Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Der Trockner piepst und spuckt aus, was ich ihm vor exakt einer Stunde und vierundzwanzig Minuten gefüttert habe:
- Ein dunkelgraumeliertes T-Shirt, Größe Medium
- Zwei royalblaue T-Shirts, Größe Medium
- Ein navyblaues T-Shirt, Größe Large
- Sechs schwarze T-Shirts, fünf Größe Medium, eines Large
- Zehn Paar schwarze Sportsocken mit hellgrauem Bündchen, Größe Vierundvierzig bis Sechsundvierzig
- Zehn schwarze Unterhosen, Slips mit halblangem Bein, mit jeweils zwei hellblauen Streifen am Bund, Größe Large
- Vier Paar dunkelblaue Levis Jeans, klassischer Schnitt, Größe vierundfünfzig
- Zwei Paar schwarze Chinos mit weißem Bund innen, Größe vierundfünfzig
- Fünf dunkelgraue Frotteehandtücher
- Zehn dunkelgraue Waschlappen
- Ein blaukariertes Badehandtuch
- Ein bordeauxrotes Tischtuch
Das ist die letzte Ladung für heute, die Weißwäsche habe ich bereits gefaltet und an ihren Platz im Kleiderschrank weggeräumt. Weil ich diese Woche frei hatte, gibt es ausnahmsweise keine Dreißiggradwäsche mit meinen Anzugshemden und den feinen Hosen, was den Aufwand für die wöchentliche Kleiderreinigung um knapp einen Drittel reduziert. Die dadurch gewonnene Zeit werde ich meinem allabendlichen Training hinzufügen. Sorgfältig falte ich meine Hosen. Zuerst lege ich die beiden Hosenbeine aufeinander, streiche sie glatt und drittle sie dann der Länge nach, sodass sie perfekt in die für sie vorgesehene Schublade passen. Ich mag es, Dinge passend zu machen und habe ein beeindruckendes Talent dafür. Bevor mich wieder jemand schief ansieht oder zurechtweist: Ich weiß, es ist grundsätzlich unangebracht, sich selbst zu loben, das wird als Überheblichkeit gewertet. Deswegen spreche ich in Gesellschaft nie über Eigenschaften, auf die ich stolz bin, sondern orientiere mich an meinen mühselig erarbeiteten Small-Talk-Protokollen, deren Zweck es ist, mich wie ein normaler Mensch wirken zu lassen. Im Prinzip ist es wie mit dem Falten, ich forme mich selbst, um hoffentlich perfekt in eine für mich vorgesehene Schublade zu passen. Oft ohne Erfolg, denn leider sind meine Selbstfaltfähigkeiten weit weniger entwickelt als zu erwarten wäre, wenn man mich bei der Arbeit oder hier in der Waschküche beobachtet, wo ich alles in die korrekte Gestalt bringen kann.
„Ho-hey!“, brüllt Jacko durch den unterirdischen Raum und erzwingt damit einen unangenehmen Schallschlag. „T-Steak, steht’s?“ Ich atme rasch durch, ziehe eine Kante an der Jeans gerade, drehe mich anschließend um und erwidere seinen Gruß in gleicher Manier, bloß leiser. „Cocko. Fabelhaft, fabelhaft. Und bei dir?“ Das Wort „fabelhaft“ hatte ihn zu Beginn unserer Bekanntschaft aus dem Konzept gebracht, ich hatte es wohl mit dem in Jackos Version der Umgangssprache geläufigen „prächtig“ verwechselt. Zum Glück war es mir gelungen, den Fauxpas mit der Demonstration von Selbstsicherheit zu übertünchen. Jacko ist im Grunde einer der angenehmeren Leute und das obschon er zu den lautesten gehört. Die Regeln, um mich seiner Gesellschaft anzupassen sind nämlich ausnehmend simpel:
- Kehlkopf senken, damit die Stimme raumfüllender klingt
- „H“-Laute sowie Vokale mit Druck vom Zwerchfell herauspressen, gegebenenfalls betonen
- Füße zirka zehn Zentimeter weiter als hüftbreit stellen, bei Gewichtsverlagerungen darauf achten, stets Bodenkontakt mit beiden Sohlen zu behalten (Knie beugen ist okay)
- Trapezmuskulatur anspannen, Brustkorb nach vorne und hochdrücken
- Die Arme nie ganz lockerlassen, beim Sprechen allerdings großzügig einsetzen (nicht aus dem Handgelenk gestikulieren)
Hinzu kommen die allgemeingültigen Verhaltensmuster, so wie Sprechmelodie (monotones Reden ist ausschließlich in traurigen Situationen angemessen) und der leidige Blickkontakt, der von fast jeder Person gewünscht ist. Es dauerte Jahre, bis ich die richtige Mischung aus Starren und Desinteresse herausfand.
„Jo, prächtig“, meint Jacko nun endlich in einer erträglichen Lautstärke. „Kommste nachher aufn paar Bier und was Zocken vorbei? Die Jungs sind auch da und wir haben ein halbes Kilo Hobelkäse von der Meischer im ersten Stock bekommen.“ Solch freundliche Einladungen sind zur Gewohnheit geworden, kaum vorzustellen, wie mich früher die meisten gemieden haben.
„Nah, lass mal. Hab ne Verabredung mit dem Gym“, erkläre ich ehrlich und sehe mich von der Pflicht befreit, die nächsten vier Stunden in einer stinkenden Wohnung voller überparfümierter Typen herumzusitzen.
„Ich komme mit“, unterbricht Manja unser Gespräch. Sie tritt mit einem vollen Wäschekorb über die Schwelle, nickt Jacko nebenbei zu und lächelt mich ausgesprochen warmherzig an. „Ich darf, oder?“ Das ist das Problem mit Mimikri, hin und wieder wird die Täuschung zu echt und jemand glaubt, ich sei ein geeigneter Kandidat zur Fortpflanzung, was ist selbstverständlich nicht bin. Dummerweise ist von ihrer unüblich reinen Haut, den minim geschwollenen Lippen und ihrer Körperhaltung abzulesen, dass sie sich vermutlich gerade in einem fertilen Zeitpunkt ihres Zyklus befindet, ihre Drang zur Partnersuche wird also zusätzlich von ihrem fortschreitenden Alter noch instinktiv verstärkt.
„Natürlich, wenn du möchtest“, stimme ich zu und verziehe meine Mundwinkel ebenfalls zu einem Lächeln, so wie ich das vor dem Spiegel geübt habe. Ihr Auftauchen hat die Parameter für mein Auftreten komplett verändert, im Umgang mit Weibchen, insbesondere der sensibleren Sorte, muss ich mich beinahe konträr präsentieren.
- Kehlkopf bleibt gesenkt, die Stimme tief, aber zurückgenommen
- Kein Druck auf dem Zwerchfell, „H“-Laute sowie Vokale werden luftloser gesprochen
- Die Füße sind hüftbreit zu platzieren und sollten in ihre Richtung zeigen. Bei Gewichtsverlagerungen darf die Ferse den Boden verlassen
- Körperspannung muss aufrechtgehalten werden, der Brustkorb bleibt oben, generell soll jedoch eine lockere, sanfte Positur angeboten werden
- Die Arme sind schlaff am Körper zu tragen, beim Sprechen wird minimal gestikuliert (weiterhin nicht aus dem Handgelenk)
Lange Zeit hatten mich die drastischen Unterschiede in den Vorlieben von Männchen und Weibchen richtiggehend in Stress versetzt, irgendwann habe ich herausgefunden, dass eines der Geschlechter in der Anwesenheit des anderen unheimlich tolerant für Verhaltensabweichungen ist. So scheint es unter Männchen eine Art unausgesprochenen Konsensus zu geben, ihr Gehabe auf die Bedürfnisse des Weibchens einzustellen, Zuwiderhandlungen werden teils sogar hart sanktioniert.
„Super, ich werfe noch kurz meine Wäsche in die Maschine und mach‘ mich bereit. Kommst du mich abholen, wenn du fertig bist?“ Ich halte meine geballte Faust mit ausgestreckten Daumen entgegen und ignoriere Jackos breites Grinsen.
„Du Held“, posaunt er, als sie aus der Waschküche gegangen ist hat und klopft mir auf die Schulter. „Ich sagte ja, das wird was mit euch.“ Ein klein wenig Spott ist herauszuhören, ich interpretiere seine Aussage trotzdem als vorwiegend anerkennend und freundschaftlich. Dann wirft er seine unsortierte Wäsche in die Trommel, kippt ein unzureichendes Musterpäckchen Waschmittel hinterher und drückt den Startknopf. „Bis später, T. Habt Spaß.“
Während ich mein letztes Wäschestück, das Tischtuch, ordentlich gefaltet in den Korb lege, initiiere ich das Gedankenspiel, welches mir schon so oft über mein Dasein als fleischliches Faltobjekt hinweggeholfen hat und unterhalte mich stumm mit meinem Kommandanten auf dem Mutterschiff. Das beruhigt mich, gibt mir das Gefühl, all mein Falten und Formen hätte einen tieferen Sinn, sei meine Aufgabe hier auf diesem seltsamen Planeten. Man mag es mir vielleicht nicht anmerken, aber es ist anstrengend, zuweilen frustrierend, ständig Kompensation leisten zu müssen, um sich in einer Gesellschaft einzugliedern, die so grundverschieden von einem selbst ist. „Die Menschheit ist eine Wundertüte“, hatte meine Mama mir gerne gesagt, wahrscheinlich inspiriert von einem Neunzigerjahre-Blockbuster. Sie war ebenfalls der Meinung, man solle sich selbst treu bleiben, abgeleitet von jedem Jugendfilm, der je gedreht wurde. Ihre Kinoweisheiten waren gutgemeint, nur halt ebenso falsch. Die Menschheit ist keine Wundertüte, wer sich Mühe gibt, kann durchaus lernen, sie zu durchschauen. Jeder Kontext verlangt nach einem bestimmten Muster und diese wiederum lassen sich häufig zu handlichen Faltanweisungen zusammenfassen. Und so schön die Idee vom Sich-Selbst-Sein auch ist, in meinem Fall führt es lediglich zu Ausgrenzung und Anfeindung. Meinen Wäschekorb unter den Arm geklemmt mache ich mich auf den Weg in meine Wohnung, wo ich mir einige Minuten Einsamkeit gönne, auf dem Balkon entspanne und so tue, als sei mein Lampion das weit entfernte Licht des Mutterschiffs.