads Kombinationsgabe überzustrapazieren, und begeben wir uns aufs Glatteis der Tatsachen, um mit Konrad eine rasante Pirouetten zu drehen.
„Du Konrad, weißt du was ich glaube“, sage ich im unschuldigsten und freundlichsten Tonfall, den ich aufbringen kann, bevor ich meine Hände unter dem Tisch fest zusammenknülle, um meiner Desillusionierung über den demokratischen Prozess etwas Luft zu verschaffen. „Ich glaube, dass dir überhaupt nicht klar ist, wofür du abgestimmt hast, dass du dich nie richtig informiert hast und dass du dich einfach nur von einigen Politikern, die vorgeben so zu sein wie du, hast an der Nase herumführen lassen.“
„Das ist Unsinn, du hast überhaupt keine Ahnung und bist so naiv wie alle Liberalen!“, wirft mir Konrad nun vor und ich werde wieder einmal deutlich daran erinnert, dass mein Vorhaben, mit einem stereotypen Landbewohner über Dinge zu diskutieren, die ihn im Grunde überhaupt nicht betreffen, genauso aussichtslos ist, wie einem zutiefst religiösen Kameraden die herrliche Faszination der Naturwissenschaften näherzubringen.
Nun gut, meine lieben und weniger lieben Freunde, da wir beinahe schon am Ende unserer wöchentlichen Zeilenquote angekommen sind, lasst uns die verbleibende Zeit nicht mit Resignation und Frustration verbringen, sondern viel lieber mit der nüchternen Realisation, dass wir nun das Bestmögliche aus der Situation machen müssen und vor allem mit dem Vorsatz, es das nächste Mal besser zu machen. Denn Demokratie bedeutet nicht nur, dass wir den Leichtgläubigen die Möglichkeit geben unser Land und dessen Wirtschaft in Schwierigkeiten zu bringen, sondern auch, dass wir, die andere Hälfte, die Chance haben es besser zu machen. Aber vielleicht sollten wir uns mal überlegen, ob wir nicht auch mit dem Kekse-Verteilen beginnen wollen, um alle Mitbürger gleichermaßen anzusprechen und ihnen das bittere Erlernen der Logik ein wenig zu versüßen, anstelle davon, uns mit unserer scheinbaren intellektuellen Überlegenheit selbst den Bauch zu pinseln. Prinzipien hin oder her, wenn wir mit Keksen um uns werfen müssen, um am Ende nicht in Brüssel mit einer Schachtel Pralinen, einer Petunie und reumütig hängendem Kopf antreten zu müssen, dann sollten wir sofort den Ofen anwerfen und mit dem Backen beginnen.
Denn schlussendlich, meine lieben und weniger lieben Freunde, sind wir an der Urne alle gleich und ja, das ist genauso wie es sein sollte. Und bevor ich euch wieder ins tägliche hektische Leben entlasse, soll jedem gedankt sein, der den versalzenen Keks der leeren Versprechungen und haltlosen Angstmacherei nicht geschluckt hat, genauso wie jedem, der seine kekshaltige Entscheidung mit wahrhaftiger und nicht geleiteter Überzeugung vertreten kann, denn wenngleich ich sie nicht teile, respektiere ich das Recht eines jeden, frei und unabhängig von Polemik und Propaganda, eine Seite des Idiotengrabens zu wählen.
„Vielen Dank“, sage ich und klopfe Konrad auf die Schulter, bevor er sich gemächlich wieder in seine natürliche Form zurückverwandelt und danach freudig mit dem Schwanz wedelt, als ich ihm ein Leckerli zuwerfe. Wir wünschen euch einen wundervollen Tag und eine gute digitale Heimreise.