Diese Story ist auch in einem Sammelband erschienen.
Diese Geschichte spielt im erweiterten Universum der „Promise“-Reihe.
„Verdammt, Mister Hotdog“, zeterte Professor Abbott, seinem Rauhaardackel mit dem absurden Namen hinterherhastend, welcher sich verbotenerweise in das Labor geschlichen hatte. Rasch, dennoch liebevoll hob er ihn auf und trug ihn durch die automatisch aufgleitende Tür in sein Arbeitszimmer, während er auf ihn einredete. Mit einem Grinsen auf dem Gesicht lehnte sich seine Klientin, eine Koreanerin in ihren Zwanzigern, auf dem an einen Zahnarztsessel erinnernden Behandlungsstuhl zurück und murmelte: „Ob er seinen Mister Hotdog mit bioelektronischen Implantaten upgegradet hat …?“
Professor Abbott trat wieder in das Labor – hätte die junge Frau ihn angesehen, wäre ihr seine entschuldigende Miene aufgefallen. „Es tut mir leid, Miss Park, manchmal hat er einfach das Bedürfnis, bei mir zu sein – er ist sich das Leben auf einer Raumstation noch nicht gewohnt. Ich kann Ihnen versichern, meine Ausrüstung wurde davon nicht kontaminiert.“
Sie setzte sich verwirrt auf. „Sie implantieren mir einen Chip mit einer Spritze, was sollten Hundehaare da für eine Rolle spielen?“
„Sie kennen ja wohl die Hygienevorschriften – eigentlich dürfen sich keine Tiere in Behandlungsräumen aufhalten unter…“ Er unterbrach sich und fragte besorgt: „Sie werden mich doch jetzt nicht bei den Behörden melden, oder?“
„Wegen einem Hotdog?“ Sie schüttelte kichernd den Kopf. „Das Außergewöhnliche hier ist nicht ein Hund, sondern ein gepflegter Doktor, der auf einer heruntergekommenen Raumstation ein seriöses Labor für biomechanische Nanoimplantate betreibt. Ich habe schon ganz andere Leute in meinem Kopf herumdoktern lassen.“
Professor Abbott verbiss sich einen trockenen Kommentar dazu, dass das vielleicht erklären konnte, weswegen sie die halbe Zeit nur abwesend ins Leere starrte. Immerhin war sie seine Klientin und er dankbar, nahm sie den Zwischenfall mit Mister Hotdog locker.
„Was für eine Kundschaft haben Sie hier normalerweise?“, erkundigte sie sich amüsiert. „Grobschlächtige Gangster, ab und an eine Domina, die sich einen Gedankenkontrollchip implantieren lässt?“
Irritiert machte er eine Pause, um sie zu mustern – in der Tat wirkte sie nicht wie seine üblichen Klienten, sie trug ein elegantes Kleid, hochhackige Schuhe, hatte gar ihr langes, blondes Haar frisiert. „Sowas in der Art. Ich frage jetzt lieber nicht, zu welcher Sorte Sie gehören, Miss Park.“ Damit begann er, die Konfiguration des Biochips in das Interface seiner Konsole einzugeben und die Komponente mit bestehenden Implantaten abzustimmen.
„Gangster“, meinte sie ungerührt den durch die große Panoramascheibe erkennbaren rotbraunen, unbelebten Planeten weit unter ihnen beobachtend. „Ich klaue Dinge – aber mit Klasse.“
Professor Abbott hatte keine Ahnung, was er darauf antworten sollte – wollte sie ihn veräppeln? Nein, sie wirkte gelassen, kein Zucken der Mundwinkel, keine verräterisch hochgezogene Augenbraue. „Ist es nicht etwas naiv, mir das zu erzählen?“
„Hörensagen“, konterte sie und fügte ernst hinzu: „Außerdem habe ich einen Hund in Ihrem Labor gesehen, das ist ein ausgezeichnetes Druckmittel. Wir müssen also beide schweigen.“
Er ersparte sich die offensichtliche Erklärung, dass er für sein Vergehen schlimmstenfalls eine Strafe bezahlen müsste, wohingegen sie, wenn sie ihn nicht auf die Schippe nahm, Jahre im Gefängnis verbringen müsste. Entweder hatte sie keinen sonderlich ausgeprägten Realitätsbezug, war eine gute Schauspielerin oder hatte sonst irgendein ernsthaftes Kopfproblem. Ohne weiter auf das Thema einzugehen, las er ihre Konfiguration von dem holographischen Display ab und hielt überrascht inne. „Sie haben ja bereits eine ganze Menge Implantate!“
„Es geht so“, sagte sie schulterzuckend, lehnte sich wieder zurück und schloss die Lider. „Meine Konfiguration ist nicht vollständig, es fehlt noch einiges.“
„Sie haben ein implantiertes Com mit Telepathie-Adapter, künstliche Gravitation im ganzen Körper, mehrere virtuelle Ports, ein paar dutzend weitere …“ Der Professor verstummte abrupt und fragte sich, ob seine Klientin Mensch oder bald mehr Maschine war. Er hatte es selten mit echten Cyborgs zu tun, die meisten Leute wollten nur eine kleine Spielerei haben.
„Was ich habe, ist ein Kopfproblem“, entgegnete sie und er verschluckte sich, als er das Lachen unterdrücken musste, was die entspannt daliegende Miss Park nicht im Geringsten zu interessieren schien. „Genauer gesagt stoße ich mir den Kopf an Hindernissen, wenn es dunkel ist, darum möchte ich ja, dass Sie mir einen Nachtsicht-Chip implantieren.“
Bemerkte sie wirklich nicht, wenn sie witzig war? Machte sie das nicht mit Absicht? Professor Abbott fuhr sich mit den feingliedrigen Fingern durchs ergraute Haar, ehe er die Daten von seinem Display ablas. „Natürlich. Ein Nachtsicht-Neuroimplantat, Typ Omega-Alpha-520 – Sie sind Anaata Grace Park und stimmten dem Eingriff nach Kodex ICD-626 zu?“
Routiniert erklärte sie: „Ich stimme im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte zu.“
„Na gut, dann wollen wir.“ Er nahm eine leere Spritze zu Hand, riss die Verpackung auf und genoss den erfrischenden Duft nach Desinfektionsmitteln, welcher ihn an Ordnung, Struktur, gar eine heile Welt erinnerte. Mit geübten Handgriffen steckte er die Spritze in den Chip-Drucker und aktivierte das Gerät, das mit einem Summen zum Leben erwachte. „Es dauert nur ein paar Sekunden, dann sind wir so weit.“ Erstaunt sah er sich nach Miss Park um, die mit entspannten Zügen auf dem Sessel ausgestreckt lag – sie war doch nicht etwa eingeschlafen?
„Verzeihung, sind Sie …?“, setzte er an. Sie fuhr erschrocken hoch und rief viel zu laut: „Ich habe nur meine Augen ausgeruht!“
„Kein Problem.“ Er konnte sich beim besten Willen keinen Reim aus ihr machen, seine übliche Klientel war in Anbetracht der Tatsache ziemlich verkrampft, gleich ein Nanoimplantat in ihren Kopf injiziert zu bekommen. Routiniert trat er neben sie, setzte ihr die Spritze an die Schläfe und sagte, obwohl er überzeugt war, dass sie sich nicht im Geringsten fürchtete: „Das gibt jetzt einen kleinen Piekser.“ Vorsichtig stieß er die Nadel in die Haut und injizierte ihr das Nanoimplantat, ehe er erklärte: „Das war‘s. So in einer Woche ist der Chip vollständig gewandert sowie mit Ihnen verwachsen, ab dann können Sie ihn gebrauchen.“
„Danke, ich habe die Bedienungsanleitung bereits online gelesen.“ Fröhlich sprang sie auf. „Jetzt suche ich mir etwas von diesem schrecklich fettigen Nudelkuchen, den es hier überall an den Essensständen gibt. Ich habe sogar einen mit Artischocke gesehen, muss ich unbedingt mal ausprobieren.“
„Sie sollten nicht so schnell aufstehen, nachdem Sie eben erst in Behandlung waren“, ermahnte er die vermeintliche Einbrecherin, welche das nicht im Geringsten zu interessieren schien. Stattdessen fragte sie: „Was ist eigentlich Ihr Kopfproblem, Doktor?“
Erstaunt wandte er sich um, nachdem er die Spritze in den Müllschlucker geworfen hatte. „Wie meinen Sie das?“
„Wenn ein distinguierter Mensch wie Sie an einen Ort wie diesen kommt, der mehr oder minder am Ende der zivilisierten Galaxis liegt, ist er meistens nicht ganz richtig im Kopf.“ Sie zuckte mit den Schultern als sie sich ihre Handtasche griff. Professor Abbot dachte an den Klienten, welcher auf seinem Behandlungsstuhl gestorben war, das Verfahren, das Urteil: Kunstfehler. Erst schwieg er, schließlich rang er sich zu einer Antwort durch: Wahrscheinlich haben Sie Recht, muss ein Kopfproblem sein.“
„Verständlich.“ Miss Park lächelte. „Einen schönen Tag, Doktor. Ich hoffe, sie haben nicht allzu viele ungewaschene Gangster auf ihrem Stuhl heute.“ Sie stöckelte zum Ausgang, blieb sogleich stirnrunzelnd im Türrahmen stehen. Rasch wandte sie sich um und rief ins Behandlungszimmer: „Also dieser Typ, der hier draußen wartet, schaut schon mal nicht vertrauenserweckend aus – viel Glück damit!“
Nun verschwand sie endgültig, während aus dem Wartezimmer ein gereiztes „Hey, halt die Fresse, Mädchen!“ erklang. Professor Abbot seufzte auf und hätte sich am liebsten die Handfläche vor die Stirn geklatscht. „Wie bin ich nur hier gelandet?“, monierte er, als Mister Hotdog bereits wieder fröhlich bellend um seine Beine schwänzelte, aus dem Wartezimmer wütende Flüche zu vernehmen waren und er niesen musste. Er hätte es niemals zugegeben, aber irgendwie mochte er diesen schäbigen Ort mit all seinen Verrückten und Gefallenen – wahrscheinlich hatte er selbst ein Kopfproblem.