Die Nachmittagssonne schien Samantha unerbittlich blendend mitten ins Gesicht, als sie aufwachte und ein genervtes Stöhnen von sich gab. Sie brauchte einige Augenblicke, bis sie wieder wusste wo sie war. Das Atelier, in dem sie wohnte, sah verwüstet aus. Überall war Fledermauskonfetti über den Boden verstreut und neben vielen leeren Alkoholflaschen fielen vor allem die Kürbisse auf, die so aussahen, als ob sich jemand auf sie gesetzt hatte. Sie konnte die stechenden Schmerzen in ihrem Rückgrat fühlen und begriff, dass sie auf dem Glastisch geschlafen hatte, dessen transparente Platte nun von tausenden kleinen Rissen durchzogen war und bereits leicht durchhing. Sie ruderte leicht panisch mit den Armen in der Luft, um das Gleichgewicht zu behalten, während sie von der Platte herunterkrabbelte, bevor diese endgültig durchbrach. Leicht verwirrt blickte Samantha sich in dem großen Raum um und murmelte durch den dreckigen Vorhang aus gekraustem Haar, der ihr vor die Augen hing: „Was verdammt nochmal ist letzte Nacht passiert?“
Sie hatte noch gar nicht damit angefangen, die Verwüstung in ihrem Atelier aufzuräumen, sondern sich erst mal mit einem Kaffee und einer Zigarette auf den Schaukelstuhl, das einzige nicht verdreckte Möbelstück, gesetzt. Sie konnte sich bloß noch an den Anfang der Party erinnern, der Rest war dank Alkohol und Sedativa sehr verschwommen und ungeordnet. Nicht, dass sie das als stereotype Künstlerin mit einem ausufernden Lebenswandel groß schockiert hätte, es kam ab und an vor, doch diesmal fühlte sich etwas nicht richtig an. Was war da bloß? Angestrengt starrte sie auf die fledermausförmigen Konfettistücke vor ihr am Boden und sandte ein stummes SOS nach dem anderen an ihr lädiertes Erinnerungsvermögen, bis ihr schließlich ein Bruchstück einer Erinnerung dämmerte. „Ich habe jemanden erschossen?“, rief sie entsetzt aus. Erschrocken fuhr ihr Blick zum geöffneten Fenster und sie hastete hin, um es zuzumachen und hoffe, dass niemand ihren Ausruf gehört hatte. Langsam, wenn auch bruchstückhaft, kehrte ihre Erinnerung wieder.
Die Halloween-Party begann ganz normal, ja beinahe schon langweilig. Bis auf zwei Möchtegern-Künstler, die belanglos über Kunst philosophierten, und einem Haufen Neo-Yuppies aus SoHo, die Martinis tranken, war am frühen Abend niemand in ihr aufwändig dekoriertes Atelier gekommen. Samantha hätte ihnen am liebsten mit dem Airbrushgerät die Gesichter eingefärbt, um sie dann als Hulk oder Aliens in eine Vitrine zu stellen und für viel Geld zu verkaufen; doch sie übte sich in Geduld, denn sie wusste, dass die wirklich spaßigen Gäste erst später kommen würden. Der kleine übriggebliebene gutbürgerliche Teil von ihr, den sie als amerikanisches Vorstadtkind aus der Mittelklasse immer zu unterdrücken versuchte, gab ihr mit leiser Stimme zu bedenken, dass ihre Vorstellung von einer Familienfeier, euphemistisch ausgedrückt, unkonventionell war. Doch sie ignorierte die bürgerliche Samantha geflissentlich, goss sich mehr Alkohol ins Glas und wartete darauf, dass es lustig wurde, die richtigen Gäste kamen und sie diese langweilige Bande, die bisher da war, herauswerfen konnte – Süßes oder Saures, das war hier die einzige Devise!
Zuerst tauchten die Superhelden auf – doch anders als es Batman, Catwoman und die ganzen X-Men in der realen Marvel-Welt getan hätten, brachte diese bunte und schon ziemlich angeheiterte Truppe bloß Plastikwaffen, dafür aber auch massenhaft Chips und Alkohol mit. Man sollte nie einem Künstlerkollektiv aus einem aufstrebenden Viertel Superheldenkleidung und Ethanol geben, das konnte ein böses Ende nehmen, überlegte Samantha grinsend, während sie die neuen Gäste willkommen hieß und die Party immer ausgelassener wurde.
Schon bald darauf tauchten auch schon die ersten Hexen und Vampire auf, sei es im bodenlangen Kleid, im barocken Outfit oder ganz modern mit Sonnenbrille und Pistolen mit Silberkugeln, mit denen sie die verfeindeten Werwölfe erschießen konnten. Offenbar waren insbesondere die Vampire etwas kreativer mit ihrer Dröhnung, denn sie schienen ziemlich viel Bloody in ihre Mary gekippt zu haben. Irgendwann tauchte sogar ein Typ auf, dessen Maske wie das Gesicht von Quentin Tarantino aussah und der ziemlich verpeilt wirkte; sie ließ ihn trotzdem herein, schließlich musste man in postmodernen Zeiten befürchten, sonst am Ende den berühmten Regisseur in Person vor die Tür gesetzt zu haben.
Irgendwann wurde alles etwas verschwommen, wahrscheinlich waren die Pillen, die sie in ihrem Bad gefunden hatte, Sedativa und nicht Muntermacher gewesen, doch wie immer bereute sie nichts – zumindest nicht zu diesem Zeitpunkt. „Man muss alles probiert haben, um zu wissen, wie es ist“, war stets ihr Motto gewesen. Sie wusste bloß noch, dass das große Atelier bald zum Bersten voll war mit trinkenden, tanzenden und wild durcheinander rufenden Leuten. Doch wirklich skurril war die Sache für Samantha erst geworden, als die Zombies aufgetaucht waren; sie trugen keine billigen Fünf-Dollar-Masken, sondern hatten ihre Gesichter so aufwändig gestylt, dass es ihr nicht mehr möglich war herauszufinden, ob sie die Leute eigentlich kannte oder nicht. Offenbar hatten die Zombies es etwas mit ihrer Schminke übertrieben, denn sie schienen nicht mehr besonders viel zu sehen und so rannte einer geradeswegs in eine Säule.
So weit so gut, überlegte Samantha angestrengt, während sie ihre Kaffeetasse fahrig abstellte. Doch was genau war an dem Abend noch vorgefallen und wieso glaubte sie, jemanden erschossen zu haben? Insgeheim hoffte sie, dass es nicht „Tarantino“ gewesen war, da hätte sie lieber einen schlechteren Regisseur mit einem besseren Ruf erlegt. Dann zuckte das Bild durch ihren Kopf, klar und deutlich und sie begriff, was sie getan hatte.
Es war bereits spät, oder besser früh, als Samantha auf dem Glastisch liegend weggedämmert war, betäubt von Alkohol und Tabletten. Mitten in einem Albtraum fuhr sie hoch und fand sich bloß wenige Inches von einem grässlichen Zombie-Gesicht entfernt, dessen Augen sie im schummrigen Licht gruselig anblickten und das ein skurriles „Grrr“ von sich gab. Sie gab einen lauten Schrei von sich, fuhr hoch, riss dem nächsten Vampir seine Werwolf-Pistole vom Gürtel und schoss damit dem Zombie ist Gesicht. Schreiend und fluchend rannte der Getroffene weg, als ihn die silberne Spielzeug-Kugel erwischt hatte.
Samantha brach in Gelächter aus und lehnte sich in ihrem Schaukelstuhl zurück – sie hatte tatsächlich auf jemanden geschossen, jedoch lediglich mit einer Spielzeugpistole. Noch immer breit grinsend, wenn auch leicht duselig, erhob sie sich und murmelte: „Verdammt, habe ich mir vielleicht einen Schrecken eingejagt!“ Gemächlich ging sie zum Fernseher und schaltete das Gerät ein; vielleicht würden sie ja die Schreckensmeldungen der letzten Nacht wecken. Mit einem Mal erstarrte sie, da ein altes Passbild von ihr in den Nachrichten gezeigt wurde. „…gesucht wird diese Frau, die dem bekannten Kunsthändler F. Morgan letzte Nacht mit einer Spielzeugwaffe ein Auge ausgeschossen hat…“ Ungläubig starrte Samantha auf den Fernseher und begann zu realisieren, dass ihr Albtraum gerade erst begonnen hatte.
Hallo liebe Sarah
Haha! Da hattest du aber eine wirklich witzige Idee und die Heldin gefällt mir sehr gut. Ich glaube, mir hätte das auch passieren können und du hast mich überzeugt, mich an Halloween zukünftig von Zombies fernzuhalten :D
Hallo werter Clue Reader
Danke für das Feddback! Nun, ich denke es kann jedem passieren, sich mit einem Zombie anzulegen – doch mit etwas Glück wirst du nie einen erledigen müssen und kannst trotzdem freudig Halloween feiern (ob mit oder ohne Zombies, sei dahingestellt…)^^
Sarah