Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
„Beim Teutates, du wagst es, die Grenzen unserer Siedlung zu verletzen?“, brüllt Hannix erbost und prügelt den Römer mit zaubertrankgestärkten Armen nieder.
Hannes war schon seit Anbeginn seiner Comiclesezeit ein waschechter Gallier und daran hatte sich niemals etwas geändert. Na ja, bis er vor einigen Jahren seine Wurzeln verlor, ja seine Herkunft verleugnete. Es war das lange ausstehende Zerwürfnis mit seiner Familie gewesen, das er hätte kommen sehen müssen, immerhin war er ein regelrechter Streithahn. Wieso er seine Eltern vorerst nicht mehr sehen wollte, ist für unsere Legende des unbesiegbaren Hannes nebensächlich, wichtig ist einzig, dass er den Zugang zu seinen Asterix-Bänden verlor, die in seinem alten Kinderzimmer gelagert waren. Irgendwann hatte unser Held sich daran gewöhnt, den wahren Kern seiner Persönlichkeit vergessen.
Aber, wie in jeder guten Geschichte fand natürlich auch der unbeugsame Willes des Hannes wieder seinen Weg zurück ins Licht, wenngleich erst kürzlich. Seine Kinder, endlich in dem Alter angelangt, in der ihre kognitiven Fähigkeiten des Asterix-Verstehens mächtig wurden, sollten unserem Helden den Grund liefern, einen Comicbuchladen aufzusuchen und mit einem Stapel urgallischer Abenteuer in seine Siedlung zurückzukehren. Sehr zur Enttäuschung des Vaters fanden die Reisen des Gewieften und des Dicken bei seinen Kleinen wenig Anklang, vermutlich weil sie eher nach ihrer Mutter geraten waren und daher den Westernheld, der seine Zigarette abgeben musste, bevorzugten. Ein herber Schlag für Hannes, der nur allzu gerne Häuptling einer Familie Gallier geworden wäre. Doch der unbesiegbare Hannes wäre wohl kaum unbesiegbar, wenn er sich davon abhalten ließe, schließlich hatte er Zugang zum Zaubertrank seiner Druidin, welche zwar in Anbetracht ihres Comickonsumverhaltens eine Verräterin an der Sache per se war, allerdings trotzdem bereit war, ihre Magie wirken zu lassen. Sie nannte ihren Zaubertrank den „Long Island Iced Tea“ und beharrte drauf, es sei eine schlechte Idee, eines der Kinder in den Kessel fallen zu lassen. Unser Held hegte ein gewisses Verständnis für ihre Ansichten, denn dieser Zaubertrank schien für Kinder ungeeignet, wenn man den Regeln der römischen Provinzialverwaltung Glauben schenken wollte. Und noch viel zentraler: Das Gefäß war viel zu klein, um ein Kind hereinfallen zu lassen.
Der Römer erhebt sich, schnauft und umfasst sein Pilum, den Speer, mit aller Kraft. Er taumelt kurz, bevor er sich auf den unbesiegbaren Hannix wirft – der wohl größte Fehler seines Lebens.
Bestimmt wollt ihr wissen, wie denn nun unser Held wieder zu den Helden seiner Jugend zurückgefunden hat und wie ihr euch sicherlich längst ausmalen könnt, ist die Antwort denkbar einfach: Da sich seine Kinder dem Studium der illustrierten gallischen Geschichte verweigerten, blieb die Erhaltung seines kulturellen Erbes ausschließlich an Hannes selbst hängen. Abend für Abend widmete er sich unbeugsam seiner Aufgabe, tauchte ein in die Vergangenheit, besuchte den Karnutenwald, fabrizierte Hinkelsteine und begab sich auf Wildschweinjagd. Der Gallier schwor sich, nie wieder seine Wurzeln zu vergessen, stets für seine Gemeinde, sein Dorf einzustehen und es gegen jeden Angriff durch die Römer zu verteidigen. Getrieben von neu aufkeimender Begeisterung für die Weisheiten der unbeugsamen Gallier, legte Hannes sich einen gallischen Namen zu: Fortan war er sich selbst als Hannix bekannt. Nur darüber, ob er eine beschreibende Ergänzung zu seinem gallischen Alter Ego hinzufügen sollte, war er sich lange Zeit unschlüssig gewesen. „Hannix der kaufmännische Angestellte“ passte irgendwie so gar nicht, „Hannix der Große“ hingegen enthielt bloß wenig Wahrheit und klang viel zu abgedroschen. Nach mehreren Sonntagnachmittagen, die er mistelsuchend sowie auf der Wildschweinjagd im Wald verbracht hatte, musste er sich eingestehen, weder ein bedeutender Druide noch Jäger zu sein, dafür den besten Namen gefunden zu haben: „Hannix der Listige“. Und ja, listig war er wie kaum ein anderer. Seine Kinder hatte er leicht dazu austricksen können, den Abwasch freiwillig zu erledigen, obwohl ihm seine Position im Stamm erlaubt hätte, sie einfach dazu zu zwingen. Seine Mitarbeiter im Büro hatte er mit einer Täuschung in die Lage gebracht, sämtliche Verantwortung für ein Projekt zu übernehmen, das sie erst auf ihn hatten abwälzen wollen.
Doch wir folgen den Abenteuern des Hannix nicht, um das Genie seiner List zu erfahren, weswegen seiner Kniffe ein Geheimnis bleiben sollen – sie darzulegen würde zudem seiner Legendenhaftigkeit schaden. Nein, wir folgen Hannix, um herauszufinden, wie er sich im Kampf gegen den Legionär schlägt.
Vollgepumpt mit Zaubertrank schleudert Hannix den feindlichen Römer von sich und springt auf. Das Pilum ist unter die Lagerstätte am Feuerplatz gerollt, sodass der Legionär dem Gallier nun unbewaffnet gegenübersteht. Mit einem mark- und beinerschütterndem Kriegsschrei holt der Gegner Anlauf, um den Gallier mit der schieren Wucht eines Aufpralls niederzumachen. Ihm scheint es am Verständnis zu mangeln, wie sehr es seiner Gesundheit abträglich ist, einen unbeugsamen Gallier nach dem Konsum von Zaubertrank anzugreifen.
Mit einer lockeren Selbstverständlichkeit, die nur der Gewissheit entspringen kann, jeder Legion überlegen zu sein, bleibt Hannix stehen. Erstaunt ob der unerwarteten Dickköpfigkeit seines Kontrahenten gerät der Römer ins Straucheln, verlangsamt seinen Schritt und fällt wie ein Baumstamm hintenüber, als ihn Hannix‘ Faust trifft. Freilich, mögt ihr jetzt einwenden, soll diese Geschichte eine Moral haben, eine inhärente Logik, gar einen Bezug zur Realität. Und wir wollen euch, zumindest teilweise, zufriedenstellen.
„Ihr Mann hat dabei was gerufen?“, erkundigt sich der Polizeibeamte, entgeistert den bewusstlos auf dem Teppich liegenden Einbrecher musternd, der von Sanitätern umsorgt wird.
„Beim Teutates!“, wiederholt Martina ernst den Satz, fügt aber sogleich entschuldigend hinzu: „Wissen Sie, er liest halt leider kein Lucky Luke.“
Mit einem Seufzen notiert sich der Polizist etwas in seinem kleinen Block, das sich nicht im Geringsten auf die Lektüre-Gewohnheiten des Elternpaares bezieht. Zum Schluss deutet er auf den Besen, der unter die Couch gerutscht ist. „Na gut, ich denke, wir sind hier soweit fertig. Bleibt bloß die Frage, wo der Einbrecher den Besen her hatte, den er als Waffe benutzen wollte.“
„Latürnich“, proklamiert Hannes laut, dem der Zaubertrank zu Kopf gestiegen ist, „aus dem Besenschrank!“
Wir befinden uns im Jahre 2016 n. Chr. Die ganze Stadt ist von der Furcht vor Einbrüchen besetzt. Die ganze Stadt? Nein! Ein paar von unbeugsamem Comic-Lesen beseelte Familien hören nicht auf, den Eindringlingen Widerstand zu leisten. Und das Leben ist nicht leicht für die Gauner, die ihre nächtlichen Raubzüge in die Eigentumswohngen von Neukölln, Stieglitz, Kreuzberg und Charlottenburg planen …