Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
„Es ist vorbei, Jackie.“ Lou lehnte locker an dem alten und auf Hochglanz polierten schwarzen Dodge Charger und warf mit einer betont lässigen Geste ihre Kippe auf den gefliesten Boden. Die Angesprochene hob den Kopf, wobei ihre lockige Haarpracht in einer welligen Bewegung auf ihre Schultern fiel. Sie kniff die Augen leicht zusammen, etwas, das bei ihr immer intensives Nachdenken zu signalisieren schien, dann sagte sie: „Ich weiß nicht, vielleicht auch nicht.“
„Was willst du denn damit sagen?“, fragte Lou, während sie sich von dem fast neuen Wagen abstieß, den wohl jemand zur Reparatur gebracht hatte und übers Wochenende in der Garage hatte stehen lassen. „Ich denke nicht, dass es klug wäre jetzt einen auf James Dean zu machen.“
Jackie zuckte mit den Schultern und warf einen Blick hinaus auf die leergefegte Hauptstraße des verschlafenen Nests, in dem sie gestrandet waren. „Wenigstens hätten wir einen Grund, Rebellen zu sein, oder?“
Lou blinzelte, als ein Sonnenstrahl, in dem sich tanzender Staub abzeichnete, in ihr Gesicht fiel. „Du bist ein Klugscheißer, weiß du das?“
Jackie lachte, was wegen ihrer hellen Stimme immer leicht irritierend auf Lou wirkte. „Nee – mein Collegeprofessor, der mich immer Prokrastinator geschimpft hatte, der war ein Klugscheißer. Wer erfindet denn überhaupt solche Worte?“ Lou konnte nicht verhindern, dass ein freches Grinsen um ihre Lippen spielte – Jackie hatte ihr damals erklären müssen, was es mit dem Wort auf sich hatte. Schließlich unterbrach sie die Stille, die wie alles in der stickigen Garage sehr rasch substantiell zu werden schien und sagte vorsichtig: „Trotzdem, Kleines: Wir haben keinen Wagen mehr, stecken in einem Kuhdorf fest und sind in eine Autowerkstätte eingebrochen um Ersatzteile zu finden und das alles nur, weil wir aus einem anderen verfluchten Kuhdorf weg wollten. Wir haben kein Geld mehr, es ist aus.“
Jackie überlegte kurz, bevor sie mit dem überzeugendsten Optimismus, den sie aufbringen konnte, erklärte: „Im Wagen haben wir noch eine Tüte gebrannter Mandeln.“
„Ich glaube nicht, dass uns das viel weiterbringt“, entgegnete Lou trocken und kickte einen herumliegenden Schraubenschlüssel in eine Ecke, wo er mit einem lauten Scheppern landete. „Da sind unsere Truppen im Kampf gegen den Vietcong besser dran.“
Jackie machte ein schmollendes Gesicht, auf dem man einige Fältchen erkennen konnte, die sie sonst nicht hatte. „Ach komm schon, wir können doch jetzt nicht aufgeben! Du wolltest genauso weg aus dem Kaff wie ich, wo sie hinter vorgehaltener Hand ‚Frauenliebe‘ tuscheln und in die Stadt, wo die Leute auf die Straße gehen und laut herausschreien, was mit der Welt nicht stimmt. Was ist daraus geworden?“
Lou machte etwas genervt eine ausladende Bewegung, die den ganzen heruntergekommenen Raum umfasste. „Wir sind in der Realität gelandet, das ist daraus geworden. Was wir wollen oder nicht spielt keine Rolle mehr, wir sind pleite, schon vergessen? Das ist keines deiner kleinen Luxusprobleme, sondern ein ernstzunehmender Umstand, den wir uns nicht schönreden können.“
Sie schnaubte entnervt und warf ihre Haare in den Nacken: „Die Welt erhebt sich und du beschwerst dich über Geld? So dringend müssen wir jetzt auch nicht Gras rauchen, Hauptsache wir kommen weiter. Ich werde nicht zurückgehen.“
„Okay, okay, krieg dich wieder ein“, beschwichtige Lou ihre aufgebrachte Freundin. „Es ist ja nicht so als wollte ich dahin zurück. Dann sehen wir halt, wie weit wir mit Trampen kommen, irgendwie werden wir das schon schaffen.“
„Genau, das ist die richtige Einstellung“, erklärte Jackie entschieden. „Man muss nicht immer ein Prokrastinator sein.“
Lou konnte nicht anders, sie prustete los und verschluckte sich an der dicken Luft. Etwas unbeholfen und verwirrt klopfte Jackie ihr auf die Schultern und bot ihr einen Schluck aus ihrer Wasserflasche an.
Nach kurzem hatte sie sich wieder erholt und zündete sich bedächtig eine Zigarette an. Sie blies den blauen Rauch, der sie nach dem Hustenanfall im Hals kratzte, zur Decke und sah ihm zu, wie er durch die scharfen Lichtstrahlen nach oben waberte und sich schließlich in dem Raum verlor. Sie sprachen beide für einige Zeit kein Wort, während sie zu überlegen schienen, wie sie weiterkommen konnten, bloß das Summen einer Fliege unterbrach die Stille ab und an. Schließlich streckte sich Lou und fragte: „Wie weit bist du bereit, bei der Sache zu gehen?“
Jackie sagte entschlossen, ohne sich Bedenkzeit zu lassen: „So weit wie es sein muss. Ist ja nicht so, als ob mich meine Familie zurückhaben möchte. Wieso?“
Lou deutete mit dem Daumen möglichst beiläufig auf den Charger. „Der Schlüssel steckt.“
Sie konnte sehen, wie sich Jackies Augen weiteten: „Du willst doch nicht…?“ Sie machte eine Pause und erkannte das freche Grinsen und die hochgezogenen Augenrauen ihrer Freundin. Etwas ungläubig bemerkte sie: „Doch, du willst. Wie lange hast du darüber schon nachgedacht?“
„Seit wir hier eingestiegen sind“, gab Lou zurück. „Du weißt aber schon, dass es danach kein Zurück mehr gibt?“
Jackie hob ihren Rucksack auf und schritt zielstrebig über die kühlen Steinfliesen und knarrenden Holzdielen auf den Wagen zu, und machte die Tür auf. „Scheiß drauf“, erklärte sie entscheiden, während sie sich auf den Beifahrersitz fallen ließ.
Lou schritt um den Charger und warf ihre Kippe auf den Boden. Mit einem ausladenden Schwung öffnete sie die Fahrertür und setzte sich. „Bereit?“, fragte sie und griff nach dem Zündschlüssel.
„Hinter uns nur verbrannte Erde“, entgegnete Jackie.