Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
„Oh, edler Abenteurer!”, posaunte der Wirt durch seine Spelunke, als Maurius die schwere Tür zuschob und durch den von einigen Ölfunzeln erhellten Raum auf den letzten freien Tisch zuschritt. Schneeklümpchen lösten sich von seinen Stiefeln und schmolzen langsam auf den Bodendielen. „Was darf es sein?“, versuchte der Wirt den Lärm seiner angetrunkenen Gäste zu übertönen. „Ale und Suppe? Ist alles, was es heute Abend auf der Speisekarte hat.“
Maurius nickte, setzte und lehnte sich zurück, ehe er zufrieden schnaubte. Nach den Strapazen, den Gefahren, die er in den letzten Wochen auf dem Pass von Honerra erdulden musste, war seine Pause wohlverdient.
„Maurius der Goblinschlächter! Ich traue meinen Augen nicht, der alte Haudegen ist wieder in den Wiesenländern“, brüllte jemand hinter ihm. Ein fülliger, muskelbepackter Zwerg stapfte zu seiner Linken vorbei und ließ sich auf den Stuhl fallen, der unter der Belastung ächzend knarrte. „Uff. Als ich ein Jungspund war, war mein Bauch noch flacher.“
„Inubort.“ Lachend begrüßte Maurus seinen Kameraden, mit dem er schon so manches Abenteuer überstanden hatte. „Was verschlägt dich mitten im Winter nach Oderra?“
„Geschäfte, wie immer“, erklärte der Zwerg, während der Wirt ein Schälchen Suppe und einen Krug Ale vor den Abenteurer stellte. Dieser bedankte sich und meinte an den Genossen mit dem strubbeligen Bart gerichtet: „Was für Geschäfte können nicht warten, bis der Schnee geschmolzen ist? Das Gold aus euren Minen ist ja nicht verderblich, könnte also auch im Sommer gegen Waren getauscht werden.“
„Das stimmt wohl“, grunzte Inubort und schnappte sich das Ale des Menschen, kippte die Hälfte davon in seinen Rachen und stieß einen markerschütternden Rülpser aus. „Dummerweise haben wir leider einen Troll, der in unseren Höhlen überwintert, deshalb sind wir in die Wiesenländer geflüchtet. Das Biest können wir nicht allein schlachten, es ist zu mächtig.“
„Soso, ein Troll“, brummte Maurius, dessen Interesse geweckt war. „Da habt ihr wahrlich ein gewaltiges Problem, mein alter Freund.“
„In der Tat.“ Inubort präparierte seine Pfeife und zündete den Tabak bedächtig an. „Das Unding hat fünf aus unseren Reihen gerissen und hockt jetzt auf dem Goldschatz, den importierten Reichtümern aus dem Osten und unseren Minen. Das ist ein verheerendes Jahr, mein Freund.“
„Ja, so ein Troll ist eine üble Sache.“ Maurius legte den Löffel in der leergegessenen Schale ab und schob sie von sich. Er hatte eine ziemlich gute Ahnung davon, was sein Kamerad ihm gleich anböte, immerhin war er für seine Kampferfahrung berühmt. Tatsächlich seufzte der Zwerg laut: „Sag, Freund, was würde es benötigen, dich zu einer kleinen Expedition zu bewegen?“
Maurius überlegte kurz – eigentlich hatte er einige ruhige Wochen verbringen wollen, etwas ausspannen, bis die Schneestürme über die Region vorbeigezogen waren. Das Angebot, sich gegen einen Troll zu beweisen, war allerdings sehr verlockend. Zu verlockend. Bereits drei Sommer war es her, seit er das letzte Biest in diesen Gefilden geschlachtet hatte. „Was bietet ihr, sollte unsere Reise erfolgreich sein?“
„Gold, Gewürze, Tee – such dir aus unseren Schatzkammern aus, was du willst. Außer natürlich das, was der Troll aufgefressen hat.“
„Ich glaube kaum, dass Trolle Tee trinken“, gluckste der Mensch und strich über seinen Bart. „Ich werde den Tee nehmen, mit dem kann ich am besten weiter handeln, wenn ich einkehre.“
„Und so soll es sein“, stimmte Inubort pathosgeladen zu.
„Gut, mein Freund. Ich muss noch zum Waffenschmid, meine Felle eintauschen und einige Bekannte treffen. Versammle deine Genossen übermorgen, wir brechen am Morgen des dritten Tages auf.“
Freudig schlug Inubort in die dargebotene Hand ein, becherte dann den Rest des Ales, von dem der Mensch keinen einzigen Schluck abbekommen hatte, und rief: „Auf eine erfolgreiche Expedition – sofern Trolle keinen Tee trinken!“
„Und wenn doch?“, erkundigte sich Maurius mit erwachender Skepsis. „Die Händler, die ich kenne, brauchen weder Gewürze noch Gold in rauen Mengen, darauf bliebe ich bis zur Hafenstadt Enowel sitzen. Das wäre ein Problem bei all den Banditen, die den Pass von Honerra unsicher machen.“
„Hmm“, knurrte Inubort nachdenklich, wobei er seine Pfeife schräg hielt und die Glut auf die Tischplatte rieselte. „Lass mich einige der Trollexperten in der Gegend konsultieren, die wissen bestimmt mehr darüber. Sobald ich eine Antwort von den weisen Greisen des Ortes habe, die den ganzen Tag nur in ihre Bücher starren, gebe ich dir Bescheid.“ Damit wandte sich der Zwerg um und johlte dem Schankwirt zu: „Oy, mehr von dem Ale, aber diesmal in einem großen Krug, ja? Mein Freund will auch was abhaben.“
Derweil machte sich der erfahrene Abenteurer daran, seine eigene Pfeife mit Gelbblattkraut zu stopfen und sinnierte, dass in seinem Leben noch nie eine Expedition wegen des Wetters, Angst der Gefährten oder schlechten Überlebenschancen in feindlichen Ländern misslungen war. Maurius sollte verflucht sein, wenn ihm die Frage, ob Trolle Tee trinken, diese Statistik ruinierte. Am Ende scheiterten Dinge in seinem Leben höchstens an der wirtschaftlichen Realität, nicht an Mut, Monstern und Massakern.