Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Allem Anschein nach war es ein Tag wie jeder andere, ein völlig normaler Freitag. Zumindest von außen betrachtet. Als ich heute aufgewacht war, glühte der Morgen in einem schmutzigen Orange. Mein schlaftrunkenes Gehirn reagierte mit Sekundenschock, ich schoss regelrecht aus dem Bett, bis mir die naheliegende Begründung für die feucht-staubige Atmosphäre eingefallen war.
„Hallo“, ertönte das Stimmchen und schubste mich aus meiner Grübelei. „Ich hätte gerne eine … eine …“ Frau Peters kam ins Stammeln, ihr freundliches Schmunzeln wich einem leeren Ausdruck, als sie mich eindringlich ansah. Der Wind trug die Wüste zu uns ins Flachland, verfing sich in der tröpfelnden Wolkendecke, die Licht sowie Stimmung dämpfte.
„Guten Tag Frau Peters“, begrüßte ich meine beste Kundin, verwundert darüber, derart unverblümt angestarrt zu werden. Es fiel mir schwer, dem Sepiahimmel keine ominöse Bedeutung anzudichten. Überhaupt war mein Verstand derart überlastet von allem, was derzeit neben, in und um uns herum geschah, dass ich mich zusammenreißen musste, nicht hinter jeder kleinen Abweichung eine drohende Katastrophe zu vermuten. „Was darf es denn heute sein?“ Sie kam mindestens viermal die Woche bei mir in der Würstchenbude vorbei. Meistens genehmigte sie sich einen Geflügel-Dog mit viel Zwiebeln, manchmal einfach einen Pommes-Teller. Ich räusperte mich verlegen und entsorgte den verschmutzten Waschlappen im Wäscheeimer unter dem Becken. „Frau Peters?“
„Ah“, machte sie und schüttelte den Kopf, ehe ihr übliches Lächeln zurückkehrte und sie meinte: „Ein Geflügelwürstchen mit Currysauce und extra Zwiebeln.“ Das Weiß in ihren Augen rötete sich leicht, ihr Blick wirkte plötzlich glasig. „Äh, Sie haben da …“, holte sie aus, rieb sich über die Wangen und wiederholte: „Extra Zwiebeln. Bitte.“
„Gerne.“ Ihr Verhalten war merkwürdig, aber ich ermahnte mich und schob das Misstrauen beiseite, wollte dem ängstlichen Instinkt, der mich in den letzten Wochen leitete, nicht nachgeben. „Dazu eine Cola?“
„Nein, danke. Ich habe die hier“, sagte Frau Peters und schwenkte eine silberne Thermoskanne vor meiner Nase. Die Flüssigkeit darin schwappte wohlklingend, ich hatte das Geräusch von Wasser stets sehr gemocht.
Kaum war sie mit ihrem wursthaltigen Frühstück in der Hand in Richtung des Bahnhofs davongetrippelt, gesellte sich schon weitere Kundschaft an mein Büdchen, zwei Jugendliche. Eine davon trug ein winziges Hündchen, ein Welpe, der in einen Fingerhut gepasst hätte, auf dem Arm und fixierte mich mit bleicher Miene. Die andere studierte den Menüaushang, verfiel dann in dieselbe bizarre Trance. Selbst der Vierbeiner mit seiner herunterhängenden, glitzernden Hundeleine gaffte mich an. Nein, viel mehr durch mich hindurch. In der dimm orangen Beleuchtung schimmerten seine Pupillen geradezu bösartig.
„Äh, hallo die Damen“, stotterte ich verwirrt, da blinzelten die drei kräftig, lösten sich aus ihrem skurrilen Tagtraum und die Hundehalterin orderte grinsend zwei geschnittene Currywürste, eine Portion Pommes Rot-Weiß und ein Geflügelwürstchen ohne alles für den Chihuahua. „Gerne.“ Erneut zwang ich meine Verunsicherung zu ignorieren und bereitete die Bestellung zu. Im Grunde waren die beiden Begegnungen mit Frau Peters und den Mädchen nicht erwähnenswert. Menschen waren hin und wieder seltsam, das war keine Neuigkeit, und diese kleinen Kläffer waren bekannt für ihre Glubschaugen. Ein kurioser Zufall, weiter nichts. Also händigte ich die Menüs und einige Cents Rückgeld aus und wünsche: „Einen schönen Tag euch beiden.“
Die nächste halbe Stunde verlief eher schleppend. Der erste Pendlerstrom war bereits vorübergezogen, bis zum nächsten dauerte es noch ein Weilchen. Ich ging hinter dem Verkaufstresen in die Hocke und kramte im Schränkchen neben dem Abfalleimer, um eine volle Desinfektionsmittelflasche zu holen. Stattdessen hielt ich Möbelpolitur in den Fingern, die ich letzte Woche vergeblich in der Wohnung gesucht hatte. Ja, so stand es momentan um mich, ständig verzettelte ich mich und es gelang mir nie so richtig, mich zu konzentrieren, egal wie sehr ich mich anstrengte. Damit war ich nicht allein, die Welt drehte sich aktuell schneller, überschlug sich. Mental überreizt vom Wirbel der Geschehnisse hatten so manche Probleme damit, den Überblick über sämtliche Putzmittel zu behalten.
„Guten Tag“, flötete jemand ungewöhnlich fröhlich für die frühe Tageszeit und ich stieß mir beim Hochkommen den Hinterkopf an der Schranktür an. „Oh, haben Sie sich wehge…?“, begann der junge Herr, hielt inne und stierte mich mit geöffnetem Mund an.
„Schon okay, nichts passiert“, erklärte ich peinlich berührt, bevor auch ich verstummte. So langsam wurde meine Theorie mit dem Zufall unglaubwürdig, irgendetwas war im Argen. „Was … Was haben Sie?“, fragte ich schließlich, der Kunde blieb wie angewurzelt stehen, schaute abwesend auf das schlauchartige Ungetüm, das über meine Schultern schlängelte. „Was?!“ Eine gigantische Anakonda hing über mir, begrub mich beinahe unter sich, ich erkannte sie als schemenhafte Gestalt, ein Ding, das nur am Rande meiner Peripherie sichtbar wurde. Panisch sprang ich zur Seite, stolperte über den Wäscheeimer und landete unsanft auf dem Boden. „Was?! Was ist das?!“, schrie ich und hörte, wie der Mann wegrannte. Ich rappelte mich auf, klopfte meinen ganzen Körper ab, aber da war nichts. Rein gar nichts! Schwer atmend, röchelnd drehte ich mich immer und immer wieder im Kreis, versuchte das Monster, das ich weder fühlen noch sehen konnte, zu ertasten, mich von ihm zu befreien. Der von Saharastaub getränkte Regen sammelte sich auf meiner Bindehaut an, brannte, ich bekam keine Luft mehr. Aus dem Winkel meines verschwommenen Sichtfelds betrachtete ich das Biest, das mich aus einer fremden Dimension heraus erwürgte, mich verflüssigte und dann zu orangem Staub zermalmte.