Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Vortag
Ein aufregender Tag wartete auf mich, womöglich der wichtigste meines Lebens und das alles verdankte ich Neumanns Einfall. Zu schade, Neumann würde das Resultat seiner Arbeit nie sehen, hätte die Feinheiten meiner Ausführung bestimmt zu schätzen gewusst. Es gab wenige, die meine Pläne kannten, weniger, die mich deshalb weder für skrupellos, noch verachtenswert hielten, es war daher verständlich, dass mir der Alte irgendwie fehlte.
„Komm heim“, rief meine bessere Hälfte durch den Telefonhörer. „Du musst dich ausruhen.“
„Ach, Schatz.“ Neumann hatte mir dazu geraten, sämtliche privaten Beziehungen zu kappen, aber ich hatte es nicht über mich gebracht. Eine egoistische Entscheidung, wahrscheinlich eine fatale. „Ich schlafe heute im Büro.“ Der Schock wird tief sitzen, sollte man mich je überführen, die Reporter würden keine zwei Stunden warten, bevor sie mit ihren Fragen über unseren Rasen trampeln. Ob man es denn nicht hatte kommen sehen, es Anzeichen für diese schreckliche Tat gegeben habe, wie es möglich sei als Ehepartner so etwas zu übersehen.
„Sicher?“, fragte die müde Stimme vom anderen Ende der Stadt. „Du bist so ein Morgenmuffel, ich befürchte, ohne ausreichend Schlaf wirst …“
„Alles gut, Schatz“, stoppte ich die unnütze Rede, „Wir sehen uns morgen Abend“, und legte den Hörer auf die Gabel des uralten Apparates.
Wahltag
Durch die Tür drang das heitere Stimmengewirr der feiernden Massen, Korken knallten, Hände klatschten und befreites Aufatmen traf auf Jubel. Ihr Drängen auf Veränderung, es hatte fruchtbaren Boden in der Bevölkerung gefunden. Monroe saß mit überschlagenen Beinen auf dem mächtigen Chefsessel und schlürfte mit Koffein angereicherten Kakao, während ich auf der anderen Seite Platz nahm und ein zufriedenes Lächeln über den Schreibtisch warf.
„Na, wird dir dein Arbeitszimmer fehlen?“, fragte ich schmunzelnd. Monroes Hang zur Sentimentalität war jedem in der Zentrale geläufig, womöglich sogar der ausschlaggebende Punkt für den Wahlausgang gewesen.
„Du kennst mich, Burgess.“ Ein leises Brummen, ein winziges Geräusch, das aus der bald mächtigsten Person der Welt sickerte. „Natürlich wird es mir das.“ Das Büro des Parteichefs war ein Jahrzehnt unser Zuhause gewesen. Sicher, gegen außen gaben wir uns als Familienmenschen, doch unsere Liebsten waren bereits vor Ewigkeiten zu einer Fassade geworden, einem hübschen Schleier, den man den Wählern präsentierte, um dahinter die Fratze eines Workaholics zu verbergen. Wer täglich sechzehn Stunden arbeitete, in der Zentrale übernachtete und mehr Zeit mit dem Lieferjungen eines Luxusrestaurants als mit seiner eigenen Mutter verbrachte, ist den wenigsten sympathisch. Monroe lehnte sich zurück und starrte ein Weilchen ausdruckslos an die Decke. Eine Geste, die ich dermaßen häufig beobachtete, dass mir der Anstrich dort abgeschossen vorkam.
„Naja, wir haben hier viel erlebt. Viel Schönes …“, begann ich, ehe ich die Wehmut abschüttelte und fortfuhr: „Auch viel Schlechtes. Den Schimmelpilz wirst du auf jeden Fall nicht vermissen, ebenso wenig die lausige Aussicht oder den quietschenden Boden.“
„Wohl wahr“, seufzte mein Gegenüber und schob sich ein Karamell in den Mund, jedes weitere Wort klang gedämpft. „Wohl wahr, Burgess. Nun, ich hoffe, nicht nur die Büroaussicht wird sich verbessern, sondern ebenso die Aussicht des ganzen Landes. Eine große Aufgabe wartet auf uns, kaum zu bewältigen.“
Monroes Nervosität war früher oft auf mich übergeschwappt, hatte uns die erste Kandidatur gekostet und es sollte mich der Teufel holen, wenn ich erneut auf dieses Niveau sank. „Monroe!“, sagte ich forsch, verlangte Aufmerksamkeit und Beherrschung. „Bleib ruhig, wir haben das zig Mal besprochen, du musst ruhig bleiben!“
„Ja, du hast Recht.“ Es war ein Stammeln, ein Winseln, das von Husten unterbrochen wurde. „Klar. Klar, klar.“
Zahltag
Die Sekretärin beäugte mich mit Argwohn, ihr Blick schweifte von meinem Haaransatz bis zu den Sohlen, dann zurück. „Sie sind?“, wollte sie erfahren.
„Burgess“, erwiderte ich, wohl wissend, dass sie den Namen noch nie gehört hatte. Niemand außer mir stand dem höchsten Amt so nahe wie ich, dennoch blieb ich im Schatten, war ein maskierter Akteur in einem nationalen Spiel. „Der Parteichef erwartet mich.“ Sie drückte eine Taste auf dem Intercom, ließ sich meine Behauptung bestätigen und meinte anschließend: „Hier entlang, bitte.“ Die Sicherheitsmaßnahmen waren seit dem gestrigen Vorfall massiv verstärkt worden, kaum verwunderlich, immerhin lag Monroe zwischen Leben und Tod schwebend im Krankenhaus.
„Minchkin“, begrüßte ich Monroes Nachfolge und erhielt dafür ein saures Grienen.
„Burgess, wie komme ich zu der Ehre?“ Selbstverständlich hatte ich keinen Termin ausgemacht, die wenigen, die mich kannten, empfingen mich wann immer es mir beliebte.
„Können wir frei sprechen?“ Die Abhörtechnologie war besser geworden, Vorsicht war also angebracht, aber Minchkin winkte meine Sorge sogleich ab. „Mein Zugang zum den präsidialen Räumlichkeiten wurde mir entzogen“, holte ich aus, setzte mich auf den Besucherstuhl und bot Minchkin ein Karamellbonbon an. „Der verdammte Geheimdienst ignoriert die Anweisungen und hat mich von der Liste gestrichen.“ Mein hörbar aufgebrachter Tonfall ärgerte mich, ich hatte gehofft meine Erregbarkeit endlich unter Kontrolle zu haben.
„Das ist mir bekannt, ja.“ Minchkin beugte sich vor, fletschte die Zähne zu einem diabolischen Grinsen. „Ich habe Ihren Plan längst durchschaut. Neumann, der senile Idiot, konnte kein Geheimnis für sich behalten.“ Mir wurde schwindlig, genau davor hatte ich mich all die Jahre gefürchtet, allerdings wäre ich niemals darauf gekommen, ausgerechnet von Minchkin enttarnt zu werden. „Sie haben da viel Arbeit reingesteckt, nicht wahr, Burgess? Sich an Monroe anzubiedern, lange vor dem Wahlkampf … Sie sind ein geduldiger Mensch, bewundernswert. So jemanden wie Sie könnten wir in unserem Team brauchen, wäre da bloß nicht die Tatsache, dass Sie das Land ihres Führers berauben wollten.“ Ich schluckte, musste an meine Lieben denken, die Reporter auf unserem Rasen. „Mord am Inhaber des höchsten Amtes mit der Absicht, die Schuld einem unserer längst vergessenen Feinde zuzuschieben, damit beide Nationen in den Krieg zu stoßen und Milliarden aus Waffengeschäften abzuschöpfen. Raffiniert, Burgess, raffiniert.“ Minchkin hielt kurz inne, hustete heftig und fügte an: „Zu dumm, sind Sie erwischt worden.“
„Wer weiß davon?“ Ich musste schnell handeln, die Informationen herausbekommen, bevor Minchkin Monroe im Krankenhaus Gesellschaft leistete.
„Ich habe alles hier, die gesamte Dokumentation“, erklärte Minchkin auf einen Papierstapel deutend, auf welchem ein kleines Diktiergerät lag. „Ich rate Ihnen, hier und jetzt zu gestehen, wenn Sie …“, wieder ein Husten. „Wenn Sie auf lindernde …“ Das Husten wollte nicht mehr aufhören, genauso wie es bei Monroe gewesen war.