Special zur dreihundertsten Story | Sarahs Tag

Rahels Tag findet ihr hier.

Ich lausche Rahels Ausführungen auf meine Frage und strecke mich dazu auf meiner weichen Couch aus, die einen legendären Status in meinem Leben, pardon, Wohnzimmer, erreicht hat. Wieder einmal fällt mir ein, dass seit ich sie besitze alle Freunde, die bei mir auf Besuch sind, viel länger bleiben, weil sie nicht mehr aufstehen mögen und ich muss an einen hämisch grinsenden und händereibenden Designer eines schwedischen Möbelhauses denken. Dank der modernen Technik kann ich auch mit Rahel täglich Kaffeepausen machen, obwohl sie mehr oder weniger am anderen Ende des Landes wohnt und so werfe ich einen Blick auf das Display meines Laptops, wo ich ihr live beim Zeichnen zusehen kann, während ich meine Notizbücher ordne (ja, davon habe ich viele). Ich weiß, dass sie bald los sollte und auch ich möchte noch etwas essen, bevor meine Kollegin mich besucht. Rasch stelle ich ihr eine Frage zu Clue Writing, die ich in den vorhergehenden Minuten, nein, das waren eher Stunden, unserer Unterhaltung vergessen habe und warte ihre Antwort ab, die wie fast immer kurz, klar und zufriedenstellend ist. Ich schnappe mir einen Kugelschreiber, krame in meinen eben erst sortierten Notizbüchern, finde das richtige, schlage es auf und kritzle das, was wir besprochen haben, auf die linierte Seite – super, erledigt.
Mit einigen unserer englischen Floskeln und Unsinnigkeiten nehme ich Abschied von meiner langjährigen Schreibgenossin und werfe nach dem „Ka-Blubb“, dass das Ende unserer ausschweifenden Konversation markiert einen Blick auf das Pixelcluster auf meinem Display, das mir die Zeit anzeigt. „Just fucking awesome“, murre ich, als mir klar wird, dass ich nicht mehr zum Essen kommen werde und füge dann im bestmöglichen Zürcher Dialekt, den ich als Hinzugezogene beherrschen kann, hinzu: „Tammisiech!“ Doch meine Laune bessert sich sofort wieder, denn ich weiß, dass ich dafür gleich mit meiner Kollegin Verwüstung in einer virtuellen Welt anrichten kann. Mein Blick fällt auf die Gaming-Konsolen und ich frage mich, ob wir Autos klauen, Zombies schlachten oder mit Superkräften über Hochhäuser springen werden …

Der Wecker auf meinem Tablet reißt mich unsanft aus dem Traum, in dem ich bis auf die Zähne bewaffnet als Anführerin einer kleinen Gruppe Überlebender durch eine postapokalyptische Welt gewandert bin und ab und an in Slow Motion Aliens erschossen habe. Ja, ich kann mit Special Effects träumen, suck on that!
Grummelnd stehe ich auf und sage mir, dass ich mich unbedingt daran erinnern muss, mal eine Story in der Art zu schreiben. Ja, das wäre sicher lustig. Vor meinem geistigen Auge zuckt ein Bild von Rahel vorbei, die den Text dann lektorieren darf und ich stelle mir vor, wie sie „Typisch Sarah“ seufzt. Rasch setze ich meinen Kaffee in der alten, italienischen Kaffeekanne auf den Herd und verschwinde dann im Bad, um meine Morgentoilette zu erledigen, wie immer mit der nötigen Motivation, dann fertig zu sein, wenn der Kaffee hochbrodelt. Doch weit gefehlt, mit der Zahnbürste im Mund tapse ich in die Küche meiner Stadtwohnung, nehme die Kanne von der Kochplatte und verschwinde im Bad, um fertig zu werden.
Die erste Stunde nach dem Aufwachen bin ich eine Quasi-Untote, die sich im Limbo zwischen dem aufkeimenden Willen zur Hyperaktivität und den Überresten totaler Apathie bewegt. Ich erledige alle Handgriffe automatisch, Kaffee eingießen, auf dem Fernseher den Jazz-Radiosender anwählen, das Fenster öffnen, eine Zigarette anzünden … Ich muss glucksen, denn am Morgen gibt es für mich kein Frühstück, sondern nur meine beiden Laster. Na, immerhin gefolgt von etwas Yoga, das ist dann wohl gut fürs Gewissen.
Die Sonne, die in meinen Hinterhof scheint, blendet mich und ich greife sofort nach dem Fächer. Zwanzig Grad, behauptet meine Wetterstation, was für eine Affenhitze! Dass ist ja nicht zum Aushalten und ich habe schon jetzt nur ein Trägertop und Leggings an! Meine Zimmer- und Fensterbankpflanzen zeichnen kuriose Schatten auf den Boden meiner Wohnung, die wie eine Mischung aus einem „Schöner Wohnen“ Heft und der Verkaufsfläche eines Elektronikgeschäfts ausschaut. Wenn ich jetzt noch so penibel putzen würde, wie ich aufräume, dann wäre ich wohl die perfekte Hausfrau, aber bleiben wir realistisch: Ain’t gonna happen!
Langsam bin ich wach genug, um mich der Welt und ihren höchst verwirrenden Bewohnern zu stellen, also klappe ich meinen Laptop auf, der siebte in meiner ruhmreichen Dynastie aus portablen Computern, und bereite mich darauf vor, mich mit dem Clue Writing Account etwas auf Facebook auszutoben. Ohne hinzusehen taste ich nach meiner To-Do-Liste für den heutigen Tag, hebe das Notizbuch auf und überfliege meine Handschrift, die angeblich nur von ausgewählten Personen entziffert werden kann: Story schreiben, CSS editieren, Social Media zumüllen, einen Essay fertigstellen und versenden, Einkaufen, Blumen gießen, putzen, Mails beantworten …
Obwohl noch einige Punkte mehr drauf stehen, muss ich zufrieden lächeln, das klingt nach einem gemütlichen Samstag. Der grössere Teil sind Aufgaben für Clue Writing, doch bis auf die Korrespondenz ausnahmsweise nichts, was wirklich eilt, also kann ich es gemütlich angehen, ob es jetzt fünf oder neun Stunden dauern wird ist ja egal. Plötzlich unterbreche ich mich, denn ich habe eine Idee für unser Projekt, die mir im Augenblick außerordentlich megalotastisch erscheint und ich öffne mein Skype-Chatfenster, klicke auf Rahels Kopf und beginne dann zu tippen. „Du, kurze Frage …“

Noch eine Zeile CSS-Code und ich beginne zu schreien! Das widerspenstige Menü mit dem poetischen Namen „#access2“ will nicht das tun, was ich will, das es tut. „You dirty little piece of shit!“, beschimpfe ich den unschuldigen Computer, nehme einen großen Schluck von einem Eistee und strecke mich einmal so durch, dass jedes meiner Gelenke die Gelegenheit zum Knacken kriegt. „Jetzt bloß nicht verzweifeln, Sarah, du magst das Ding und es mag dich“, versuche ich mir gut zuzureden und rolle den Stuhl an den Schreibtisch. Es kann doch nicht so schwer sein, der Seite Vernunft einzubläuen, rege ich mich auf, wohl wissend, dass der Fehler im Code da sein muss und es nur an mir liegt, dass ich ihn nicht finden kann. Ein tiefer Atemzug, ein letztes Mal genervt die Augen verdrehen und nochmal von vorn.
CSS-Datei in Dreamweaver öffnen. Menü suchen. Auf dem anderen Bildschirm meinen FTP Client öffnen, mit dem Server verbinden und den Ordner unserer streng geheimen Demo-Seite aufmachen, auf der wir Clue Writings neueste Monstrositäten austesten, bevor wir sie auf unsere Leser loslassen.
Ha! Da ist es, direkt vor meinen Augen! Ich freue mich, schreibe die entsprechende Zeile neu, speichere und ziehe die Datei voller Vorfreude auf den Server. Das muss es sein, ich bin mir ganz sicher, damit habe ich unser Menü endgültig fertigoptimiert. Ich greife zum Eingabestift und mein Mauscursor flitzt fröhlich auf den Refresh-Button der Demo-Seite. Ich kreuze die Finger und hätte beinahe meine geliebte Maschine laut angefleht, dass es endlich klappen möge. Nein, auch diesmal ein Schlag ins Wasser: Das Menü klebt jetzt rechts am Banner und ragt über den sichtbaren Bereich des Bildes heraus. Ich gebe für heute auf, gerade rechtzeitig, bevor mein Kopf explodieren kann. Fehlt nur noch etwas: CTRL+Z, ALT+F4.
Der nächste Punkt auf meiner Liste ist schnell abgehakt: Nachsehen, was wir vor zwei Jahren geschrieben haben, den Link kopieren und das Ganze auf unseren Social Media Seiten posten, mit dem wohl vertrauten Text: Heute in „Clue Writing vor zwei Jahren …“ Ja, die kleinen, schmutzigen Tricks von Bloggern, um Leser in ihre Archive zu locken und wir wissen alle, dass es danach kein Entkommen mehr gibt und alle dreihundert Stories gelesen werden müssen. Ich könnte noch gleich den Post für Sonntag hochladen, doch zuerst ist es an der Zeit, die Korrespondenz zu beantworten, die kann keinesfalls so nervtötend sein wie unser Content Management System. Zwei Sprecher haben ihre Stories eingelesen, eine unserer Leserinnen möchte Gastautorin werden und fünfzehn höchst begeisterte Spambots haben unsere Beiträge abonniert. Cool.

Entschlossen springe ich von meinem Bürostuhl auf und schaffe es nur knapp, das Gleichgewicht zu behalten, ohne mich an einem meiner Siebenundzwanzig-Zoll Monitore festhalten zu müssen. Irgendwie werde ich einfach nervös, wenn ich nicht mindestens zwei oder drei Bildschirme zugleich in meinem Blickfeld habe, aber das ist eine andere Geschichte. Ich habe zwar schon wieder vergessen, wieso ich voller Euphorie aufgestanden bin, hege aber den starken Verdacht, dass es damit zu tun hatte, dass ich mich etwas bewegen wollte, weil ich jetzt lange genug herumgesessen bin. Unschlüssig bleibe ich stehen und nehme meine To-Do-Liste zur Hand, bevor ich zum Fenster gehe. Ich schaue in den sommerlich-feuchtwarmen Tag hinaus und überfliege dann die einzelnen Punkte – bis aufs Blumengießen ist nichts mehr dabei, was ich nicht auch am Laptop erledigen könnte. Eigentlich könnte ich Rahel fragen, ob sie mit mir eine kurze Kaffeepause machen möchte, doch vermutlich ist sie mit dem Bearbeiten einer Podcast-Episode beschäftigt. Mich fasziniert immer von neuem, wie sie das schafft, Feinheiten in der Stimme herauszuhören, ich habe nur bei voll aufgedrehten Lautsprechern eine gewisse Chance, die Aufnahmequalität zu erahnen. „Wieso muss auch ausgerechnet ich Herausgeberin eines Podcasts sein?“, klage ich mit übertriebenem Pathos und muss mich im nächsten Moment selbst auslachen. Na, und wenn schon, immerhin kann ich die Administration erledigen, Facebook mit Beiträgen verzieren und habe in meiner Freizeit den Vorteil, dass ich dank meinem suboptimalen Gehör auch schlechte Musik ertragen kann. Und schlussendlich kann ich auch genau das machen, weshalb ich Rahel vor drei Jahren überhaupt erst dazu überredet habe, Clue Writing aus der Taufe zu heben: Schreiben.
Und dabei bin ich, trotz all meiner Begeisterung, beinahe eine Verräterin am Metier. Denn es ist nicht das Schreiben per se, das mich dazu anspornt, nächtelang aufzubleiben und Zeile um Zeile in meinen treuen Laptop zu tippen, sondern das Erfinden und Erzählen – Prinzipen kenne ich dabei so gut wie keine. Mit der Gießkanne gehe ich zurück und fülle sie mechanisch in der Küche auf. Während ich meine gierigen Pflanzen in den Blumenkästen mit ihrem frischen Nass zufriedenstelle, sehe ich, wie sich ein Mann in die Garageneinfahrt unter mir schleicht, sich mit dem Gesicht zur Wand positioniert und seinen Hosenladen öffnet. „Heute nicht, Kumpel“, murmle ich mit einem breiten Grinsen. Rasch macht mein Gießkannen-Arm einen eleganten Schlenker und der Wasserstahl trifft den Urinierer lange genug, dass er sich panisch die Hose hochzeiht und davonstolpert. Schade, dass er nicht aufgeschaut hat, ich hätte ihm gerne noch zugewinkt.
Nach getaner Tat kehrt die Kanne brav auf ihren Platz zurück, wo sie auf ihren nächsten heroischen Einsatz warten muss und ich schlendere zu meinem Computer, vor dem ich stehenbleibe und wieder meine Liste anstarre, die ihren Weg zu meinem Arbeitsplatz gefunden hatte. Eigentlich habe ich mittlerweile Hunger, doch irgendwie kann ich mich nicht wirklich dazu durchringen, etwas zu essen, also widme ich mich meinem Notizbuch. Genau, die dreihundertste Clue Writing Story schreiben! Das könnte sich als eine Herausforderung herausstellen, wie soll ich meinen Tag auf fünf Seiten packen? Dreihundert Stories ist aber schon ein schöner Gedanke, das entspricht bereits drei nicht allzu dünnen Büchern … Man kann uns vorhalten, was man will, aber fleißig sind wir, oh ja! Und auch, wenn es diese Momente gibt, in denen mir unser Projekt gehörig auf die Nerven geht, so erfreue ich mich doch meist daran.
Doch halt, wo war ich? Mein verlorener Faden holt mich abrupt in die wirkliche Welt zurück, in der ich leicht irritiert vor meinen beiden Bildschirmen stehe und längst nicht mehr weiß, was ich ursprünglich tun wollte. „Come on, it ain’t that hard …“, versuche ich mich zu erinnern, während ich auf das nächtliche New York starre, das als mein Desktophintergrund dient. Doch alles, was mir auffällt ist, dass ich einen beachtlichen Anteil meiner Selbstgespräche fremdsprachig führe und inständig hoffe, dass ich schon bald auf Chinesisch werde fluchen können. Ich gebe auf, mich erinnern zu wollen und entscheide mich, dass es mir zu bunt wird und ich mich in mein mobiles Büro verlagern will. Rasch schreibe ich Rahel, dass ich später wieder online sein werde und füge das obligate „bbl“ hinzu, bevor ich meinen selbstgebauten Desktop PC namens Liz mit einem Tastenkürzel herunterfahre.

Ich habe mir gar nicht erst die Mühe gemacht, die Tram zu nehmen, sondern bin gleich von Beginn an zum Hauptbahnhof geschlendert – einer der Vorteile davon, so zentral zu wohnen. Doch was für meine Angewohnheit, teils gar freiwillig im Zug zu arbeiten unerlässlich ist, ist das kleine Kärtchen in meiner Tasche: Das Generalabonnement, der Geschmack von Freiheit und Abenteuer. Oder so ähnlich. Und da ist es schon wieder, das dumme Grinsen, das ich jedes Mal trage, wenn ich einen blöden Witz gedacht habe, den nur ich lustig finde und damit eine kleine Party in meinem Kopf veranstalte.
Mittlerweile bin ich in die Tiefen des Zürcher Hauptbahnhofes eingetaucht, der zumindest gefühlt aus mehr Unterführungen als Geleisen besteht und komme vor meiner Lieblings-Sandwichbude zum Stehen. Soll ich …?
Ich muss nicht lange werweißen, der Hunger und die Versuchung siegen rasch, denn wenn es etwas gibt, dass man ohne zu zögern über mich sagen kann, so ist es, dass ich mich ausnehmend gerne dem Essen widme. Und so findet ein Baguette-Sandwich seinen Weg in die Handtasche von Zürichs zweifellos grandiotastischster Autorin. Jetzt gibt es nur noch eine Aufgabe zu lösen: Wohin? Da ich heute kein Ziel habe, kann ich meine Aufgaben eigentlich in jedem Zug erledigen, also bin ich frei. Als ich das Abfahrtsdisplay von Gleis 16 erblicke, kommt mir eine Idee und ich beginne sogleich schelmisch zu grinsen. Intercity, Abfahrt 16:32, lese ich und beginne sogleich, den Fahrplan im Kopf auszurechnen – ich muss nicht einmal mehr das Mobiltelefon zücken, meine Neuronen und ich sind da genauso zuverlässig. Umstiegen um 17:30, direkter RegioExpress, Anschluss auf Regionalzug um 19 Uhr und … „Passt“, sage ich halblaut zu mir selber, was mir einen verwirrten Blick von einem Teenager einbringt und sprinte in meinen hochhakigen Schuhen die Rolltreppe hoch, weil der Zug in weniger als einer Minute fahren wird.
Etwas außer Atem lasse ich mich auf das Polster fallen, keuche drei Mal tief und leicht asthmatisch durch und wühle dann mein Handy aus der Tasche. Wieder öffne ich Rahels Skype-Chat und schreibe, natürlich in Schweizerdeutsch: „Wie wäre es mit einer RL KVP um halb acht?“
Abkürzungen sind in unseren Chats nichts Ungewöhnliches und unsere als KVP bekannten Kaffeepausen geradezu legendär. Das RL steht, wie jeder halbwegs versierte Gamer weiß, für „Real Life“, also dem realen Pendant unseres üblichen Skype-Palavers und ich weiß, dass Rahel den Begriff kennt. Wir könne fast alles abkürzen, hach, wie effizient wir sind! Während vor den Fenstern der S-Bahnhof Zürich Hardbrücke vorbeirauscht, kann ich ihre Antwort lesen: „Klar, bis dann.“
Endlich ist es so weit und ich kann mich dem langersehnten Sandwich widmen. Keine Frage, dass ich es verdient hatte, immerhin habe ich heue noch vierhundert Kilometer vor mir, die ich mit Tippen verbringen kann.

Unauffällig lasse ich einen Clue Writing Flyer auf dem Zugtischchen liegen, als ich mich erhebe und den Wagen verlasse – ja, das ist Guerillamarketing, liebe Freunde! Auf den Bahnsteig angelangt schultere ich meine Handtasche und krame eine Kippe aus meinem Sommermantel ­(wenigstens bin ich meinem Stil treu und schaffe es, auch im Sommer einen schwarzen Mantel zu tragen). Ich habe zehn Minuten zum Umsteigen, also kann ich gemächlich durch den Bahnhof gehen und mir das ansehen, was wahrlich interessant ist: Die Züge. Ich behaupte immer etwas scherzhaft, dass ich sie alle mit Vor- und Nachnamen kenne, was natürlich nicht ganz korrekt ist, aber der Wahrheit näherkommt, als man denkt. Eine Lokomotive des Typs Re 465 zieht ihre Komposition aus Einheitswagen des Typs III in den Bahnhof und ein RBDe 565 flüchtet überstürzt in Richtung Vorstadt … Doch halt, wieso erzähle ich euch das? Ihr wollt nichts über das Rollmaterial der schweizerischen Bahngesellschaften erfahren, oder?
Eine meiner Schwächen ist die, dass ich leicht abgelenkt werde, wenn ich etwas interessant finde und auch dieses Mal ist es nicht anders. Entschlossen, wenn auch etwas enttäuscht, kehre ich dem bunten Treiben den Rücken zu und machte mich auf den Weg zu meinem Anschlusszug.

Der Laptop steht vor mir auf dem dunkelgrauen Tisch, der viel zu klein ist, um irgendwem viel bringen zu können. Bei jedem Halt rutscht mein armer Computer einige Zentimeter davon, sodass ich ihn festhalten muss. Wer hat denn nur entscheiden, so unnütze Tische im Zug zu verbauen? Früher oder später werde ich ein Upgrade in die erste Klasse wollen, da gibt es Platz, Ruhe und vor allem, richtige Tische. Demotiviert starre ich auf den Bildschirm und mir fällt auf, dass mein schwarzer Nagellack zu bröckeln beginnt, so wie der Mörtel einer alten Mauer. Ich könnte mir die Nägel streichen, statt … „Nein“, befehle ich mir schroff, ich muss jetzt eine Story schreiben, eine Story über meinen Tag als Clue Wirterin – doch was gibt es da schon zu erzählen? So spannend ist mein Leben nun auch wieder nicht, herausragend sind vor allem meine Grösse und die Menge an Kalorien, die ich an einem Tag verputzen kann. Na, vielleicht braucht die Geschichte etwas Drama. Soll ich herumwettern, dass wir noch nicht genügend Leser und Podcasthörer haben? Vorrechnen, wie viel Arbeit hinter dem Projekt steckt? Mich über unsere unzweifelhafte Genialität auslassen?
Etwas lauter als beabsichtigt seufzte ich durch den leisen Wagen und begreife, wie schwer das ist. Science Fiction, ja, das finde ich einfacher, ich kann problemlos ganze Universen entwerfen, Technologien ausdenken, aber mein Leben beschreiben …? Verdammt, wen interessiert sowas?
Mein Handy erlöst mich vorerst aus meinen Gedankenchaos, als es mir mitteilt, dass wir drei neue Follower auf Twitter haben. Na, da kommt Freude auf, jemand stalkt uns!

Die gleichgültige Frauenstimme aus der Konserve verkündet, dass mein Zug die Endstation erreicht hat und ich klappe erleichtert meinen Laptop zu, da ich beim besten Willen keine Ahnung mehr habe, was ich über mich noch sagen soll. Ein Blick auf die Arbeitszeit-App verrät mir, dass ich unserem kleinen Projekt bisher fünf Stunden gewidmet habe, doch bei der Rückreise würden sicherlich noch einige mehr hinzukommen.
Draußen regnet es und als ich den Wagen verlasse, spanne ich meinen gepunkteten Regenschirm auf, dessen Punkte etwas grösser sind als die auf meinem Rock – immerhin habe ich das gepunktete Oberteil nicht dazu angezogen, denn ganz egal, wie cool Punkte sind, man kann auch zu viele davon haben. Langsam bin ich doch etwas müde geworden, sei es nun wegen den sich anschreienden Schülern im Zug zuvor oder weil ich schon mehrere Stunden auf den Bildschirm gestarrt habe.
Der Weg vom Bahnhof zu Rahels Haus war nicht allzu weit, wenn ich mich dabei auch durch einen Haufen Leute vor einer Gaststätte hatte kämpfen müssen und beinahe von einem Pick-Up plattgemacht worden wäre. Doch wie immer habe ich es, gleich einer Amazonenkriegerin, ohne jegliche Verletzungen geschafft! Während ich die Treppe zu Rahels Haustür erklimme und dabei kleine Pfützen hinterlasse, krame ich das Handy aus meiner Handtasche, öffne die Skype-App und tippe: „Bin da.“ Bevor ich auf den „Send“-Button hätte klicken können, beginnt das vermaledeite Ding zu läuten und ohne auf den Namen zu achten, stecke ich es weg – wer auch immer der Trottel ist, jetzt hab ich echt keine Lust darauf, mit jemanden zu telefonieren, schließlich habe ich abgemacht. Mein Finger landet auf der Türklingel, was sofort das Gebell vom Herrn Doktor Hund aktiviert. „Ich komme!“, höre ich Rahels Stimme just in diesem Moment, in dem mein Handy das übliche „Blubb“ von sich gibt, welches eine Chat-Nachricht ankündigt und in dem Augenblick, bevor Rahel die Tür aufmacht, kann ich auf dem Display lesen: „Sorry, irgendein Depp klingelt an der Tür. Bbl“

Autorin: Sarah
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4 Gedanken zu „Special zur dreihundertsten Story | Sarahs Tag“

    1. Hallo liebe Lexa :)
      Ich hoffe es zumindest ;) Auf jeden Fall, sobald ich ein Upgrade in die Erste Klasse habe, dann habe ich auch meine Ruhe vor den Schulklassen-Invasionen ;)
      Es grüsst und winkt,
      die Sarah

    2. Ruhe vor Schulklassen habe ich mir per Kopfhörer verschafft. Bose Quiet Comfort 15 wirkt da wahre Wunder.

      Ersetzt natürlich nicht wirklich die 1. Klasse …

    3. Hallo lieber Klaus :)
      Vielen Dank für den Tipp! Ich habe leider immer nur die kleinen Handy-Kopfhörer dabei, weil meine Handtasche (natürlich^^) schon super voll ist… Aber auch die geben noch etwas an Lärm her^^

      Mit lieben Grüssen von den Clue Writern
      Sarah

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