Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
„Oh edler Ritter, was ist eure Suche?“ Die Hofdame in der mit schnörkligen Drachen bestickten Seidenbluse lächelte zu mir hoch, nachdem ich mein Ross pariert hatte. Ich hielt inne, versuchte mich zu erinnern, denn wie so vieles in meinen Gedanken fehlte auch das Wissen darum. „Ich … kann mich nicht entsinnen“, stammelte ich, das Visier meiner Rüstung hochklappend. „Ich bin einfach hier aufgetaucht.“
Lachend nahm die Unbekannte mir die Zügel aus der Hand, schnippte mit den Fingern. Laut puffend löste sich mein stolzes Pferd in Luft auf und ich stand auf dem Boden. Entgeistert auf meine Füße starrend begriff ich, dass die Pflastersteine die unbeschreibliche Form von Buchstaben einer Serifenschrift annahmen. „Sind sie eine …“
„Magierin, korrekt“, kicherte die Hofdame. „Keine Bange, Euer Wallach steht unbeschadet im Stall. Pferdeteleportation ist eine der Grundlagenübungen, um den Magister in Magie zu erhalten.“
Erleichtert, meinen teuren Begleiter wohlbehalten zu wissen, schlenderte ich in Begleitung der Fremden über den Burghof, oder besser, ließ mich von ihr zu einem der großen Holztische ziehen, die zu dieser frühen Morgenstunde unbesetzt waren. Einige papierne Lampions, die wie bedruckte Buchseiten aussahen, schwankten in der Brise, als ich mich mechanisch setzte und mich insgeheim wunderte, wer ich war, was ich hier tat sowie woher ich kam.
„Edler Reisender?“, riss mich die holde Schönheit aus meinen Grübeleien. Sie machte eine grazile Handbewegung, sogleich materialisierte sich vor mir ein Teller mit dampfendem Inhalt. „Möchtet ihr Speis und Trank? Käsekuchen vielleicht?“
Dankend nahm ich ihre Einladung an und tat mich an dem Festmahl gütlich.
Als nur noch ein Stück der Köstlichkeit übrig war, hüpfte eine einsame Taube heran und gurrte mir ein Märchen vom Hunger, weswegen ich ihr die Blätterteigkruste fütterte. Das Tier flatterte gesättigt von dannen und ich wischte meine Hände an meinen Hosenbeinen ab, wie es sich für einen in Tafelsitten geschulten Ritter gehörte. „Ich danke euch für die Gastfreundschaft, oh werte Hofdame“, tat ich ihr meine Freude kund, ehe ich mich nicht mehr zurückhalten konnte. „Ich muss Euch nun trotz alledem befragen: Wo bin ich hier?“
„Kommt, ich zeige es euch“, kicherte sie und führte mich in einen Turm, unzählige Stufen hoch, die allesamt wie Buchrücken und Einbände aussahen. Langsam kam mir diese Welt wirklich komisch vor, wenn ich auch nicht die geringste Ahnung hatte, warum, fehlte mir doch jeder Vergleich. Dennoch wurde mir rasch langweilig, zumal mein trainierter Ritterkörper mit der Treppensteigerei gut mithalten konnte und sich die Stufenbücher zu wiederholen begannen. Nach dem fünften Aristoteles murmelte ich vorsichtig: „Lässt sich diese Tortur durch etwas Magie abkürzen?“
„Natürlich“, entgegnete sie, schnippte erneut und siehe da, schon standen wir ganz oben auf dem hohen Turm, der Wind fegte um unsere Körper, ließ Blätter wie lose Buchseiten aufwirbeln. Ein Pferd, das unten durch den Hof stakste, ließ sich von meinem kleinen Fingernagel verdecken, der radschlagende Pfau daneben war kaum noch auszumachen. Dann schweifte mein Blick über die mächtigen Zinnen, ich konnte das Tal unter uns erkennen, die wundervolle Stadt, welche den Burghügel umgab. Atlanten und Anthologien stapelten sich zu Wohnhäusern, Geschäften und Stallungen, emsig wuselten die Leute durch engen Gassen, hier und da waren sie auf Eselskarren unterwegs. „Willkommen in der Bücherstadt“, säuselte die gnädige Dame und lehnte sich an eine Befestigungsanlage. „Sie können sich kaum ausmalen, oh edler Ritter, wie froh wird sind, vom Auserwählten in dieser Stunde der Not aufgesucht worden zu sein.“
„Oh, was ist denn geschehen?“ Es fiel mir schwer, zuzugeben, dass mir unklar war, wovon sie sprach. In der Tat, sie hob erstaunt die Brauen und stellte eine Gegenfrage: „Seid ihr nicht hierhergekommen, um uns wegen der Drachenangriffe beizustehen? Sie können sich sicherlich denken, wie entflammbar die Bücher sind. Es steht alles in der neuesten Ausgabe des Bücherstadt Kurier.“
Drachen, das erklärte einiges – außer, wieso die Magierin ihre Seidenbluse mit ihrem größten Feind bestickt hatte. Ich nahm mir vor, mich bei Gelegenheit nach dem Anlass dazu zu erkundigen, nur, vorerst beschäftigten mich dringendere Probleme. „Ich muss zu meiner Schande gestehen, wie ich hierhergelangt bin, ist mir selbst rätselhaft. Da ich ein edler Ritter zu sein scheine, werde ich selbstverständlich gegen die infernalischen Bestien in den Kampf ziehen!“
„Ich danke euch!“ Die Magierin sprang hoch, umschlang mich eng und gab piepsende Laute von sich, die wie …
… ein Wecker klangen. Langsam schlug ich die müden Augen auf, grummelte „Scheißteil“ und haute auf die Todesmaschine, bis sie verstummte. Meine in einen seidenen Drachen-Pyjama gekleidete Frau, die das Gesicht der Magierin teilte, hielt mich tatsächlich eng umschlungen und war ab dem grauenvollen Gedüdel meines Weckers nicht aufgewacht. Wahrscheinlich war diesem Morgenmuffel wieder kalt. Das Fantasy-Buch, in dem ich bis zum Einschlafen gelesen hatte, lag auf dem Nachttisch, neben dem Wasserglas. Was für ein sonderbarer Traum, ging es mir durch den Kopf, während ich die Arme meiner Magierin entknotete, damit ich aufstehen konnte und ihr stattdessen ein Kissen zum Halten gab. Es hatte zwar nicht meine Körpertemperatur, aber immerhin war so ein Kissen weich. Mit einem müden Grunzen schwang ich mich alles andere als grazil aus meinem Nachtlager – zu gerne hätte ich mich wieder hingelegt und erfahren, wie der Traum weiterging. Na gut, dazu fände ich auch nach der Arbeit beim Verlag noch Zeit.