Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
„Echt, ich habe ein verdammt mieses Gefühl bei der Sache“, seufzte Pierce und fuchtelte dazu mit der Pistole in der Luft herum, was man im dunklen Hinterhof kaum sah. Melodramatisch ächzend setzte er sich auf eine leere Kiste und stierte zum Himmel, aus dem zwischen den Hochhäusern einzelne Schneeflocken fielen. Joss, sein bester Freund seit dem Kindergarten, hatte seine Knarre im Hosenbund versteckt, was Pierce zum Kommentar verleitete: „Ist die gesichert? Falls nein ballerst du dir früher oder später den Ballsack weg.“
„Was?“ Joss hantierte umständlich an der Waffe, zerrte sie heraus und stellte schockiert fest: „Hast recht, die war nicht gesichert. Danke, Mann.“
„Siehst du, deshalb habe ich ein mieses Gefühl“, murrte Pierce. „Plus: Hier sieht man kaum die Hand vor Augen.“
Joss lachte: „Ach, komm schon, ein paar Dealer überfallen ist nicht schwer, kann jeder.“
„Jeder, der sich nicht vorher die Hoden wegschießt?“, konterte Pierce, nestelte eine Kippe aus der Trainerjacke und zündete sie an. „Echt, seit dieser verfluchten Pandemie haben sogar die Gangster wenig Kohle bei sich.“
Joss gab ein zustimmendes Geräusch von sich. „Stimmt, ich hab gerademal zwei Dollar dabei.“
„Ich meine richtige Gangster, du Hohlbirne, nicht uns. Die Gangster, die wir ausrauben wollen.“
„Wir sind doch … ach, vergiss es. Wann kommen endlich die blöden Dealer? Die sind sonst immer im Hof, hat Nana jedenfalls behauptet.“
„Moment, was?“, wollte Pierce aufgebracht wissen. „Deine Großmutter hat dir den Tipp gegeben, wen wir überfallen sollen?!“
„Ja klar, Nana wohnt gleich in dem Apartment da oben.“ Zum zweiten Stock gestikulierend ergänzte Joss: „Sie ist ein Goldschatz, meine Nana. Backt Kekse wie sonst keiner. Und hat früher für die fünf Familien gearbeitet, damals, als das noch was bedeutete.“
„Die war bei der Mafia? Echt jetzt?! Das hast du mir nie erzählt.“
„Hab ich bestimmt, jeder im Block weiß, was meine Nana früher gemacht hat. Vermutlich warst du einfach zu bekifft um das mitzukriegen. Oder du wirst alt und senil.“
„Shit, wir werden alle alt“, lamentieren Pierce, was Joss veranlasste, zu kontern: „Komm jetzt nicht wieder mit deiner Warze, über die du mich vorhin zugejammert hast.“
„Kinder haben auch Warzen, hat nix mit dem Alter zu tun. Trotzdem, voll auf der Handfläche. Echt, ich hasse mein Leben.“
„Hör auf zu flennen und zeig her.“ Er nahm das Handy hervor und schaltete die Taschenlampe ein. Zögernd hielt Pierce seine Hand hin und Joss reichte ihm das Telefon. „Halt das in der anderen Hand und leuchte die fette Warze an, ich habe das schon ein paarmal für Nana gemacht.“
„Stopp, stopp, stopp“, beschwichtigte Pierce, tat aber, wie ihm geheißen wurde, bevor er überhaupt begriff, was sein Kumpel vorhatte. Indes zückte Joss sein Messer und packte Pierces Rechte. Entsetzt beobachtete Pierce, wie der andere mit der stumpfen Klinge an seiner Haut kratzte und riss seinen Arm mit einem unterdrückten Schmerzensschrei weg. „Hey, lass das!“
„Was? Ist halb so wild“, gab Joss schulterzuckend zurück. „Ist kein Ding.“
Entnervt stöhnte Pierce. „Du bist nicht mein Arzt, ist das klar? Sowas ist echt undankbar für einen, den ich grad davor bewahrt habe, sich mit einer Fünfundvierziger zu kastrieren.“
„Jaja, schon gut. Beruhig dich, Mann.“ Joss steckte die Klinge wieder weg und schnappte sich sein Handy, das er, ohne die Taschenlampe auszuschalten, in die Hosentasche stopfte. „Irgendwie muss man sich ja unterhalten bis die Typen antanzen.“
„Wenn du hier einen OP-Saal eröffnen willst, kommen vielleicht Gangster vorbei nachdem sie angeschossen wurden“, bemerkte Pierce trocken. „Wir sollten besser still sein, du vertreibst sie noch.“
„Ach, das ist so wie die letzten Male, als wir Gangster überfallen haben“, widersprach Joss selbstsicher. „Wenn die eine Knarre entdecken, haben die Angst, sind schließlich auch nur Menschen.“
„Bis einer rausfindet wer du bist und wo du wohnst, dann bist du der, der Angst hat. Also sind wir lieber vorsichtig, ja?“
„Dafür haben wir die Masken, keiner erkennt uns.“ Joss deutete auf seine geblümte Stoffmaske, die Mund und Nase verdeckte. „Ist das Gute an der Pandemie, keiner fragt dich, wieso du maskiert rumläufst.“
„Stimmt.“ Damit warf Pierce seine Kippe weg und rückte seine eigene Maske zurecht. „Wieso ist deine eigentlich geblümt?“ Er unterbrach Joss, der zu einer Antwort ansetzte: „Lass mich raten: Deine Großmutter hat sie genäht?“
„Natürlich, Nana bastelt die besten Masken im ganzen Block. Außerdem hat sie … halt, da sind sie.“
Tatsächlich bogen zwei stämmige Kerle um die Ecke, einer davon trug eine Sporttasche. Nach wenigen Schritten waren sie im Hof angelangt, Joss riss die Pistole hoch und blaffte: „Lass die Tasche fallen und lauf, Arschloch!“
Der Hinzugekommenen starrten verwirrt auf ihre unerwarteten Gegner, der Kerl mit der Tasche warf sie von sich und ergriff die Flucht. Der andere Gangster dagegen musterte die beiden nur perplex und begann dann zu lachen: „Ihr seht kaum so aus, als könntet ihr mit den Dingern umgehen.“
„Willst du es darauf ankommen lassen?“, fuhr Joss ihn an und wedelte mit der weiterhin gesicherten Pistole in der Luft herum. „Na, willst du, Drecksack?!“
Pierce wurde unwohl, ihr Gegenüber war ein echter Gangster, plus, Joss wirkte zu hysterisch und amateurhaft, um auch nur von seinem eigenen Freund ernstgenommen zu werden.
„Ehrlich, Alter“, spottete der Gangster, „wenn du jetzt die Knarre wegsteckst, lass ich dich am Leben. Dich dagegen …“, damit wandte er sich Pierce zu, kam aber nicht zum Weitersprechen, da aus dem Schatten eine alte Frau in einem geblümten Morgenmantel angehumpelt kam, eine Bratpfanne in der Hand. Sie hob das schwere Ding und zog es ihm mit einem erstaunlich hohlen Knall über den Kopf. Der Kerl verdrehte die Augen und stürzte zu Boden, als Joss begeistert „Nana, was machst du denn hier?“ ausrief. Ungläubig musterte Pierce die Alte, die selbstzufrieden erklärte: „Ich wollte dir Rückendeckung geben, Jungchen – du bist noch nicht bereit für die großen Coups, die Straßen sind gefährlich. Kommt mit hoch, ich habe Kekse im Ofen und kann euch ein paar Geschichten aus meiner Zeit bei den fünf Familien erzählen.“
„Gerne, danke Nana.“
Pierce folgte dem ungleichen Duo, weiterhin verwirrt über die rüstige Großmutter.
„Sagt mal, lässt ihr das Kokain da liegen?“, schalt Nana die beiden, auf die Sporttausche deutend. „Das kommt mit hoch, man sollte nie Drogen auf der Straße liegenlassen.“
„Ah, stimmt, danke Nana.“ Joss, hob die Tasche auf und trottete der Mafia-Rentnerin hinterher ins Treppenhaus. Sie sagte derweil, ohne innezuhalten: „Ach, Pierce – ich helfe dir dann mit der Warze, wenn wir oben sind, dein Gezeter war ja kaum zu überhören. Keine Angst, ich habe früher oft Kugeln aus Kerlen gepult, die zehnmal wehleidiger waren als du. Ist halb so wild, wenn man ein bisschen Salbe hat.“