„Frau Löslein, haben Sie die Klingel nicht gehört?“ Dr. Jacobi hatte eine Augenbraue nach oben gezogen und musterte dabei fragend seine neue Sekretärin.
„Klar, hab ich, Dr. Jacobi. Aber ich hab den Schnappi reingemacht. Die Leute können einfach reinkommen.“ Die junge Frau mit den raspelkurzen roten Haaren, sah von ihrem Schreibtisch auf und grinste den älteren Notar an.
Dr. Jacobi seufzte. Er rückte sich seine elegant wirkende Krawatte zurecht und erwiderte: „An ihrem ersten Tag sehe ich es ihnen nach. Aber in meinem Notariat werden die Klienten noch an der Türe abgeholt. Kein Schnappi, oder wie sie den mechanischen Türöffner nennen.“
Frau Löslein begleitete ein elegantes Paar mittleren Alters in das Zimmer ihres Chefs. Fassungslos machte sie, hinter dem Rücken der beiden, mit dem Finger ein Fragezeichen in die Luft.
„Danke Frau Löslein.“ Dr. Jacobi ärgerte sich, dass er seine Sekretärin nicht vorbereitet hatte. Dieses berühmte Künstlerehepaar rief stets solche Reaktionen hervor. „Machen Sie uns doch bitte einen Kaffee. Für Frau Petermann mit Milch, für Herrn Rosen schwarz, für mich mit Milch und Zucker.“
Frau Löslein wirkte auf einmal beklommen. „Äh, es kann einen Moment dauern. Es tut mir sehr leid, aber ich habe erst vor zehn Minuten den Tellerwäscher angestellt. Wir haben leider keine sauberen Tassen mehr.“
Der Notar mit den grauen Schläfen, schüttelte den Kopf. „Sie meinen die Geschirrspülmaschine? Dann spülen Sie eben ein paar von Hand und bringen Sie mir bitte die Akte Petermann/Rosen. Jetzt gleich!“
Als die Sekretärin das Zimmer verlassen hatte, lächelte Dr. Jacobi entschuldigend und murmelte: „Ist ihr erster Tag.“
Elena Bonaventura Petermann, bekannt als Ellen Bona Peters, die Schauspielerin, die gerade mit zwei Filmen in Kino vertreten war, rieb sich die Schläfen. „Sie wissen warum wir hier sind?!“
Dr. Jacobi nickte. Der ältere Notar kannte die beiden schon lange und wusste, was nun kommen würde. Mit höflicher Stimme antwortete er: „Ich gehe davon aus, dass es wieder einmal passiert ist?!“
„Immerhin sind es fünf Jahre, seit dem letzten Mal“ ,fügte David Rosen seufzend hinzu. Er legte einen Arm um seine Frau. „Möchtest du eine Kopfschmerztablette, Elena?“
Es klopfte. Die junge Sekretärin trat ein und gab dem Notar einen versiegelten Karton. „Ich war mir nicht sicher, ob Sie mit Akte Petermann/Rosen diese Pappschachtel da meinten.“ Sie starrte das Paar an.
Dr. Jacobi räusperte sich, als er es bemerkte und brummte dann etwas harscher: „Danke, Frau Löslein, das ist schon richtig, stellen Sie den Karton einfach hier ab. Und bringen Sie uns doch noch eine Flasche Mineralwasser, bitte.“
David Rosen knetete die Schultern seiner Frau. Elena Petermann stöhnte, dann streckte sie sich und dehnte ihren Nacken „Die Beschallung auf dem Set gestern war so laut und dann der Sprung aus dem dritten Stock. Ich sollte keine Actionfilme mehr drehen. Ich bin zu alt für diesen Mist.“
„Schatz du bist überhaupt nicht alt, nur ein wenig erschöpft“ ,flüsterte David Rosen seiner Frau zu und küsste dabei ihre Fingerspitzen.
Nachdem Frau Löslein den Kaffee und das Wasser gebracht hatte, wandte sich der Notar an das Paar. „Wer ist es diesmal?“ Er schaute neugierig auf die beiden.
„Ich, schon wieder“, Elena Petermann zog entschuldigend die Schultern nach oben. Sie lächelte erst den Notar und dann ihren Mann an. „Du warst so lange weg. Warum musstest du deine Lesereise auch zweimal verlängern. Stefano war so fürsorglich und liebevoll. Er hat mir kleine Geschenke gemacht und mich zum Lachen gebracht. Es hat so gut getan und dann fing es an zu kribbeln.“
„Stefano Baroso?“ Der Notar wirkte überrascht. Der Name des jungen Schauspielers, war ihm spontan, in einem eher negativen Ton herausgerutscht. „Entschuldigung“, murmelte er. „Es steht mir nicht zu …“
Frau Petermann machte eine abwehrende Geste mit der Hand. „Alles in Ordnung, Dr. Jacobi. Sie haben es schon richtig erkannt. Aber ist ja auch nicht schwer, es sind ja meist Schauspielkollegen von mir.“
„Schon gut“. David Rosen nahm die Hand seiner Frau. „Jetzt bin ich ja da. Wir kriegen das hin.“ Er deutete auf den Karton.
Der Notar brach das Siegel und öffnete den Deckel. Er nahm zwei Umschläge und reichte sie den beiden. „Hier sind Ihre Briefe. Ich lasse sie jetzt alleine. Wenn Sie soweit sind, melden Sie sich einfach.“
Dr. Jacobi verließ sein Büro. Im Vorzimmer saß Frau Löslein und machte große Augen. „Es tut mir wirklich leid, ich wollte wirklich nicht …, stotterte sie. Nervös knabberte die junge Frau an ihrem Daumennagel und murmelte: „Aber sie hatten die Sprechanlage vergessen. Ich hätte gleich ausmachen sollen und als ich dann gehört habe …“
„Was haben Sie gehört Frau Löslein“, der Tonfall des Notars war eine Spur schärfer ausgefallen als er beabsichtigt hatte. „Sie wissen, alles was sich hier in diesen Räumen abspielt, unterliegt der notariellen Schweigepflicht. Gerade in diesem Fall ist besondere Diskretion angebracht.“ Nachdenklich blickte er zur Türe seines Büros und strich sich seine dunkelblaue Anzugjacke glatt.
„Sie hat sich verknallt, Ellen Bona Peters, hat sich verknallt, in diesen Vollhorst Baroso, nicht wahr?“, brach es aus der jungen Frau heraus.
Dr. Jacobi machte ein verblüfftes Gesicht. Er holte sich einen Stuhl und setzte sich seiner Sekretärin gegenüber. Er betrachtete die junge Frau, die sichtlich nervös auf ihrem Schreibtischstuhl herumrutschte. In einem freundlicheren Ton erwiderte er: „Ihr erster Tag läuft nicht gerade rund und Ihre Ausdrucksweise ist es auch nicht. Ich könnte Sie direkt entlassen oder Sie an ihre Schweigepflicht erinnern und Sie in diese Geschichte einweihen.“
Die junge Frau wurde blass. „Ich weiß, dass ich nichts erzählen darf und auch wenn ich bisher vielleicht nicht den Eindruck einer kompetenten Sekretärin gemacht habe, können Sie sich auf mein Wort verlassen, Dr. Jacobi.“
Der Notar lächelte bei den Worten seiner Sekretärin in sich hinein. Frau Löslein, war ihm nicht unsympathisch. Sie hatte blitzende Augen und scheinbar einen wachen Verstand, auch wenn sie ein wenig chaotisch wirkte. Seine über lange Jahre vertraute Sekretärin war in Rente gegangen. Wenn er sich also die nächsten Monate, nicht mit der Suche nach einer adäquaten Mitarbeitern beschäftigen wollte, sollte er diese hier ins Boot holen.
„Nun gut. Was also glauben Sie, ist gerade da drinnen passiert?“ Der Notar deutete mit dem Kopf in Richtung seines Büros.
Frau Löslein lächelte erleichtert. Sie strubbelte sich mit der Hand durch ihre kurzen roten Haare. „Ich denke, dass immer wenn sich Ellen Bona Peters in einen ihrer Schauspielkollegen verliebt, sie hier mit ihrem Mann auftaucht, um geheimnisvolle Briefe zu lesen.“ Sie kam ins Stocken, ehe sie fortfuhr, „das ergibt keinen Sinn, oder?“
Der alte Notar schmunzelte anerkennend. „So dachte ich vor 23 Jahren auch, als die beiden mit ihrem Anliegen bei mir erschienen sind. Aber sie haben ein System, das funktioniert. Das Showbusiness ist ein hartes Geschäft. Ständig im Focus, ständig Menschen um einen. Wer ist ein Freund, wer tut nur so? Glanz und Glamour, Verführung und Reize. Wie viele Prominenten-Ehen kennen Sie, Frau Löslein, die nicht zerbrochen sind?“ Ohne eine Antwort abzuwarten fuhr er fort. „Ja, sie haben das richtig erkannt. Frau Petermann ist dabei sich zu verlieben. Deshalb sind sie hier. Aber auch ihrem Mann ist das schon passiert. Er ist erfolgreicher Autor, gibt Interviews, sitzt in Talkshows, geht auf Lesereisen und dazu sieht er noch …“
„Ziemlich geil aus!“, ergänzte Frau Löslein den Satz des Notars.
„ Äußerst attraktiv aus“, verbesserte Dr. Jacobi.
„Die junge Sekretärin schaute in Richtung Tür. „Soweit habe ich das gecheckt. Die Briefe sind wohl so eine Art Geheimabkommen. Wenn sich einer verliebt, kommen sie her und lesen ihre Abmachung.“
Der Notar nickte. „Sie kombinieren gut, Frau Löslein. Ich kann Ihnen zwar nicht sagen, was in den Briefen steht, aber soviel kann ich Ihnen verraten. Es ist die Basis ihrer Beziehung, es hat mit Liebe, Leidenschaft, Vertrauen und Ehrlichkeit zu tun. Wenn beide nach dem Lesen ihrer Briefe noch immer der Meinung sind, das was sie vor Jahren gemeinsam formuliert haben, sei noch immer das Richtige und Wahre für sie beide, allen Gefühlen für andere Personen zum Trotz, dann wird der, nennen wir es Vertrag, von beiden erneut unterzeichnet. Sie ziehen sich dann für einige Zeit aus der Welt der Reichen und Schönen zurück, machen eine Pause und konzentrieren sich nur auf sich.“
„Die waren vor fünf Jahren schon einmal da?“
„Das haben Sie auch gehört?“ Dr. Jacobi schaute verkniffen, dann antwortete er aber: „Frau Petermann und Herr Rosen waren schon öfter hier. Ich hoffe, dass sie heute wieder unterzeichnen. Es wäre dann das siebte Mal.“
„Die müssen sich total lieben, oder?“ Die junge Frau machte ein verträumtes Gesicht. „Liebe, ach“, seufzte sie. „Das ist ja besser als im Film.“
Der ältere Notar beobachtete schweigend die Reaktion seiner neuen Sekretärin. „Da haben sie wohl recht, Frau Löslein. Elena Petermann und David Rosen sind meiner Meinung nach zwei Menschen, die sich echt gefunden haben. Sie sehen das wohl genauso und haben sich deshalb abgesichert. In einer Welt, in der Ehe und Partnerschaft auswechselbar ist, wollen sie ihre Beziehung nicht aufs Spiel setzen.“
„Wow, ist das cool. Die sagen sich sogar, wenn sie jemand kennengelernt haben und dabei sind sich zu verlieben. Und der andere ist deswegen nicht sauer.“ Frau Löslein hatte ihren Kopf schief gelegt und schaute Dr. Jacobi direkt an.
Der Notar lächelte. „Es ist ein Teil der Abmachung.“
Die Sekretärin grinste schelmisch zurück. „Aber ganz ehrlich, dieser Baroso ist ein …“ Sie suchte nach Worten. „Sie würden wahrscheinlich sagen: Ein unsympathischer Mensch. Wegen dem, sollten die sich wirklich nicht trennen.“
Dr. Jacobi senkte seine Stimme und verschwörerisch flüsterte er seiner Sekretärin zu. „Nein, in diesem Fall stimme ich mit Ihrer Ausdrucksweise eher überein und geben Ihnen voll und ganz Recht. Für so einen Vollhorst, sollte sich dieses wunderbare Paar auf keinen Fall trennen.“
Hallo Sabine,
das ist eine sehr schön geschriebene, interessante Geschichte, die gleich mehrere eher ernste Themen amüsant verquickt. Sie zu lesen hat mir echt Spaß gemacht.
Viele Grüße
Ann-Bettina
Hallo Ann-Bettina,
Vielen Dank für deinen Kommentar :) Ich kann mich deiner Aussage nur anschliessen und Sabine gleich mit loben.
Es grüsst und verneigt sich,
Sarah von Clue Writing
Danke an Ann-Bettina, für die netten Worte zu meiner Geschichte. Freut mich, wenn sie Dir gefallen hat.
Liebe Grüße
Sabine
Hat dies auf Wunderwaldverlag rebloggt und kommentierte:
Read & like
Liebe Bewohner des Wunderwaldes,
Fürs Rebloggen möchten wir uns bedanken,
Mögen Eure Bäume viel Dünger tanken
Und Eure Seiten
Freude bereiten
Da digitale Bücher niemals erkranken.
Liebe Grüsse,
Sarah von Clue Writing
Gern geschehen :-)
Ich muss dazu sagen, dass es nicht ganz uneigennützig geschah, denn die Autorin Sabine Kohlert hat schon etwas bei mir veröffentlicht … Ich hoffe, das Rebloggen ist trotzdem in Ordnng? Ich bleibe auf jeden Fall an eurem Blog dran!
Schönes Wochenende & Grüße aus Erlangen
M. Stadelmann
Natürlich, das Rebloggen ist absolut immer in Ordnung, wir freuen uns darüber, ob eigennützig oder nicht :)
Danke an Fr. Stadelmann, für das rebloggen meiner Geschichte auf dem Wunderwaldverlag.
Liebe Grüße
Sabine Kohlert